Nichtstun oder "Abwartendes Offenhalten"- Vertrauen auf Selbstheilung – auch in der Notaufnahme?

Mit Bezug auf einen interessanten Artikel in der Laienpresse (Die ZEIT vom 21.07.2011) möchte ich mich gerne einmal dem Thema des „Abwartenden Offenhaltens“, oder böser gesagt des Nichtstuns im
Notaufnahmebereich widmen. 

Der Begriff Abwartendes Offenhalten ist ursprünglich ein Begriff aus dem Bereich der Allgemeinmedizin und bezeichnet die Möglichkeit bei Symptomschilderungen der Patienten, die keine
ernstzunehmende akute Erkrankung nahelegen, zunächst auf weitere Diagnostik zu verzichten und den natürlichen Verlauf der Symptomatik abzuwarten, da in einem hohen Prozentsatz Spontanheilungen zu
erwarten sind. Sogenannte „Abwendbar gefährliche Verläufe“ gilt es jedoch nicht zu übersehen.

 

Die grosse Frage ist nun, ob sich dieses Vorgehen auch auf bestimmter Situationen im Bereich der Notaufnahme übertragen lässt, denn ursprünglich definiert wurde das „Abwartende Offenhalten“
für den Niedrigprävalenzbereich der Hausarztmedizin mit seinem unausgelesenen Patientengut. Wer einmal selbst in einer NA tätig gewesen ist, weiß jedoch dass sich dort aufgrund von Wartezeiten
und schlichtem Komfort auch zunehmend Patienten mit banalen Befindlichkeitsstörungen, die eigentlich keiner weiteren Abklärung bedürfen, vorstellen. Diese sind zu einem nicht unerheblichen Teil
auch zuvor nicht durch die Praxis des Hausarztes gegangen, der eine natürliche Vorfilterung durchführt. 

Trotz dieser der Hausarztsituation nicht unähnlichen Konstellation besteht hier mehr als bei den Niedergelassenen ein gewisser Hang zum Aktionismus, getriggert durch Regressbefürchtungen
und dem Gefühl im Krankenhaus über die hausärztliche Diagnostik hinaus tätig werden zu müssen. 

Aber ist das wirklich notwendig? Sollten wir hier nicht gelegentlich gleiche Maßstäbe anwenden, wie in der Hausarztpraxis, wo (zumindest die fußläufige) Patientenklientel hier auch die
Gleiche ist?

Überdiagnostik ist nicht nur aus wirtschaftlichen Beweggründen nicht zu empfehlen, im schlimmsten Fall kommt es auf Basis dieser Überdiagnostik sogar zu Patientenschaden, wie die
nachweisbare Zunahme Computertomographie-bedingter Sekundärmalignome zeigt.

Was braucht es also um hier einen gesunden Mittelweg zu gehen? Erstens braucht es ein breites Kreuz und tiefgründiges und statistisches Wissen über die Wahrscheinlichkeiten bestimmter
Szenarien um den Verzicht auf bestimmte Untersuchungen rechtfertigen zu können. Und zweitens und dies ist meines Erachtens nach das Wichtigste, braucht es gute schriftliche und mündliche
Instruktionen für den Patienten mit klaren Anweisungen unter welchen Umständen eine Wiedervorstellung erfolgen sollte und wie das weitere Follow-Up auszusehen hat. 

Sind wir doch einmal ehrlich: Ein ganz grosser Teil der Patienten  die selbst fussläufig die Ambulanz erreichen könnten problemlos stattdessen auch den Hausarzt aussuchen, wo sie in
diesem Fall auch lediglich die Empfehlung zum abwartenden Offenhalten bekämen. Dies betrifft wie gesagt nur einen kleinen Patiententeil, aber hier sollten wir diese Möglichkeit definitiv besser
ausnutzen und uns ebenfalls die Möglichkeit des „Abwartenden Offenhaltens“ aneignen. 

In eben diesen Problembereich gehört auch unsere Neigung zu übermäßigen stationären Aufnahmen, die in einem System mit zeitnahen ambulanten Facharzttterminen problemlos vermeidbar wären.
Dies wird sich allerdings solange nicht ändern,wie eine notfallmäßige präklinische Abwicklung eines Falles sich nicht finanziell lohnt. Dies scheint allerdings berufspolitisch nicht gewünscht,
aber das ist nochmal eine ganz andere, lange, lange Geschichte….


 

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