Wenn Pharma- und Medizinproduktehersteller versuchen, mit Spenden und Sponsoring oder Urlaubsangeboten Patientenselbsthilfe und Ärzteschaft für sich einzunehmen, ist Vorsicht geboten. Eine Allianz aus Vertretern der Ersatzkassen, der Patientenselbsthilfe und der Ärzteschaft hat für mehr Transparenz bei Kooperationen von Selbsthilfe und Medizinern mit der Industrie geworben. Bei der Vorstellung der aktualisierten und erweiterten vdek-Broschüre „Ungleiche Partner – Patientenselbsthilfe und Wirtschaftsunternehmen im Gesundheitssektor“ sprachen sie sich für erhöhte Wachsamkeit bei der Zusammenarbeit mit Unternehmen aus. Ulrike Elsner, Vorstandsvorsitzende des Verbandes der Ersatzkassen e. V. (vdek) appellierte an alle Beteiligten, mehr Engagement bei der Offenlegung von Geldflüssen und möglichen Interessenkonflikten zu zeigen. „Immerhin fließen jährlich geschätzte 5,6 Millionen Euro von der Pharmaindustrie in Richtung Selbsthilfe. Die Krankenkassen unterstützen die Selbsthilfe weit intensiver, und zwar mit rund 45 Millionen Euro jährlich. Wir haben nichts gegen die Unterstützung der Selbsthilfe durch die Pharmaindustrie. Doch es besteht die Gefahr, dass Selbsthilfeorganisationen für die Interessen der Geldgeber benutzt werden und ihre Unabhängigkeit verlieren. Damit haben wir als Hauptförderer der Gesundheitsselbsthilfe ein Problem“, betonte Elsner. Von der Pharmaindustrie forderte Elsner, die Geldflüsse und Zuwendungen mindestens einmal pro Jahr detailliert zu veröffentlichen. Außerdem sollte ein Firmenfonds eingerichtet werden, d. h. ein Fördertopf, in den spendenwillige Unternehmen einzahlen können. Eine unabhängige Instanz sollte das Geld dann verteilen. Und auch die Gesundheitsselbsthilfe sollte konsequenter als bisher ihre Zuwendungen kenntlich machen und im Zweifel auch auf finanzielle Zuwendungen seitens der Pharmaindustrie ganz verzichten. In Richtung Ärzteschaft erklärte sie: „Auch die Glaubwürdigkeit der Ärzteschaft ist gefährdet, wenn sie sich z. B. bei Anwendungsbeobachtungen und klinischen Studien und in ihrem Verordnungsverhalten zu stark von der Pharmaindustrie beeinflussen lässt. Auch hier ist absolute Transparenz erforderlich!“ Prof. Dr. Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), kritisierte, dass zahlreiche Marketingstrategien der Pharmaindustrie auf den Patienten als „Kunden“ zielen, um die Nachfrage nach diagnostischen Verfahren oder neuen Arzneimitteln zu steigern und sie dadurch schneller im Markt zu verbreiten. Problematisch sei es, dass weiterhin nicht ausreichend qualitativ hochwertige, unverzerrte und evidenzbasierte Informationen, z. B. bezogen auf neue Arzneimittel oder medikamentöse Therapiestrategien, zur Verfügung stehen. „Ärzte und Patienten erreichen regelmäßig eine Flut von Online- oder als Printmedien zugänglichen Informationen zu Arzneimitteln, die eine Vielzahl von unvollständigen, häufig interessengeleiteten bis hin zu manipulativen Inhalten aufweisen. Diese beeinflussen das Arzt-Patienten-Verhältnis massiv.“ Prof. Dr. Ludwig forderte sowohl eine zentrale Qualitätskontrolle von Patienteninformationen sowie eine Prüfung von Werbeanzeigen und Arzneimittelinformationen durch eine industrieunabhängige Organisation als auch größere Transparenz in Bezug auf finanzielle Zuwendungen an Patientenselbsthilfe und Interessenkonflikte der an Informationsbroschüren und Veranstaltungen der Selbsthilfe beteiligten Ärzte. Dr. Martin Danner, Bundesgeschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe (BAG Selbsthilfe) betonte: „Zwar bietet Sponsoring die Chance auf Einnahmen zusätzlicher Mittel, es bleibt aber die Gefahr von Abhängigkeit und Einflussnahme der Geldgeber. Die Selbsthilfe ist sich dieser Gefahr sehr bewusst.“ Die BAG Selbsthilfe habe daher gemeinsam mit dem Paritätischen Wohlfahrtsverband (DPWV) Leitsätze für die Zusammenarbeit mit Wirtschaftsunternehmen im Gesundheitswesen verabschiedet und ein Monitoringverfahren entwickelt. Diese Maßnahmen sowie Selbstverpflichtungserklärungen der Verbände seien wichtige Bausteine, damit die Patientenselbsthilfe unabhängig handeln könne und in der Zusammenarbeit mit Unternehmen die Kontrolle über Inhalte der Arbeit behalte. Hintergrund: Die Gesundheitsselbsthilfe finanziert sich aus Mitteln der gesetzlichen Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung, der öffentlichen Hand, Mitgliedsbeiträgen, Spenden, Bußgeldern, Zuwendungen von Stiftungen und Sponsoring. Einer der wichtigsten Geldgeber ist die gesetzliche Krankenversicherung (GKV). Sie hat ihre Ausgaben zugunsten von Patientenorganisationen seit 1999 von 7,5 Millionen Euro auf 45 Millionen Euro im Jahr 2015 (0,64 Euro pro Versicherten) versechsfacht. Die Ersatzkassen sind als größte Kassenart mit 38 Prozent (16,9 Millionen Euro) Hauptfinanzier der Selbsthilfe. Die Zuwendungen durch die Krankenkassen dienen der Deckung laufender Kosten, ermöglichen Projekte, aber auch die Gründung neuer Selbsthilfegruppen, denn die Gelder werden prospektiv vergeben. Das kassenfinanzierte Unterstützungssystem ist weltweit einmalig. In seiner 2008 erstmals aufgelegten und nun aktualisierten Broschüre (aktualisierte Ausgabe unter: http://www.vdek.com/vertragspartner/Selbsthilfe.html) informiert der vdek über Aufgaben der Selbsthilfe, Zusammenarbeit mit der Gesundheitsindustrie sowie Transparenzbemühungen und gibt Tipps, wie Selbsthilfe- und Ratsuchende Einflussnahmen durch Unternehmen erkennen können. Pressemitteilung des vdek
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