Die Internetplattform Academic Earth bietet zahlreiche Video-Vorlesungen der großen Universitäten, wie z.B. Yale, Harvard und Stanford, zu unterschiedlichen Themen an. Darunter auch eine Einführung in die Psychologie. Ich habe bisher die ersten beiden Vorlesungen gesehen und kann den Onlinekurs soweit sehr empfehlen: Introduction to Psychology Paul Bloom / Yale University
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Frage (Update 29)
Bin ich der einzige, der die gestrige ARD-Dokumentation über die von der bösen Pharmaindustrie seit 20 Jahren verhinderte rosafarbene Vitamin-B12-Salbe namens “Regividerm”, die Neurodermitis zu “heilen” in der Lage ist, spontan für einen aberwitzigen PR-Stunt erster Güte hält?
Hier der Link zur Sendung.
Die Süddeutsche Zeitung glaubt die Geschichte.
Fefe, unumstrittener Experte für Verschwörungen jeglicher Art, glaubt sie auch.
Die Home-Page des Herstellers: www.regividerm.de
Wir haben uns deshalb gegen alle Widerstände entschlossen, Regividerm® Salbe selbst zu produzieren und hoffen, damit schon bald den Betroffenen der großen Zivilisationskrankheiten Neurodermitis und Psoriasis (Schuppenflechte) wirksam und nebenwirkungsarm helfen zu können!
Update: Mehr über die Hintergründe gibt es in einem gut 5 Jahre alten Artikel der Boocompany.
Update 2: Vielleicht fehlt ja dem Autor auch ein wenig Abstand zu seiner Geschichte:
Update 3: Martens’ Rezeptbuch zur Doku erreicht Platz 5 der Amazon-Bestsellerliste.
Update 4, 14:30: Platz 3. Herta Müller ist gepackt. Da geht noch was.
Update 5, 17:45: Wer das Rezeptbuch noch nicht bestellt hat, kann sich auch gleich die fertig zusammengerührte Wundersalbe holen. Das ging ja dann doch erstaunlich fix, wenn man das resignierte Gejammer im Film noch vor Augen hat.
Update 6. 18:05: Die Süddeutsche Zeitung bringt einen weiteren Artikel und hat noch nicht Lunte gerochen:
So lange wird er jedenfalls nicht mehr auf Regividerm warten müssen, dem Mann kann geholfen werden. Siehe Update 5.
Update 7: Ich habe ja schon so manche Markteinführung von fragwürdigen Medikamenten und Medizinprodukten verfolgt. Aber diese Geschichte hier hätte man nicht besser inszenieren können. Allein das Timing ist schon ein Meisterstück.
Update 8: Meine absolute Lieblingsstelle im Film ist übrigens ein Zitat von Professor Peter Altmeyer, einem der verantwortlichen Wissenschaftler der beiden bislang bekanntgewordenen Regividerm-Studien (bei ca. 11:25):
Update 9: Hier hat sich jemand die beiden rosabedingt unverblindeten Studien genauer angesehen und ist nicht überzeugt.
Update 10: Die Süddeutsche Zeitung freut sich jetzt in ihrem dritten ahnungslosen Artikel mit uns, dass Regividerm überraschenderweise doch nicht erst in 14 Jahren zu haben sein wird.
TV wirkt.
Update 11: In einem hektisch nachgeschobenen vierten Artikel beginnt die Süddeutsche Zeitung jetzt, mit kräftigen Schlägen zurückzurudern. Aber sie glauben immer noch, dass die Studien verblindet gewesen seien:
Nein. Denn wir wissen ja:
[Edit: In der zweiten Studie ging es dann doch, obwohl “das rosa ist”. Der unglaubliche Trick: Die Placebosalbe war auch rosa!]
Und:
Hätte mich ehrlich gesagt auch überrascht.
Update 12: 21.10., 21:00 Jetzt übernimmt Spiegel Online die PR-Arbeit für die Wundersalbe.
