Koma-Saufen: Säuft die Jugend ab?

Der neue Sucht- und Drogenbericht 2008 wurde am Montag in Berlin veröffentlicht. Und da gibt es so einiges unerfreuliches zu vermelden. Sabine Bätzing, Drogenbeauftragte der Bundesregierung, freute sich bei stern.de, dass die Erstkonsumenten von illegalen Drogen zum dritten Mal in Folge zurückgegangen seien. Aber zeigte sich zugleich besorgt. „Was uns Sorge macht, ist der exzessive Alkoholkonsum von Jugendlichen. Der ist stark gestiegen: von 34 Gramm auf 50 Gramm Alkohol pro Woche”, so die Drogenbeauftragte weiter. Koma-Saufen ist Trend. Eine Freizeitbeschäftigung, die oftmals in der Notaufnahme eines Krankenhauses endet. So eine aktuelle Studie der Techniker Krankenkasse. Um gfotolia_13210974_xsenau zu sein: 20 000 mal jährlich.

Im Gespräch mit Karsten Strauß, Arzt und Experte für Suchtmedizin, suchen wir nach Gründen. Ein Erklärungsversuch.

MedPR: Koma-Saufen liegt im Trend. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Karsten Strauß: Wenn ich das wüsste und auch noch in zwei Minuten erklären könnte – wär‘ schon genial. „Vielschichtig“ sagt man deshalb gern an dieser Stelle und irgendwo stimmt das auch. Aber vielleicht gibt es so etwas wie eine Grundbefindlichkeit, die zum Koma-Saufen führen kann: schnell und egal. „Wozu langsam trinken und immer beduselter werden – kotzen muss ich sowieso. Dann besser zehn Kurze weg, bevor der Körper überhaupt was registriert. Dann den Hammer!“ Schnell und egal ist übrigens durchaus nicht nur das Credo des Einzelnen, sondern auch der Gesellschaft, in der erlebt. Und auch das seiner Kumpel, denn die helfen netterweise in der Regel beim Abfüllen, wenn‘s mit der eigenen Koordination nicht mehr so klappt. Deshalb ist Koma-Saufen kein individuelles Ding, sondern eigentlich immer ein Rudel-Phänomen (Rudel-Saufen).

MedPR: Warum verfallen Menschen dem Alkohol?

Karsten Strauß: Wir wissen es nicht. Wir wissen bis heute nicht, weshalb der Eine sein tägliches Gläschen Wein zum Abendbrot trinken kann und niemals abhängig krank sein wird, für den Anderen das erste Glas der Einstieg in die Suchtkrankheit ist. Rückblickend fällt uns immer manches auf, aber eine schlüssige Prognose abgeben – nein.
Allerdings: wir müssen das krank machende Potenzial einer Substanz beachten und das hat in der Regel auch mit der Dosis zu tun. Substanzen unterscheiden sich da aber sehr und niemandem ist geholfen, wenn wir so tun, als wäre Suchtkrankheit gleich Suchtkrankheit, unterschiedslos.

MedPR: Wie gefährdet sind Jugendliche in Bezug auf Abhängigkeit? Koma-Saufen als erster Schritt in die Abhängigkeit?

Karsten Strauß: „Prognosen sind meistens schwierig, besonders, wenn sie die Zukunft betreffen.“ (Karl Valentin)
Ich glaube, Jugendliche sind am stärksten durch Perspektivlosigkeit, Hoffnungslosigkeit und eine Scheiß-egal-Mentalität gefährdet. Wenn ein Rahmen fehlt, wird‘s uferlos. Abtauchen in Alkohol versperrt wenigstens die Sicht darauf. Es hat wahrscheinlich seinen Grund, dass nicht nur Abhängigkeitserkrankungen zunehmen, sondern auch psychische Erkrankungen, genauer: psycho-somatische. Aktueller Bezug: wir haben zwar immer mehr Ärzte in Deutschland, dennoch herrscht inzwischen Ärztemangel: Immer mehr Menschen werden krank!

Die Person Karsten Strauß:
Karsten Strauß (59) ist Arzt, Suchtmediziner, Sozialpädagoge, Akupunkteur und Buchautor. Seit mehr als 35 Jahren arbeitet der Mediziner im Bereich der Suchtmedizin und verhilft diskret Menschen vom Substanzkonsum und einer damit verbundenen Abhängigkeit loszukommen – ohne riskante Nebenwirkungen für Ansehen, Karriere und soziales Umfeld. Ein aktueller Beitrag mit dem Thema “Alkoholkonsum bei Kindern und Jugendlichen” erscheint voraussichtlich im Juni 2009 im Forum-Verlag.
Strauß verantwortet seit 1998 das Institut für Suchtmedizin Strauß & Partner.  Zu den Klienten zählen bei der Problembegleitung überwiegend Privatpersonen, im Bereich Prävention Unternehmen und ärztliche Kollegen. Er bietet Tagesseminare  und Workshops zu den Themen „Dopen für den Job – ja, und?“ und „Sucht & Alter“ an.
Zuletzt wirkte Strauß bei dem DAK-Gesundheitsreport 2009 als Experte mit.

Weitere Informationen unter www.karsten-strauss.info oder www.suchtmedizin.de

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