Gerner Carlsen fängt noch einmal neu an. Mit 70. Seinen Ruhestand will der Däne in Hamburg verbringen. Mit dieser positiven Einstellung ist er der perfekte Mann für den Empfang der Hamburger Aidshilfe. Von Philip Eicker
Gerner Carlsen ist ein Meister am Telefon. Wenn er am Empfang der Hamburger Aidshilfe mit seinem sanften Bariton in den Hörer spricht, perlen vertraute Worte aus seinem Mund: „Bitte bleiben Sie in der Leitung“, sagt er dann formvollendet. Oder: „Einen Moment bitte, ich verbinde Sie.“ Deutsch ist nicht seine Muttersprache, doch der großgewachsene Däne hat sein Arbeitsleben lang kommuniziert. „Ich bin geübt im Umgang mit Menschen“, erzählt der 70-Jährige, „sowohl telefonisch als auch im direkten Austausch.“ Vierzig Jahre lang hat er dänische Geschenkartikel in die Bundesrepublik exportiert und seine Handelspartner in geschliffenem Deutsch umworben.
Immer wieder montags sitzt Gerner Carlsen hinterm Tresen
Der Empfangstresen der Hamburger Aidshilfe ist der perfekte Einsatzort für den Kaufmann im Ruhestand. Seit 2011 arbeitet Gerner dort ehrenamtlich, jeden Montag nimmt er Anrufe entgegen und vermittelt Besucher an die richtigen Ansprechpartner. „Hier kommt immer wieder jemand Neues an den Tresen“, berichtet Gerner. „Und es ist gut, regelmäßig andere Tapeten zu sehen, damit man sich nicht festfährt.“ Die schlimmste Vorstellung für ihn ist es, im Alter zu erstarren. „Man wird so alt wie ‘ne Kuh und lernt immer was dazu“, reimt der älteste Mitarbeiter im Aidshilfe-Team und lacht.
In einem Alter, in dem andere froh sind, ihr Häuschen abbezahlt zu haben, wagt Gerner einen Neustart. Gerade erst ist er umgezogen. Vom süddänischen 40.000-Einwohner-Städtchen Frederica in die Millionenmetropole Hamburg. „Die Möglichkeiten sind in so kleinem Ort begrenzt“, meint Gerner, „sowohl kulturell als auch menschlich.“ Hamburg dagegen war für ihn immer schon die Stadt. Schon als Kind war er oft mit seinen Eltern hier. 1969 zog er dann ganz in die Hansestadt. Er hatte sich in einen Hamburger verliebt. 20 Jahre lang hielt die Beziehung. „Hamburg hat mein Leben geprägt“, stellt Gerner fest. Als die Liebe verflog, ging auch Gerner zurück nach Dänemark – um 20 Jahre später wiederzukommen. „Nachdem ich mich zur Ruhe gesetzt hatte, dachte mir: Wenn ein Neuanfang, dann muss er jetzt sein!“ Die Entscheidung ist ihm nicht leichtgefallen. „Gerade wenn man älter wird, weiß man ja nie: Wie klappt das gesundheitlich? Aber mein Wille war doch so fest, dass ich es probieren wollte.“ Neue Bekannte hat er auch durch sein neues Ehrenamt gefunden. „Die Aidshilfe war mein erster Schritt. Den hatte ich schon geplant, bevor ich runterkam.“
“Wenn ein Neuanfang, dann muss er jetzt sein!”
Dass er sich in Sachen HIV und Aids engagieren wollte, stand für Gerner von Anfang an fest. Als Schwuler empfindet er das als selbstverständlich. „Ich finde es gut, dass die Aidshilfe dafür Sorge trägt, dass sich die Leute zumindest zweimal überlegen, ob sie nicht doch die Dinger nehmen“, betont Gerner und zeigt dabei auf ein großes Glas mit Kondomen auf dem Empfangstresen. Aus dem dürfen sich alle Besucher der Hamburger AIDS-Hilfe bedienen. „Wenn ich in meiner Zeit auch nur einen Einzigen bewegt habe, sich zu schützen, dann war es die Mühe schon wert“, sagt Gerner. Und fügt vorsichtig hinzu: „Es sind hoffentlich ein paar mehr, aber man muss die eigenen Möglichkeiten auch realistisch einschätzen.“
Die Kollegen von der Aidshilfe sind längst nicht die einzigen Bekannten des Rückkehrers. Zu einigen seiner früheren Freunde hat Gerner immer Kontakt gehalten, so auch zu seiner besten Freundin. Die hat er vor über 40 Jahren kennengelernt, als er nebenbei in der Herrenabteilung von Kaufhof aushalf. Sie ist nun 83 und begeistert vom Engagement ihres alten Freundes. „Bei dieser Generation könnte man vermuten, dass sie noch Vorbehalte hat“, sagt Gerner. „Aber ich habe eher den Eindruck, dass gerade ältere Frauen die Aidshilfe sehr gut finden.“