Update 13: Martens bekommt bei Frank Plasberg mit einem seltsam deplaziert wirkenden Auftritt noch einmal eine Plattform für seine Wundersalbenmär, eiert aber gewaltig herum und kommt in der Diskussion mit den anderen Gästen schwer unter die Räder (gegen Ende der Sendung). Auch Markus Grill, nicht im Verdacht, ein Pharmalobbyist zu sein, zeigt sich überaus skeptisch. Er weist auf einen weiteren fundamentalen Denkfehler in der Geschichte hin: Der Preis der Zutaten bestimmt in diesem Markt bekanntermaßen nicht den Preis des Medikaments. Ganz im Gegenteil könnte ein Pharmaunternehmen, das die Patentrechte besitzt, nahezu jeden beliebigen Preis für die Salbe verlangen, wenn sie denn nur besser wirken würde als Vergleichspräparate (wofür es in den beiden vorliegenden Studien keinerlei Anhaltspunkte gibt). Eine zentrale Säule von Martens’ Verschwörungstheorie ist es ja, dass der “günstige” Preis der Salbe quasi vom Erfinder oder durch den geringen Preis der Zutaten vorgegeben sei, und dadurch im Falle einer Vermarktung der Salbe durch Big Pharma der bisherige große Reibach mit teuren (und schlechten) Präparaten ein Ende gehabt hätte.
Update 14: Jetzt ist die Story in den Nachrichten der ARD-Radiosender angekommen. Als Quelle für die Geschichte dient Spiegel Online. Märchen-Ping-Pong.
Update 15: Im Ökotest-Forum, in dem die Geschichte fachkundig kommentiert wird, ist ein weiterer eklatanter Widerspruch aufgefallen:
Er wurde gestern von Plasberg gefragt, was denn Klingelhöller von dem Spinner in der Garage unterscheide.
Martens (sinngemäß): er hat erst klinisch geprüft und dann versucht, zu vermarkten.
Ja klar. Augenrollen
Für das angebliche “Jahr Recherche” ist das aber sehr mager. Er widerspricht damit sogar seinem eigenen Bericht. Aus dem Bericht geht klar hervor, dass die Mini-Studien erst nach 2000 angeleiert wurden.
Das Patent läuft dagegen auf 1994 und er hat das nach dem Bericht nach schon 1994 mehreren Firmen angeboten. hat Martens seinen eigene Film nicht gesehen?
Update 16: Ein Leser weist uns in den Kommentaren darauf hin, dass zur rechtzeitigen Erteilung der PZN (Pharmazentralnummer) für Regividerm eine Anmeldung spätestens am 25.9. notwendig war (links auf “Redaktionskalender” klicken). Dieser Termin liegt vor der ersten uns bekannten öffentlichen Erwähnung der Martens-Doku in einer KNA-Pressemeldung von 29.9. Ist noch irgendeine Aussage der Protagonisten übrig, die sich noch nicht als falsch entpuppt hat? (Siehe dazu auch diesen Kommentarthread. )
Update 17: Regividerm: Wenn die Ethikkommission Urlaub hat…
Update 18: Wir begrüßen fast drei Tage nach der Sendung die Deutsche Apotheker Zeitung als das erste “Mainstream-Medium”, das den Verstand wenigstens nicht komplett an der Garderobe abgegeben hat.
Update 19: Jetzt geht es Schlag auf Schlag. Die Augsburger Allgemeine – die seinerzeit sogar unser Bankhofer-Video eingebunden hatte – schenkt uns einen Link.
Update 20: Auch der zu Beginn des Artikels erwähnte Blogger Fefe rudert jetzt zurück:
Update 21: Nachdem die eidgenössische Presse erst in breiter Front unkritisch auf das Thema eingestiegen war, vernehmen wir jetzt deutliche Worte aus der Schweiz:
Update 22: Aus dem gleichen Text eine Passage, die meine Ausgangsthese noch einmal schwarz auf weiß bestätigt:
Update 23: Die dpa ist zwar spät dran, dafür hat sie trotzdem nichts kapiert. Erbärmlich.
Update 24: Wenigstens die Nachdenkseiten haben, wenn auch spät, das getan, was ihr Name verspricht.
