"Medizinqualität statt e-Card": Veranstaltung in Berlin soll Signal setzen

Die Kritik von Ärzten, Patienten und Datenschützern hat die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte lange verzögert – zum Stillstand kam das Projekt dadurch jedoch nicht. Im Gegenteil machen die Kassen nun Druck: Sie wollen in diesem Jahr alle Praxen online vernetzen und ihre Versicherten mit Karten versorgen. Wie sollte die gemeinsame Antwort von Ärzten und Patienten auf dieses Vorhaben aussehen? Diese Frage steht im Mittelpunkt einer Veranstaltung am 18. April in Berlin.

Die bundesweite Aktion „Stoppt die e-Card“, bestehend aus 53 Organisationen und Verbänden, lädt an diesem Tag Ärzte, Patienten und Datenspezialisten in die Hauptstadt, um den Stand der Dinge zu diskutieren.

Der änd sprach mit der Initiatorin Dr. Silke Lüder aus Hamburg:

Frau Dr. Lüder, über die elektronische Gesundheitskarte ist schon viel debattiert worden – weshalb ist jetzt noch eine neue Diskussionsveranstaltung in Berlin nötig?

Das ganze Projekt elektronische Gesundheitskarte ist im Grunde schon gescheitert, bevor es losgeht. Seit sechs Jahren funktioniert hier nichts, die aufwändigen bundesweiten Tests haben nur schlechte Ergebnisse erbracht. Bis 2009 wurden schon 1,5 Milliarden Euro verbrannt. Alle Ärztetage haben das Projekt abgelehnt. Patientenverbände, unabhängige Datenschutzorganisationen, immer mehr Journalisten und auch Gesundheitsökonomen wie Prof. Wasem haben das Mammut-Projekt kritisiert. Trotzdem wird es immer weiter voran getrieben. Lobbyinteressen der Industrie, Machtinteressen der Krankenkassen und Appeasement der Spitzen von Bundesärztekammer und KBV verhindern, dass man zugibt, einer Fata Morgana hinterher zu laufen.
Deshalb treffen wir uns in Berlin, um zu zeigen: Ärzte und Zahnärzte machen da nicht mit. Wir lassen uns nicht in Außenstellen der Kassen verwandeln und wir werden uns der Transformation des Gesundheitswesens in eine online-überwachte industrielle Massenabfertigung widersetzen.

Die Krankenkassen drücken bei dem Projekt derzeit offenbar aufs Gas. Welche Folgen für Ärzten und Patienten befürchten Sie durch die „Alternative 2012“?

Der Kernpunkt der von den Krankenkassen in der Gematik erzwungenen „vorgezogenen Lösung“ oder auch „Alternative 2012“ ist ja die zwangsweise Anbindung aller Praxen an die Computer der Kassen. Hiermit soll der Widerstand der Ärzte gegen die zentrale Internetstruktur gebrochen werden, mit der die Kassen ganz klar im weiteren Verlauf auch eine zentrale elektronische Patientenakte von jedermann erstellen wollen.
Damit sollen wir erst einmal die Verwaltungsarbeit der Kassen übernehmen. Jede neue e-Card muss einmal im Quartal online aktualisiert werden. Das ist natürlich die ureigenste Verwaltungsarbeit der Kassen selbst, die sie auf diesem Wege in die Arztpraxen verlagern wollen. Für einen lächerlichen Anteil von 2,3 Prozent der Fälle, in denen sich die Stammdaten der Versicherten im Quartal geändert haben, sollen wir in 97,7 Prozent der Fälle aufwändig die online-Aktualisierung der Daten auf dem Kartenchip in der Praxis vornehmen. Absurdistan lässt grüßen. In Wirklichkeit ist den Kassen aber die zwangsweise Anbindung aller Praxen an die Kassenserver wichtig.

An wen richtet sich die Veranstaltung in Berlin und wer steht auf der Referentenliste?

