Das Internetportal Gayromeo zieht täglich hunderttausende Schwule an. Sie chatten mit Freunden, suchen den Mann fürs Leben oder machen ein Sexdate klar. Aber alle wissen: Wenn sie Fragen zu HIV haben, können sie sich rund um die Uhr Rat holen – beim Online Health Support
Montagabend, halb sieben. 38.000 Männer sind online. Um halb acht sind es fast 42.000. Alle 30 Minuten loggen sich 2000 neue User ein. Und das sind nur die deutschen Benutzerzahlen… Die Dating-Website Gayromeo zieht schwule Männer magisch an. Sie chatten mit Kumpels, suchen schnellen Sex und hoffen auf den Mann fürs Leben.
Auch Philipp Moskophidis ist online. Aber der 37-jährige Hamburger hat keine Augen für die aufwendig gestalteten Profile, in denen die User dutzende Fotos von sich zeigen, Hobbys, Körpergewicht und ihre sexuellen Vorlieben auflisten. Philipp ist hier, um Fragen zu beantworten. Denn der Mitarbeiter des schwulen Infoladens Hein & Fiete gehört zum Team des Online Health Support (OHS).
Seit 2007 gibt es den Beratungsservice auf Gayromeo. Auf der Startseite hat er sogar sein eigenes Icon, einen Doktor im weißen Kittel. Hier kann jeder User seine Fragen zu Safer Sex und zur Gesundheit allgemein loswerden. Er muss nur eine Nachricht an Philipp oder einen seiner Kollegen schicken.
Die häufigste Frage: Habe ich mich mit HIV angesteckt? Oft ist die Befürchtung unbegründet. „Ich versuche deshalb, jede Frage so konkret wie möglich zu beantworten, ohne die Ängste weiter zu schüren“, berichtet Philipp. In vielen anderen Fällen wollen die User nur wissen, wo sie einen HIV-Test machen lassen können. Dann schickt Philipp Adressen und Öffnungszeiten, der nächstgelegenen Beratungszentren.
Das Besondere: Der Online Health Support ist ein Peer-Projekt. Das heißt Schwule beraten Schwule. „Gechattet wird auf Augenhöhe“, betont Martin Jautz, der den OHS koordiniert.
Gechattet wird auf Augenhöhe
„Die User haben nicht das Gefühl, mit dem Herrn Doktor zu sprechen.“ In einer Liste sieht der User die Ansprechpartner, an die er sich wenden kann. Gayromeo sortiert die Aidshilfen, Präventionsteams und Personenprofile automatisch. Wer sich in Hamburg einloggt, findet an oberster Stelle den Infoladen Hein & Fiete, für den auch Philipp arbeitet. „Ich kann mir aber vorstellen, dass manche User lieber die Teams anschreiben, die am weitesten von ihnen entfernt sind“, sagt der lachend – gerade die Anonymität mache den Online Health Support als Informationsquelle so beliebt.
Rund 15.000 Nachrichten erreichten den Online Health Support im Jahr 2010. Die Zahl wächst jedes Jahr um etwa ein Drittel. 60 Prozent der Fragen drehen sich um HIV und Aids, 10 Prozent um andere sexuell übertragbare Krankheiten. Die restlichen verhandeln andere Gesundheitsthemen und das schwule Leben allgemein. Dauerbrenner: Die Ansteckungsgefahr beim Oral- oder Analverkehr und bei anderen Sexpraktiken.
70 Präventionsteams mit rund 120 Ehrenamtlichen stehen hinter dem Online Health Support
Die User lieben den spontanen Gesundheitscheck: Die meisten Dialoge entstehen im Live-Chat, die wenigsten User hinterlassen eine Nachricht bei einem Beratungsprofil, das gerade offline ist.
Hinter dem Online Health Support stehen rund 70 Präventionsteams, insgesamt sind etwa 120 ehrenamtliche Berater im Einsatz. Jeden Monat opfern sie mindestens zehn Stunden ihrer Freizeit, um die Gesundheitsfragen anderer User zu beantworten. Das Ziel: Die immer aktive Internet-Community rund um die Uhr mit Infos zu versorgen.
Auch Profi-Berater Philipp ist jede Woche mehrere Stunden für das Team „hein_und_fiete“ eingeloggt. Höchstens 48 Stunden darf eine Antwort auf sich warten lassen. Da Philipp nicht erfährt, wie seine Nachricht beim Empfänger ankommt, wägt er seine Worte entsprechend vorsichtig: „Vor dem Absenden lese ich die Nachricht noch einmal sehr sorgfältig durch.“ In jedem Fall fragt Philipp am Ende seiner Mail nach, ob er weiterhelfen konnte und ermuntert zu Nachfragen.
Groß auffordern muss man die Internetnutzer in der Regel aber nicht. Im Gegenteil. „Bei der klassischen Vor-Ort-Arbeit in Kneipen dauert es oft lange, bis ein Gespräch entsteht“, weiß Clemens Sindelar von der Deutschen AIDS-Hilfe, der den OHS fachlich betreut. „Im Netz kommen die Leute dagegen sofort auf den Punkt. Die Online-Kommunikation wirkt deshalb oft aggressiv – es fehlt das Vorgeplänkel.“ Eine weitere Besonderheit: „Man hat nur den Text, um sich auszudrücken – keine Mimik, keine Prosodie“, so Sindelar. Die Antworten sollten zwar besonders genau und deutlich sein, ohne aber trocken und unpersönlich zu werden. Sindelars Fazit: „Der Austausch im Internet strengt mehr an als ein Live-Gespräch – obwohl ein Mausklick genügen würde, um das Gespräch abzubrechen.“
Der Online Health Support ist kein Ersatz für andere Beratungsformen
Trotz des Erfolges – sogar aus Afghanistan und Indien kommen Anfragen – kennt das Team die Grenzen des OHS. „Der Übergang zur psychosozialen Beratung ist fließend“, stellt Clemens Sindelar fest. Doch eine Intervention in einer Krisensituation passt nicht gut in das mit einem Mausklick beendete Gayromeo-Setting. „Der Online Health Support ist kein Ersatz für andere Beratungsformen“, stellt Martin Jautz klar. Bei Bedarf verweise man an andere Einrichtungen. Aber: „Am Ende entscheidet der User, welche Form der Unterstützung er wählt.“
Einziges Manko des Online Health Support: Es gibt ihn bisher nur auf Gayromeo. Das soll sich möglichst bald ändern. „Ziel ist eine Beratungs-Application, die jeder Online-Anbieter ohne großen Programmierungsaufwand in sein Portal einbinden kann“, erklärt Clemens Sindelar. Noch 2011 will die Deutsche AIDS-Hilfe ein entsprechendes Projekt anschieben.
Philip Eicker