Wird zu viel operiert?

Über die Beantwortung dieser Frage sind sich Deutschlands Mediziner sicher weitgehend einig. Die einen sagen es laut, die anderen, die von der Operationswut profitieren, denken es im Stillen und sagen es erst, wenn sie aus dem Geschäft ausgestiegen sind:

Ja, es wird viel zu viel operiert!

Einigen wenigen chirurgisch tätigen Ärzten wird das tägliche Geschäft des Operierens so in Fleisch und Blut übergegangen sein, dass sie nicht mehr einmal denken, es könnte zu viel sein. Außerdem werden sie, wie fast jeder andere Berufstätige, in finanziellen Zwängen stecken.

Warum geht es immer so weiter?

Nun, zunächst einmal, weil immer weiter tausende Ärzte und Krankenhäuser vom Viel-Operieren profitieren.

Aber das ist nur ein Grund.

Mindestens ebenso bedeutend geworden ist die fordernde Haltung des modernen Patienten.

Ärzte werden heutzutage solange ausgesucht, aufgesucht und konsultiert, bis einer gefunden wird, der den Schaden wegoperiert.

Dass eine Krankheit womöglich nicht mit medizinischen Mitteln heilbar ist oder zumindest nicht in einem ausreichend kurzem Zeitraum, ist heute kaum noch verständlich zu machen. Unsere Gesellschaft sieht ein Versagen der Medizin für Schnellheilung oder Ausheilung nicht vor. Das beginnt beim banalen grippalen Infekt. Milliarden werden mit Antibiotika umgesetzt, die einen Virusinfekt abkürzen sollen – medizinischer Nonsens, der oft genug vom Patienten gefordert wird. Wenn Sie sich fragen, warum Ärzte diesem Unsinn nachgeben, dann lautet meine Gegenfrage, warum verunstalten Ärzte Menschen wie die Herzogin von Alba, Dagmar Berghoff oder Sylvester Stallone, um nur einige bekannte „Opfer“ der Chirurgie zu nennen.

Fehlende Zeit und schwindendes Vertrauen

Selbst, wenn man sich als Hausarzt Mühe gibt und sich die Zeit nimmt, sind ins Patientengehirn implantierte Operationswünsche schwer zu entfernen. Der notwendige verbale Eingriff braucht Zeit, manchmal endlos viel Zeit, die häufig nicht zu Verfügung steht.

Wie oft erlebe ich es, dass ich mir nur einzelne Kandidaten herauspicken kann, bei denen ich glaube oder hoffe, innerhalb eines angemessenen Zeitraumes von einer überflüssigen Operation abraten zu können. Viele andere muss ich sehenden, machtlosen Auges in den Operationssaal marschieren lassen.

Wie erfrischend ist da der Patient, der am letzten Donnerstag zu mir kam und sagte: Der Orthopäde will mich operieren. Ich sollte auch gleich einen Termin für die nächste Woche bekommen. Aber da habe ich gesagt, dass ich erstmal mit meinem Hausarzt sprechen muss.

Und in der Tat: In diesem Fall war die Indikation zum chirurgischen Eingriff geradezu ein Witz, allerdings ein schlechter. Die Operation konnte rechtzeitig abgewendet werden. So ein Verlauf ist möglich, wenn Patient und Hausarzt eine vertrauensvolle Beziehung führen.

Allerdings würde mit dem Beruf des Hausarztes die letzte persönliche, neutrale, ärztliche Instanz in der Medizin verloren gehen.

Lesen Sie den nächsten Artikel zum Thema: Operationswut am Beispiel des Schultergelenks.

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