11kg Geflügelfleisch isst der Bundesbürger im Schnitt – pro Jahr. Und jetzt im neuen Jahr erfahren wir (mal wieder): Stichproben von Hähnchenfleisch aus deutschen Discountern und Supermärkten, wie Edeka, Aldi, Real, Netto oder Lidl, enthalten nicht nur Antibiotika, sondern auch antibiotikaresistente Bakterien obendrauf.
Laut „Spiegel“ und „Frankfurter Rundschau“ war jede zweite Stichprobe mit resistenten Bakterien belastet. Durchgeführt wurden diese Erhebungen vom BUND (Bund für Umwelt- und Naturschutz).
Und wie es aussieht, ist dies für den zufriedenen Kunden und Hähnchenesser ein besonderer „Glücksfall“, bekommt er doch neben seinem Hähnchen noch eine Portion Antibiotika frei Haus geliefert. Dieser kostenlosen Dreingabe kann er kaum entgehen, weil (laut Untersuchung), 96 Prozent der Tiere mit Chemie großgezogen werden.
Auch ein Ausweichen auf andere Fleischsorten, also Schwein, Rind, Pute, bringt nicht die erhoffte Erleichterung, alldieweil diese Tiere zu 80 bis 100 Prozent mit Antibiotika vollgepumpt werden. Für die Pharmaindustrie ist dieser Antibiotikakonsum ein erfreulicher Goldregen. Denn eine Studie der Bundesministerien für Gesundheit, Landwirtschaft und Forschung vom April 2011 stellte fest, dass mindestens 784 Tonnen Antibiotika pro Jahr an die Tiere verabreicht werden. Und das ist mehr als das Doppelte der Menge, die der deutsche Bürger als Medikation verschrieben bekommt.
Die Chemie-Spirale
Dieser enorme Einsatz an Antibiotika ist begründet in der Art und Weise, wie diese Tiere gehalten werden. Aus rein ökonomischen Gründen werden die Hühner auf engstem Raum zusammengehalten, was den Übertragungsweg für Keime verkürzt und vereinfacht. Und Keime gibt es bei einer solchen Mega-Haltung genug, bedingt schon alleine durch den Unrat, der von zig Tausend Tieren erzeugt wird.
Um hier keine toten Hühner zu produzieren, ist der Halter auf den „prophylaktischen“ Einsatz von Antibiotika angewiesen. Denn sonst sind die Chancen groß, dass ihm ein Großteil der Tiere an Infektionskrankheiten verendet. Dieser kontinuierliche Einsatz von Chemie wiederum erzeugt in den Tieren ein Milieu, dass zwar die meisten Keime abtöten kann, aber aufgrund seiner Kontinuierlichkeit einigen Keimen die Gelegenheit gibt, durch Mutation und Selektion Abwehrmechanismen gegen die Antibiotika zu entwickeln.
Selbst wenn Milliarden Keime vernichtet werden, reicht eine Mutation bei einem Bakterium aus, um diesen Prozess in Gang zu setzen. Denn dieser mutierte, resistente Keim hat nun ausreichend Gelegenheit, sich in diesem Milieu zu vermehren – und schon haben wir einen Bakterienstamm, der einer Therapie mit Antibiotika widerstehen kann. Wenn dieser neue Stamm dann auch noch in der Lage ist, sich beim Verzehr erfolgreich in seinem neuen Wirt, den Menschen, zu platzieren, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass solche Keime wie der EHEC dabei rauskommen. Das dies noch nicht geschehen ist, liegt nicht am erfolgreichen Einsatz der Antibiotika, sondern daran, dass die Übertragung der resistenten Keime vom Huhn/Hähnchen auf den Menschen noch „nicht funktioniert“. Wann dies erfolgen wird, das kann niemand voraussagen.
Wenn es aber passiert, dann haben wir wieder ein neues Heck-Meck, bei dem keiner die Verantwortung auf sich nehmen will. Aber vielleicht können dann ja Hähnchen aus Spanien herhalten, die die ultimative Erklärung für die Resistenzentwicklung auf sich nehmen. Für die Zeit „dazwischen“ reicht es dann ja auch, dass man den antibiotikaträchtigen Geschmack dieser Zuchttiere mit reichlich viel Gewürz übertünchen kann. Wie lecker so ein Huhn schmeckt mit allem drum und dran können Sie nachlesen unter: Hühnerfleisch ohne Geschmack.