Vielleicht auch ein Vorbild für andere?
Update 25: Der Deutsche Neurodermitis Bund meldet sich zu Wort:
[…]
Die ARD hat mit diesem Beitrag den etwa fünf Millionen Neurodermitikern einen Bärendienst erwiesen und sich selbst journalistisch ins Abseits gestellt.
Update 26: Unterdessen sackt der vom Lügengebäude übriggebliebene Trümmerhaufen noch weiter in sich zusammen (vgl. Update 16):
Update 27: Medienjournalist Stefan Niggemeier nimmt sich im FAZ-Fernsehblog den “Hart aber fair”-Moderator Frank Plasberg zur Brust:
Update 28: Hier noch ein pikantes Detail aus dem oben verlinkten Artikel der Deutschen Apotheker Zeitung:
Das würde man bei einer Bankhofer-Sendung in einem dubiosen Spartenkanal mit finanziellen Verbindungen zur Medienaufsicht eher erwarten. Allerdings gibt’s solcherart CDs für den Anbieter des angepriesenen Produkts dort üblicherweise nicht umsonst.
Update 29: Auch der Deutsche Psoriasis Bund (DPB) meldet sich zu Wort und fordert eine Entschuldigung von der ARD:
[…]
Der DPB hat den Vorsitzenden der ARD-Intendanten aufgefordert, sich mediengerecht, öffentlich für die Missachtung publizistischer Grundsätze bei den Menschen mit Schuppenflechte zu entschuldigen und den Deutschen Presserat angerufen.
Hilfe für Medizinjournalisten
Das Journal of the National Cancer Institute (JNCI) macht sich Gedanken, wie Medizinjournalisten geholfen werden kann, qualitativ bessere Arbeit abzuliefern. In einem Editorial analysieren Steven Woloshin, Lisa M. Schwartz und Barnett S. Kramer die Berichterstattung von einigen wissenschaftlichen Artikeln und Erkenntnissen und kommen zu dem Schluss:
Es soll jedoch nicht bei der Kritik bleiben. Zum einen können nach Ansicht der Autoren die Zeitschriften die aggregierten Resultate wie absoluten Risiken oder Einschränkungen besser kommunizieren. Einige Journals präsentieren schon Zusammenfassungen wie “Limitations”, “Contexts and Caveats” oder “Bias, confounding, and other reasons for caution”, die die Bewertung für Journalisten, aber auch für andere Interessierte erleichtern soll.
Das JNCI hat sich entschlossen mehr zu tun. Die Zeitschrift hat eine Website gestartet, die Journalisten helfen soll, es richtig zu machen (“get it right”). Den Anfang machen auf der Internetseite eine Reihe von Tipps, die die Autoren für ein Buch entwickelt und für Journalisten angepasst haben.
Die erste Handreichung enthält zwei Glossare mit Definitionen und Beispielen für typische statistische Masse, die in medizinischen Veröffentlichungen verwendet werden. Ein weiteres Dokument soll Journalisten bei der Intepretation helfen, was die gefunden Resultate aussagen, welche Bedeutung sie haben und ob sie missverständlich sein können. Wenn es darauf keine Antwort gibt, legen die drei Wissenschaftler den Journalisten nahe, die Story zu vergessen. Ausserdem gibt es noch Vorschläge für angemessene Formulierungen, was für deutsche Medizin-Journalisten nur begrenzt von Nutzen ist.
Für Nachhilfe in Sachen Interpretation von medizinsichen Studien brauchen deutsche Journalisten gar nicht so weit zu surfen. Das Ärzteblatt hat eine mittlerweile 9-teilige Serie zur Bewertung wissenschaftlicher Publikationen veröffentlicht. Gleich 24 Teile hat die Statistik-Serie der Deutschen Medizinischen Wochenschrift aus dem Jahr 2007. Zu finden auf mit der Suche nach dem Stichwort “Statistik-Serie”, die aber eher was für Hardcore-Einsteiger und Wiedereinsteiger ist.
