Sind Sie als Angehöriger eines außerklinischen beatmeten Patienten auch psychiatrisch erkrankt? Nein!? Sie wollen es nicht wahrhaben, wie ich. Denn ich musste in einer Facharbeit zur außerklinischen Beatmungspflege erfahren, dass dem so sei. In dieser Arbeit wurde nicht einfach ausgesagt, dass Zugehörige von langzeitbeatmeten Patienten psychiatrisch erkranken können. Eine Aussage, die ich ohne Beleg akzeptieren könnte. Sondern es wurde mit den drei Wörtern «sind meist auch» diese Hypothese generalisiert. Aber es fehlt der Facharbeit der Beleg einer wissenschaftlichen Erhebung darüber.
Wie gesagt, die Grundaussage klingt für mich stimmig. Aus eigener Erfahrung mit Eltern von Intensivkindern, beruflich und durch die Selbsthilfe, können Zugehörige unterschiedlich betroffen reagieren auf ihre jetzige Lebenssituation. Probleme wie Niedergeschlagenheit, Kraftlosigkeit oder Konzentrationsschwäche werden von dem einem oder anderem geäußert.
Ich würde mich wundern, wenn dem nicht so sei. Eltern oder eben Zugehörige von Langzeitintensivpatienten sind in eine Lebenskrise gerutscht, welche die gesamte Lebensplanung der Familie zerstören kann in kürzester Zeit. Ein Heraus aus der Krise wird nicht erkenntlich oder kann sich nicht zeigen. Zum Beispiel «erzeugt» die Erkrankung des Patienten wiederholt neue gesundheitliche Krisen, sei es eine Lungenentzündung, Schmerzen oder neurologische Ausfälle. Dazu kann eine ständige Angst um das Leben des Patienten mitschwingen aufgrund der Prognose einer begrenzten Lebenserwartung.
Krisen sind Belastungsproben für die eigene psychische Stabilität, denn sie stellt die bisherigen Werte im Leben in Frage. Die Krise erschüttert und zeigt, dass die Wünsche und Vorstellungen keine Umsetzung finden. Hinter den Wünschen verbergen sich Bedürfnisse des jeweiligen Menschen. Wenn die Bedürfnisse nicht erfüllt werden, so kann der betroffene Mensch aus seinem seelischen Gleichgewicht kommen, was zur Krankheit führen kann. Insbesondere wenn durch eine ständige instabile Lebenssituation, die eigenen Bedürfnisse nicht absehbar gestillt werden können.
Aber wenn Zugehörige von schwer kranken Menschen seelisch erkranken können durch die instabile Lebenssituation, was stört an der Verallgemeinerung «sind meist auch» psychiatrisch erkrankt? Sie können bedeutet nicht, sie erkranken auch wirklich. Mit der Aussage kann es den professionellen Helfern wie den Pflegediensten leicht gemacht werden in der Verantwortung, wenn deren Hilfen beim Patienten nicht umgesetzt werden können. Schuld ist die / der Zugehörige durch ihren / seinen psychischen Problemen, mit dem kann man nicht reden, sie oder er verdreht immer alles und sabotiert unsere Arbeit. Wir als Pflegedienst tragen in dieser Situation keine Schuld.
Eine Problemanalyse des Dienstes könnte hier in die falsche Richtung gehen, indem er seine eigenen Schwächen und Fehler übersieht. Am Ende wird von beiden Seiten eine Trennung vollzogen. Dies ist wiederum eine schwierige Situation, wenn die / der Zugehörige schwer psychiatrisch erkrankt ist. Sie oder er kann die Pflege und Betreuung vom Patienten Zuhause nicht übernehmen. Hier müsste eigentlich die Klärung der häuslichen Betreuung bzw. der Vormundschaft des Patienten eingeleitet werden, um das Wohl des schwer kranken Menschen abzusichern. Übrigens kann eine solche Gegebenheit unabhängig einer psychiatrischen Erkrankung des Zugehörigen entstehen. Zum Beispiel trete dies ein, wenn die oder der Zugehörige die Erkrankung intellektuell nicht versteht und dem daraus entstandenen komplexen Pflegeaufwand nicht ableiten kann.