Tag zwei. Der Kongress nimmt Fahrt auf. Beim Programm gibt es wie immer die Qual der Wahl. Ich entscheide mich für eine Podiumsdiskussion zum Thema „HIV im Erwerbsleben“. Ein Thema, das in den letzten Jahren immer mehr Beachtung gefunden hat – und das zu Recht. Geht man doch davon aus, dass zwei Drittel aller Menschen mit HIV erwerbstätig sind.
Auf dem Podium berichten Positive über ihre unterschiedlichen Strategien im Umgang mit dem Thema HIV an ihrer Arbeitsstelle. Was spricht für ein positives Coming-out am Arbeitsplatz? Wann sollte man das besser bleiben lassen? Und wie lebt man mit der latenten Angst vor einer unfreiwilligen Veröffentlichung durch andere? Die Erfahrungen der Podiums-Teilnehmer sind sehr unterschiedlich. Sie reichen von guter Resonanz der Kollegen bis zu Mobbing nach dem Outing. Zwischen diesen Extremen gibt es in der Mehrzahl aber sehr individuelle und dosierte Strategien der Mitteilung. Das „nicht mehr verstecken müssen“ kann erleichternd sein. Doch auch die Entscheidung, genau das nicht zu tun, kann Beleg für einen selbstbestimmten Umgang mit der Infektion sein, denn auch dafür kann es gute Gründe geben. Ein Patentrezept gibt es nicht.
Gute Gründe für ein sehr öffentliches Coming-out als HIV-Positive hatten 10 Männer und Frauen aus Niedersachsen. Ihre Gesichter und Geschichten sind auf einer Straßenbahn zu sehen, die bis Ende des Jahres durch Hannover fährt. Eine Geschichte ist von Doreen. Sie ist 31 und seit sechs Jahren positiv. Ich habe sie gefragt, warum sie so öffentlich mit ihrer Infektion umgeht. „Ich hatte einfach keine Lust mehr, mich zu verstecken und ein Netz von Lügen aufzubauen. Heute lebe ich viel freier.“ Die gute Nachricht: Die Reaktionen waren durchwegs positiv.
Nach all den vielen Eindrücken sehnte ich mich nach etwas Erholung – und da ist mir Gärtner Tom begegnet, der im „Garten der Lüste“ Äpfel verteilt. Tom ist natürlich nicht wirklich ein Gärtner, und hinter dem Garten der Lüste verbirgt sich der Stand einer Pharmafirma. Manchmal ist es aber einfach schön, dem schönen Schein der Illusion zu erliegen – und fürs Gärtnern habe ich mich ja schon immer interessiert.