Die Veranstaltung richtet sich an alle Ärzte und Zahnärzte, Psychotherapeuten und vor allem Vertreter von Verbänden, Kolleginnen und Kollegen die in KV- und Ärztekammergremien mitarbeiten. Außerdem an alle interessierten Bürger, Patientenvertreter und Journalisten.
Wir haben ausgezeichnete Referenten auf dem Podium. Wir bekommen einen Bericht aus Österreich vom Präsidenten des Hausärzteverbandes, Dr. Christian Euler über die praktischen Erfahrungen mit der e-Card in unserem Nachbarland. Professor Paul Unschuld von der Charite Berlin und Autor des Buches „Ware Gesundheit“ wird über die Risiken und Nebenwirkungen der „Elektronischen Selbstentblößungskarte“ sprechen. Ebenfalls ist Professor Hartmut Pohl als Sprecher des Präsidiumsarbeitskreises Datensicherheit der Gesellschaft für Informatik (GI) vor Ort und berichtet zum Thema Informationssicherheit. Auch in Berlin: Wolfgang Linder, Jurist und ehemaliger Datenschutzreferent der Stadt Bremen. Er spricht zur Entwicklungsgeschichte des e-Card Projektes als Vertreter des „ Komitees für Grundrechte und Demokratie“. Darüber hinaus wird es eine aktuelle Einführung in den Projektstand geben und die Patientenvertreterin Gabi Thiess wird über die e-Card aus Patientensicht sprechen.

Haben Sie auch Vertreter ärztliche Berufsverbände und Körperschaften eingeladen? Wie ist die Resonanz bislang?

Die Resonanz ist bisher ausgezeichnet. Zugesagt haben schon die Freie Ärzteschaft, der Freie Verband Deutscher Zahnärzte, der BDI, der NAV-Virchow-Bund, IPPNW, MEDI Deutschland, MEDI Berlin, der Bayrische Facharztverband, die DOXS aus Hessen, Facharztverbände, Hausärzte aus Bayern, Genossenschaften, Patientenverbände und auch Vertreter aus den KV- Vorständen und Kammern haben Interesse gezeigt.

Sicher wird der Termin auch einige Journalisten in der Hauptstadt anlocken. Welches Signal an die Öffentlichkeit sollte von der Veranstaltung ausgehen?

Das Projekt elektronische Gesundheitskarte ist eine gescheiterte Zwangsveranstaltung, die an den sinnvollen Interessen von Patienten und Ärzten komplett vorbei geht. Ich kenne keinen einzigen ärztlichen Kollegen, der es noch unterstützt. Auch die ehemaligen „Testärzte“ sind inzwischen völlig demotiviert. Es wird also nur noch durch die Lobbyinteressen von Industrie, Kassen und „ Telematikdezernaten“ aufrecht erhalten, die damit ihre Arbeitsplätze erhalten. Hier sollten Ärzte, Zahnärzte und Psychotherapeuten einmal ihre Fähigkeit zum zivilen Ungehorsam beweisen. Das sollte das Signal sein, dass wir, die wir immer so „brav“ sind, jetzt in einer konzertierten Fach- und verbandübergreifenden Aktion sagen: „Nein, wir machen nicht mit“. Wir schützen unsere Patientendaten. Es gibt ja diesbezüglich schon eine Menge an Ablehnungsbeschlüssen auf Landes- und Bundesebene. Wir müssen aber dafür sorgen, dass unsere „Spitzen“ sich künftig in dieser Frage an demokratische Entscheidungen der Ärztebasis halten.

Müssen sich interessierte Ärzte und Patienten für den 18. April anmelden?

Eine Anmeldung ist nicht nötig, wäre aber schön, damit wir besser planen können. Einfach eine Mail an info@stoppt-die-e-card.de oder per Fax an 040/7353036. Die Veranstaltung beginnt um 14 Uhr in der Katholische Akademie Berlin – Hotel Aquino Hannoversche Straße 5b. Wir freuen uns über jeden Interessenten.

Einen Info-Zettel der Aktion “Stoppt die e-Card” finden Sie hier als Download.

Mit freundlicher Genehmigung der änd Ärztenachrichtendienst Verlagsgesellschaft mbH

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