Von Nina Weber
Am Samstag taten sie es wieder: Homöopathie-Kritiker schluckten bei der Protestaktion “10:23″ massenweise sogenannte Globuli. Den gesamten Inhalt eines Röhrchens voller homöopathischer Pillen nahmen sie auf einmal zu sich, um zu beweisen: “There’s nothing in it” – “Es ist nichts drin”. Kein pharmakologischer Wirkstoff, nur Milchzucker. Denn eines der Grundprinzipien der Homöopathie ist die Verdünnung: Die Inhaltsstoffe werden zum Teil so stark verdünnt, dass sich rein rechnerisch kein einziges Wirkstoffmolekül mehr im fertigen Präparat befindet. Deshalb konnten sich die Demonstranten sicher fühlen, die Überdosis schadlos zu überstehen. Im vergangenen Jahr fand die Aktion in Großbritannien statt, in diesem Jahr lief sie auch in sechs deutschen Städten.
Der Protest ist ein unterhaltsamer Auswuchs eines Dauerstreits: Haben homöopathische Mittel eine Wirkung, die über den Placeboeffekt hinausgeht? Placebos sind Scheinmedikamente ohne Wirkstoff. Sie werden in klinischen Studien verabreicht, um zu ermitteln, ob das getestete, echte Mittel eine größere Wirkung erzielt. Der Placeboeffekt kann bei jeder medizinischen Therapie auftreten – vom Arztgespräch bis zur Operation.
Zahlreiche Studien haben die Effekte homöopathischer Therapien untersucht – eine Wirksamkeit jenseits des Placeboeffekts wurde nie bewiesen. Trotzdem sind die Diskussionen um vermeintliche Heilerfolge der Homöopathie noch zahlreicher als die Studien. Und dabei fällt immer wieder ein Argument von Seiten der Homöopathie-Unterstützer: Die Methode wirke auch bei Kleinkindern und Tieren. Bei ihnen sei aber kein Placeboeffekt möglich: Sie könnten schlicht nicht begreifen, dass und wie ihnen eine Behandlung helfen soll.
Placeboeffekt bei Kindern: stärker als bei Erwachsenen
Experten widersprechen. “Dass Homöopathie bei Kleinkindern und Tieren einen Effekt erzielt, ist kein Argument dafür, dass sie eine Wirkung jenseits des Placeboeffekts besitzt”, sagt Paul Enck von der Universitätsklinik Tübingen, einer der führenden Placebo-Spezialisten in Deutschland. “Aus den wenigen Daten, die man zum Placeboeffekt bei Kindern hat, ist ersichtlich, dass er sogar größer ist als bei Erwachsenen.”
Die Datenmenge bei Kindern ist vergleichsweise klein. In der Grundlagenforschung zu Placeboeffekten, bei der Probanden oft leichte Schmerzen zugefügt werden oder Übelkeit ausgelöst wird, verbietet sich die Arbeit mit ihnen. Auch placebokontrollierte Studien zur Wirkung von Medikamenten werden deutlich seltener mit Minderjährigen durchgeführt. Einige Untersuchungen gibt es trotzdem. So zeigte etwa eine Analyse mehrerer Studien von Epilepsie-Patienten, dass der Placeboeffekt bei Kindern und Jugendlichen deutlich größer war als bei Erwachsenen.
Laut Enck beruht die Wirkung auf der Erwartungshaltung des Patienten, dass die Behandlung wirken muss, sowie auf einer Konditionierung: Wenn die Spritze beim letzten Mal dafür gesorgt hat, dass die Schmerzen abgeklungen sind, wird das auch dieses Mal wieder passieren. “Das sollte bei Kindern noch viel besser funktionieren, da sie seltener bezweifeln, ob es alles stimmt, was ihnen da gerade erzählt wird. Wenn die Ärzte oder Eltern sagen, dass etwas hilft, dann glauben sie es”, erklärt Enck.
Placeboeffekt bei Tieren: Tierhalter beeinflusst Befinden
Auch bei einer Behandlung eines kranken Haustieres können Placeboeffekte eine Rolle spielen, glauben Veterinärmediziner. Zwar ist die Datenlage nicht so gut wie beim Menschen, die Zahl der Tiere in den Experimenten ist oft deutlich kleiner. Doch es gibt placebokontrollierte und Doppelblind-Studien wie in der Humanmedizin. “Doppelblind” bedeutet, dass weder Arzt noch Patient wissen, ob ein Placebo oder ein echtes Medikament verabreicht wird. Bei den Tierexperimenten wird zusätzlich auch der Besitzer im Unklaren gelassen.
In einer Studie etwa sollten Hundehalter die Zahl der Epilepsieanfälle ihres kranken Tiers nach einer Behandlung dokumentieren. Tatsächlich hatten auch die Tiere in der Placebogruppe weniger Anfälle als zuvor. Für eine andere, von Osloer Forschern durchgeführte Studie an 80 Hunden sollten Besitzer einschätzten, ob ihre an Hüftdysplasie leidenden Tiere unter weniger Schmerzen litten – und bestätigten das auch in den Fällen, in denen der Hund nur das Scheinmedikament bekommen hatte.
Allerdings ist bei solchen Studien oft unklar, ob sich der Placeboeffekt beim Tier selbst abspielt – oder vielmehr bei seinem Besitzer, dessen Verhalten dann dazu führt, dass es dem Tier besser geht. “Ob ein Tier mit der Behandlung in Verbindung bringen kann, dass sich sein Krankheitszustand bessern sollte, wage ich zu bezweifeln”, sagt Ernst Petzinger von der Justus-Liebig-Universität Gießen. “Daher wird es sich nicht im Sinne einer Heilung durch Suggestion selbst heilen können.” Es sei höchstens vorstellbar, dass dieser Effekt bei sehr sensiblen, stark auf den Menschen geprägten Haustieren zum Wohlbefinden beiträgt – vor allem bei Hunden, bei Pferden und eventuell bei Katzen, wenn vermehrte Aufmerksamkeit und Zuwendung durch den Tierbesitzer hinzukommt.
Heidrun Potschka von der Tierärztlichen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität in München äußert sich ähnlich: “Die Besitzer beschäftigen sich während oder nach einer medizinischen Therapie intensiver mit dem Tier, was seinen Zustand verbessern kann.” Ebenso ist es möglich, dass ein Besitzer eine Veränderung wahrzunehmen glaubt, die es gar nicht gibt – weil er erwartet, dass es seinem Haustier besser geht.
Laut Potschka können Tiere allerdings auf einen Placeboeffekt trainiert werden: “Erhalten sie mehrmals eine Tablette oder Injektion mit einem Wirkstoff und danach ein Placebo, kann das durchaus eine Wirkung hervorrufen.” Ein Hund könne es durchaus in Zusammenhang bringen, dass eine Tablette oder Injektion Erkrankungssymptome lindere. In einigen Studien sei sogar ein ähnlich hoher Placeboeffekt beobachtet worden wie in der Humanmedizin.
Die Protestler, die sich am Samstag Globuli-Überdosen gaben, dürften dagegen von jedweder Wirkung verschont bleiben – ihnen wird schlicht der notwendige Glaube fehlen.
Quelle: Spiegel Online