Medizin, Demokratie, und Bauingenieure

„…und damit komme ich zum Schluss meines Vortrages, sehr verehrte Damen und Herren,“ Dr. Wuschelmann blickt in die Runde und nippt an seinem Wasserglas. „…Vielfalt statt Monotonie, das ist mein Credo. Ich habe Ihnen jetzt ausführlich erläutert, warum ich von alternativen Heilmethoden überzeugt bin. Nirgendwo gibt es eine alleinseligmachende Wahrheit. Daher möche ich Sie bitten, Ihre Scheuklappen abzulegen und der Naturheilkunde und Alternativmedizin gegenüber offener zu sein!“
Er lächelt in die Runde.
„Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!“
Das Publikum applaudiert. Wir befinden uns auf einer Fortbildungsveranstaltung, zu der das Ärzenetz Bad Dingenskirchen eingeladen hat. Ein Pharmareferent spendiert Schnittchen und Getränke. Auf den Stühlen sitzen überwiegend leicht angegraute Hausärzte. Die paar Kollegen aus dem Krankenhaus haben sich ganz hinten versteckt, nur Oberarzt Heimbach sitzt in der ersten Reihe.
Der Pharmareferent dankt dem Vortragenden und schaut in die Runde.
„Gibt es noch Fragen?“
Heimbach meldet sich.
„Herr Kollege, darf ich Sie zu einem Gedankenspiel einladen?“
Dr. Wuschelmann runzelt die Stirn.
„Stellen Sie sich vor,“ fährt Heimbach fort, „Sie wollen eine Brücke bauen. Eine große lange Autobahnbrücke über ein tiefes Tal. Sie haben da ein paar Bauingenieure engagiert. Einer davon ist so ein Ingenieur, wie er im Buche steht: Nickelbrille, kariertes Hemd, Cordhose, Bleistift hinterm Ohr und Laptop unterm Arm. Der hat Ihnen einen Plan gemacht und alles schön berechnet. Einverstanden?“
Dr. Wuschelmann nickt.
„…und jetzt geht die Tür auf und noch ein paar andere Ingenieure kommen rein. Einer davon trägt eine schwarze Soutane und ein Kreuz um den Hals.“
Ein paar Anwesende lachen.
„…der Herr Pfarrer spricht ein paar Gebete und zeichnet einen zweiten Plan. Und dann geht die Tür erneut auf und ein buddhistischer Mönch kommt herein…“
Vielstimminges Raunen im Saal.
„…und nach dem buddhistischen Mönch kommt ein indianischer Schamane. Dann ein Imam, ein Rabbi und schließlich ein Voodoo-Priester. Und so weiter und so weiter. Und jeder von denen zeichnet einen Plan für die Brücke. Und jetzt frage ich Sie, Herr Kollege, welchen Plänen würden Sie wohl vertrauen?“
Dr. Wuschelmann bleibt still.
„Was würden Sie wohl um die Meinung der Schamanen und Voodoo-Priester geben?“
Dr. Wuschelmann kratzt sich am Kopf.
„Sie könnten mir vielleicht sagen, ob die Autobahnbrücke überhaupt notwendig ist!“ sagt er leise.

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