Gilbert Adair hat spätestens mit seinen Romanen „Liebestod auf Long Island“ und „Blindband“ auch hierzulande verdiente Aufmerksamkeit erhalten. In „Buenas Noches, Buenos Aires“ wirft er nun einen Blick zurück ins schwule Leben der 1980er Jahre. Axel Schock stellt Adairs neuen Roman vor.
Im Alter von 16 Jahren will Gideon es wissen und geht aufs Ganze. Die Auserwählte erwartet sich sichtlich mehr von ihrem Mitschüler. Doch Gideon kommt über mechanisches Kneten ihrer Brüste nicht hinaus, dafür aber zu der Erkenntnis: Sex mit Frauen ist nicht sein Ding.
Das verpatzte erste Mal, wovon der Ich-Erzähler in seiner Lebensbeichte berichtet, wiederholt sich bald in immer neuen Variationen auf einem wenig erfolgreichen Weg ins schwule Leben. Auch Gideons Umzug Anfang der 1980er Jahre nach Paris, wo er als Englischlehrer an der Berlitz-School unterrichten soll, bringt nicht die erhoffte sexuelle Sozialisation. „Ich suchte nicht nach Liebe – Liebe konnte warten –, ich suchte nach Action“, bekennt er offenherzig. Aber der verklemmt-schüchterne Brite ist ziemlich unbeholfen und hat bei der Wahl seiner Partner auch noch einiges Pech. Er ist daher meist nur Zaungast in den Abschleppkneipen. Seine schwulen Kollegen aus der Sprachschule lassen es dagegen richtig krachen und brüsten sich mit ihren sexuellen Eskapaden. Um nicht ganz so dämlich dazustehen, beginnt Gideon, seine katastrophal bis komischen Erlebnisse auszuschmücken und seine Fantasien als real auszugeben.
Die Party ist vorbei, noch ehe sie begonnen hat
Bis hierhin ist „Buenas Noches, Buenos Aires“ ein anrührender Roman über sexuelle Selbstfindung, gespickt mit prallen Porträts kauzig-skurriler Nebenfiguren. Dann aber legen sich die ersten Nachrichten über einen geheimnisumwitterten „Schwulenkrebs“ wie ein Schatten auf Menschen und Beziehungen. Wie Gilbert Adair, Jahrgang 1944, das auf nur wenigen Seiten erzählt, lässt einem den Atem stocken. Die ohnehin überschaubare Zahl schwuler Kollegen, mit denen Gideon befreundet ist, reduziert sich schlagartig: Sie ziehen sich plötzlich zurück, kündigen oder werden gekündigt, sterben oder befürchten, bald der Nächste zu sein. Die Party ist vorbei, noch ehe sie für Gideon richtig angefangen hat. Und gerade erst Teil einer Gemeinschaft geworden, glaubt er sich auch schon wieder ausgeschlossen: „Ich sah mich selbst als den einzigen Schwulen auf der ganzen Welt ohne Aids, den einsamen Überlebenden eines wahren Pompeji versteinerter Liebhaber, wie ich schließlich doch als der erbärmliche Fantast dastand, der ich in Wahrheit immer schon gewesen war.“ Seine Gesundheit erscheint ihm als unnatürlich, und angesichts der sich ausbreitenden Krankheit fühlt er sich wie ein Aussätziger.
Das Schicksal teilen – stolz und mit erhobenem Haupt
Gideons lang aufgestaute Gier bricht sich nun Bahn. Er stürzt sich in den Exzess, von einer sexuellen Begegnung in die nächste, und hofft dabei, dass auch ihn diese „verdammte Krankheit erwischen würde“. „Ich kann mir ausmalen, was vor mir liegt“, resümiert er nüchtern seine Abenteuer, „aber ich bleibe merkwürdig furchtlos, und letzten Endes habe ich darum gebettelt. Bis jetzt ist so viel in meinem Leben eine Fälschung gewesen, dass ich sogar eine tödliche Dosis Realität begrüße.“
Für Gideon und seine Generation bleibt an diesem Punkt der Geschichte nur die Trauer über die verlorengegangene Lebenslust. Und Gideon ist bereit, dieses Schicksal zu teilen – stolz und mit erhobenem Haupt.
Gilbert Adair: „Buenas Noches, Buenos Aires“. Aus dem Englischen von Jochen Schimmang. Ch. H. Beck Verlag, 176 S., 18,95 Euro