Der exorbitante Einsatz von Antibiotika in der Tiermast
„In neun von zehn Praxen, in denen ein Landwirt den Tierarzt um eine Flasche Penizillin bittet, bekommt ein Tierhalter das Medikament sofort – auch ohne Untersuchung“, sagte Rupert Ebner, ehemaliger Vizepräsident der bayerischen Landestierärztekammer, der Süddeutschen Zeitung. […] Finde ein Tierarzt unter 30 000 Küken ein krankes Tier, reiche das, um alle Tiere vorsorglich mit Antibiotikum zu behandeln. ‘Oft schreibt der Tierarzt sogar bewusst eine falsche Diagnose aufs Papier, um eine legale Anwendung mit dem Antibiotikum vorzutäuschen.’ Ebner ist praktizierende Tierarzt mit 30 Jahren Berufserfahrung und kennt die Gepflogenheiten seiner Branche. Vor zweieinhalb Jahren warf er seinen Job bei der Landestierärztekammer hin, weil er dem nicht mehr zusehen wollte. (sueddeutsche.de/e5438Q/192561/Vollgestopft-mit-Antibiotik.html)
Und besonders gravierend ist es in der Geflügelmast – und das ist schon seit Jahren bekannt. Was den Einsatz von Arzneimitteln wie beispielsweise Antibiotika in der Geflügelmast angeht, lassen sich jedoch nur wage Vermutungen anstellen. Aus diesem Grund fordern Politiker eine verbesserte Dokumentation über den Einsatz von Arzneimitteln in der Geflügelmast. All das wird schon seit Jahren gefordert. Passiert ist indes wenig bis gar nichts.
Zwar wird seit dem 1. Januar 2011 auf einen Gesetzesbeschluss hin die Auslieferung von Arzneimitteln dokumentiert jedoch genießt die Geflügelindustrie einen besonderen Schutz. Begründet mit einem verstärkten Datenschutz soll diese Regelung nun jedoch auf Antrag gekippt werden. Experten jedoch vermuten einen starken Einfluss seitens der Geflügellobby, welche verstärkt auf den Einsatz von Antibiotika in Mastbetrieben mit mehr als 100.000 Tieren besteht.
Nur so wird nach Meinung der Verantwortlichen die Ausbreitung gefährlicher Seuchen verhindert. Die Krise in der Geflügelmast hat mittlerweile aber auch das Landwirtschaftsministerium erreicht. Schätzungen zur Folge stieg die Zahl der Behandlungen mit Antibiotika wie beispielsweise Penicillin oder Neomycin von durchschnittlich 1,7 Behandlungen pro Mastgang auf 2,3 Behandlungen pro Mastgang. Aussagen von Amtstierärzten nach werden teilweise sogar sechs Behandlungen pro Mastgang verzeichnet. Ein Mastgang umfasst bei Hähnchen ca. 30 Tage.
Als Ziel der Behandlungen mit Antibiotika setzen sich die Mastbetriebe neben einer Verlängerung der Lebensdauer der Zuchttiere vor allem deren Wachstumsförderung. Und das, obwohl der Einsatz von Medikamenten zur Förderung der Mastleistung bereits seit 2006 in der gesamten EU verboten ist. Als Laie sehe sogar ich: Die Gesetze sind anscheinend schon da.
Das scheint vielen Züchtern und Landwirten jedoch egal zu sein. Eine Ausbreitung der Keime auf den Menschen und das hieraus resultierende Risiko lebensgefährlich oder sogar tödlich zu erkranken wird seitens der Züchter hierbei jedoch außer Betracht gelassen. Die besonders gefürchteten MRSA Erreger wurden nämlich laut eines Berichts des Bundesinstituts für Risikobewertung in 25% des verkauften Hühnerfleischs und in 43% des Putenfleischs gefunden. In 52% aller Schweineställe wurden MRSA Erreger nachgewiesen. (bfr.bund.de/cm/343/menschen_koennen_sich_ueber_den_kontakt_mit_nutztieren_mit_mrsa_infizieren.pdf) Und das bereits seit JAHREN.
Ich bin´s nicht gewesen!
Die „neuen“ Stichproben werden zur Zeit „nur mal wieder“ interessant präsentiert. Die theoretischen Grundlagen seitens der Wissenschaft sind indes längst bekannt.
Das sollte den Produzenten eigentlich Warnung genug sein. Ist es aber nicht. Die Einen hüllen sich in Schweigen. Und die Anderen?
