„Naaa?“
Kalle schaut mich mit breitgrinsender Verschwörermine an.
„Was Naa?“
Worauf will er denn jetzt schon wieder hinaus?
„Hast Du Post gekriegt?“
„Post? Von wem?“
„Von wem schon? Von der Verwaltung natürlich!“
Ach so! Meine Stimmung fällt auf annähernde Gefrierpunkttemperatur.
„Du meinst den Blauen Brief!“
Kalle nickt und grinst noch breiter. Seit einiger Zeit hat der Herr Verwaltungsdirektor jedem von uns ein hochoffizielles Schreiben zukommen lassen. Darin steht geschrieben, dass man sich im Rahmen des Qualitätsmanagements dazu entschlossen habe, dafür zu sorgen dass alle Arztbriefe zeitnahestens fergiggestellt werden müssen. Von daher wolle man alle Ärzte doch noch einmal darauf hinweisen, dass diese Angelegenheit von höchster Wichtigkeit sei. Der Verwaltungsdirektor habe gemeinsam mit allen wichtigen Bürokraten eine entsprechende Zielvereinbarung getroffen undsoweiter blablabla. Jedenfalls kriegen wir Ärzte seither in regelmässigen Abständen eine Liste, in welcher die noch ausstehenden Briefe angemahnt werden.
„Welcher ist länger? Deiner oder meiner?“ grinst Kalle.
Ich zucke mit den Schultern. Das einzige was ich weiß ist, dass Sarahs Liste mit Abstand die Kürzeste ist, die macht nämlich seither täglich unbezahlte Überstunden. Kalle hingegen greift zielsicher ins Postfach, zieht meine Mahnliste heraus und steckt sie gemeinsam mit seinem eigenen Zettel ungesehen in den Schredder.
„War doch okay so, oder?“ fragt er hinterher.
Ich nicke. Gemeinsam gehen wir nach oben auf die Station. Auf meinem Schreibtisch im Arztzimmer liegt eine Patientenakte. Darauf klebt ein gelber Post-It-Zettel:
„Wichtig!!!“ steht da in der Handschrift unserer Sekretärin, „Sofort diktieren!“
Kalle seufzt. Er knibbelt den Zettel herunter, zerknüllt ihn und schmeißt ihn in den Papierkorb. Dann nimmt er die Akte und wirft sie auf den beindruckend hohen Stapel in der Ecke.