Österreich: Pharmaunternehmen sammeln Patientendaten
In Österreich gelangen Pharmaunternehmen durch die zunehmende Praxis der Direktbelieferung von Apotheken und Ausschaltung des Pharmagrosshandels an die Daten von Parienten und Ärzten. Wie die Presseagentur APA berichtet lassen Pharmakozerne wie Abbott oder Wyeth (jetzt Pfizer) für hochpreisige Biologika die Lieferungen von Logistikunternehmen abwickeln. Die Apotheken müssen das Rezept als Einzelbestellung zu den Logistikern faxen. Das Pharmaunternehmen bekomme dafür die Daten von Patienten und des verschreibenden Arztes (inklusive der Grundes für die Verschreibung). Der Pharma-Grosshandel werde dabei ausgeschaltet. Damit ist ein Datenschutzmechanismus aushebelt. Beim klassischen Weg über den Grosshandel erhält ausschliesslich die Krankenkasse die personenbezogenen Daten. Eine Rolle spielt die Angst vor Parallelexporten. Der Grund für die Einschaltung der Logistik-Unternehmen sei zunächst einmal, dass diese Produkte besonders interessant für Parallelexporte seien, zitiert die APA in dem Artikel einen “Insider aus der Pharmaindutrie”.
Das ist nachvollziehbar, ist doch der Parallelhandel in der EU den Pharmakonzernen ein besonderes Ärgernis, den die Unternehmen auch in anderen Ländern mit Direktvertrieb begegnen. Beispielsweise vertreiben in Grossbritannien Pfizer und 16 andere Hersteller ihre Präparate exklusiv an die Apotheken oder haben den Vertrieb eingeschränkt. Auch die Kampagnen zu der Gefährlichkeit von Arzneimittelfälschungen zielen zum Teil auf die Kontrolle des Vertriebs ab. Wenn, wie vom EU-Parlament diese Woche beschlossen, demnächst Arzneimittelpackungen und Blister vom Apothekentresen bis zum Hersteller zurückverfolgt werden können, hilft das den Unternehmen, Quellen der Importeure auszutrocknen.
Weiter wird vom Insider” die Haftungsfrage angeführt, wenn in der Kühlkette etwas schief läuft würde es immer am Pharmakonzern hängenbleiben. Aber auch die Informationen sind begehrt:
Den Pharmakonzernen fallen damit erstklassige Daten zur Steuerung ihres Marketings und des Pharmaaussendienstes in die Hände. Nicht von ungefährt werden als Beispiele “Enbrel®” oder “Humira®” genannt – monoklonale Antikörper aus der Klasse der TNF-alpha-Blocker, die in Deutschland die beiden ersten Plätze bei den erfolgreichsten Neueinführungen in den letzten 10 Jahren anführen.
Auf europäischer Ebene hatte der Europäische Gerichtshofs (EuGH) hatte schon 2008 entschieden, dass Pharmaunternehmen ihre marktbeherrschende Stellung missbrauchen, wenn sie sich weigern, bestimmte Grosshändler zu beliefern, um auf diese Weise Parallelexporte zu verhindern. Allerdings hatten die EU-Richter den Konzernen einen Spielraum eingeräumt, um ihre geschäftlichen Interessen zu schützen. Die Definition dieses Freiheitsgrades ist jedoch den Mitgliedstaaten überlassen.
In Deutschland war in den letzten Jahren ebenso ein Trend zum Direktvertrieb zu beobachten. In den ersten sechs Monaten 2009 wurden 3,2 Millionen Packungen mit Originalpräparaten unter Ausschaltung des Grosshandels vertrieben. Der Trend scheint in Deutschland jedoch gebrochen zu werden. Mit der Novelle des Arzneimittelgesetzes haben Grosshändlern im letzten Jahr einen Belieferungsanspruch gegenüber den Pharmaherstellern bekommen.
Informationen von Ärzten oder Patienten werden hierzulande beim Direktvertrieb nicht von den Apothekern an die Pharmaunternehmen geliefert. Aber mit dem Aspekt des Sammelns von Arzt- und Patientensdaten für das Marketing hat das Thema zumindest in Österreich eine neue Dimension.