Betroffene (wie Wiesenhof), beteuern ihre Unschuld schon jetzt – rein prophylaktisch versteht sich: „Ein möglicher Missbrauch wird bei Wiesenhof unter anderem durch ein intensives Rückstandsmonitoring, zum Beispiel durch unangekündigte Kontrollen des Futters und des Wassers vor Ort beim Landwirt unterbunden.“
Aber warum sind dann auch bei Proben der Wiesenhof-Produkte Antibiotikarückstände und resistente Keime gefunden worden? Das gerade Wiesenhof nicht unbedingt zu den glaubwürdigsten Unternehmen gehört, hab ich in einem früheren Artikel belegt, bei dem es u.a. um die Frage der Tierhaltung und Fleischproduktion geht: Billige Nahrungsmittel teuer bezahlt.
Auch hier widerlegen bewegte und bewegende Bilder die lauteren Ansprüche auf eine „menschliche“ Tierhaltung dieser Firma. Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Es geht mir nicht darum, einen „Bösewicht“ ausfindig zu machen und den abzuurteilen. Vielmehr geht es mir darum, zu zeigen, dass die alte Mühle der Profitmaximierung die alte Mühle von Lug und Trug antreibt. Obwohl das Desaster sich mit Blitz und Donner ankündigt, werden diese Zeichen bewusst ignoriert. Entweder man schweigt oder wiegelt ab, in der Hoffnung, dass die unausweichlichen Folgen dann erst eintreten, wenn man damit nichts mehr zu tun hat: Nach mir die Sintflut. Und der Verbraucher wird’s in wenigen Wochen sowieso vergessen haben. Denn dann kommt ja doch wieder das Billig-Turbo-Mastfleisch auf den Teller. Oder?
Die Poiltiker sollen endlich was machen!
Ja – die Politik eilt uns umgehend zur Hilfe, mit den ihr eigenen Maßnahmen: Gesetzentwürfe, die „ordnungsgemäß“ so lange dauern, dass die Firmen noch genug Zeit haben, ihr Schäfchen (hier: Hühnchen) ins Trockene zu manövrieren. So soll (laut Bundesverbraucherschutzministerin Aigner), der Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung drastisch reduziert werden, nämlich nur auf die Behandlung erkrankter Tiere. Das hört sich erst einmal überzeugend und logisch an.
Aber: Ich denke, da kann man gleich einen Gesetzentwurf einbringen, der Krankheiten bei Hühnern verbietet. Denn, wie schon weiter oben erläutert, ist die Massentierhaltung verantwortlich für das hohe Erkrankungspotential bei den Tieren und nicht der falsche Umgang mit den Antibiotika. Ein Aussetzen der prophylaktischen Antibiotikagabe würde zu Infektionen führen, die sehr wahrscheinlich noch mehr Antibiotika bei den dann erkrankten Tieren erforderlich machen werden.
Die Pharmaindustrie wird sich wohl kaum über diese Vorgehensweise beklagen können. Zumindest habe ich noch keine Kommentare diesbezüglich gehört. Und auch der agrarpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Friedrich Ostendorff, sieht in Frau Aigners Vorschlägen nur eine Art „Kosmetik“. Er meint, dass ihr klar sei, dass die industrielle Fleischproduktion ohne Antibiotika nicht funktioniert. Und da hat sie vollkommen recht…
Fazit
Der anvisierte Gesetzentwurf stellt sicher, dass der Antibiotikaumsatz der Pharmaindustrie keinen Einbruch erleidet, sich tendenziell sogar noch erhöht. Die Reduktion der Antibiotika wird durch einen vermehrten Einsatz bei infizierten Tieren locker mehr als nur kompensiert.
Der Verbraucher wird auch weiterhin durch sein Mittagessen mit Antibiotika versorgt, die ihm im Laufe der Jahre gesundheitliche Probleme bereiten werden. Außerdem wird man viel häufiger Tiere auf den Teller bekommen, die zuvor an einer Infektion erkrankt waren und durchtherapiert worden sind. Das Potential für die Entwicklung von resistenten Keimen interessiert niemanden von Industrie und Politik. Na dann: Guten Appetit.
Für mich ist die Lösung einfach: Aufhören dieses „Billig-Fleisch“ und diese „Billig-Wurst“ zu konsumieren. Denn erst wenn diese Industrieprodukte vom Verbraucher massenhaft vermieden werden und der Rubel aufhört zu rollen, werden die Verantwortlichen hellwach und nach geeigneten Alternativen suchen. Vielleicht ist das die Stunde der wirklich echten Bio-Bauern?
Und echtes Bio-Fleisch schmeckt sowieso besser.