Wie sieht heute das Bild von homosexuellen Menschen in TV und Presse aus? Philipp Eicker befragte hierzu Martin Munz. Der 37-Jährige ist Mitglied im Bundesvorstand Lesbischer und Schwuler JournalistInnen (BLSJ) und arbeitet im „Team Recherche“ für das NDR-Fernsehen.
Martin, wann hast du zuletzt einen Schwulen im Fernsehen gesehen?
In „Verbotene Liebe“. Ich muss gestehen, dass mich ein schwuler Plot immer noch packt, selbst bei einer an den Haaren herbeigezogenen Seifenoper. Offenbar gibt es solche Sendungen noch nicht so inflationär, dass ich einfach abschalten kann.
Wie kommen Schwule in den Abendnachrichten weg?
Da spielt Homosexualität derzeit kaum eine Rolle, weder im Positiven noch im Negativen. Das einzige nachrichtenrelevante Thema ist zurzeit die steuerrechtliche Gleichstellung von eingetragenen Lebenspartnerschaften mit der Hetero-Ehe. Die kommt in den Abendnachrichten aber allenfalls als Meldung vor. Tageszeitungen behandeln das Thema meines Wissens nach sehr ausgewogen. Mal abgesehen davon, dass in einer Überschrift der FAZ nur von „Schwulenehe“ die Rede war, obwohl die Regelung auch lesbische Paare betrifft.
Welches Schwulenbild entsteht so beim durchschnittlichen Fernsehzuschauer?
Im Großen und Ganzen sind Schwule im Medien-Mainstream angekommen: In den meisten Beiträgen wird ihr Normalsein betont, meist in Verbindung mit der Botschaft, dass diese freundlichen, netten Männer in einigen Punkten noch immer benachteiligt werden. Das ist einerseits eine große Errungenschaft der Schwulen- und Lesbenbewegung. Allerdings entstehen so – häufig ungewollt – wieder neue Klischees. Die wichtigen Themen fallen zu häufig unter den Tisch. Wenn Schwule und Lesben vorkommen, ist ihre Homosexualität oft ein wesentlicher Teil der Geschichte. Der Umstand, dass ein Mensch homosexuell ist – sei es der heteronormativ angepasste Regenbogenfamilienvater oder der exotische Künstler – reicht heutzutage noch für eine Story,
Und das ist kritikwürdig?
Sagen wir es so: Es wäre doch besser, wenn ein Mensch nicht deshalb porträtiert wird, weil er homosexuell ist, sondern weil er einen interessanten Beruf hat oder sich sozial engagiert. Dann reicht es doch, wenn in einem Nebensatz eingeflochten wird, dass die Frau verpartnert ist oder dass der Mann seit vielen Jahren mit seinem Partner zusammenlebt. So wie das bei Heterosexuellen schon der Fall ist. Kaum ein Hetero-Porträt ohne Hinweis auf den Familienstand! Bei Homosexuellen tun sich viele Journalistinnen und Journalisten dagegen schwer. Vielleicht weil sie befürchten, die eigentliche Geschichte würde durch diese Information überlagert. Oder weil ihnen die Nachfrage zu intim scheint.
Wie sieht es bei den Lesben aus?
Lesben werden in deutschen Medien fast komplett ausgeblendet. Das hat gerade eine Studie von Elke Amberg ergeben, die wir vom BLSJ unterstützt haben. Ausnahmen sind Berichte über Regenbogenfamilien. Als Mutter sind Lesben den Medien gut genug. Elternschaft gilt als weibliche Kernkompetenz. Ich würde aber nicht sagen, dass das offensive Lesbenfeindlichkeit ist, sondern eher Unbedarftheit. Das geschieht unterbewusst. Wir merken übrigens beim BLSJ, wie schwierig es ist, offen lebende Lesben auf ein Podium zu bekommen. Die Scheu vor der Öffentlichkeit ist bei ihnen offensichtlich stärker als bei schwulen Männern.
Was ist Homophobie, und was ist das normale Maß an Häme, das eine öffentliche Person ertragen muss?
Häme wegen seines Privatlebens sollte eigentlich keiner ertragen müssen – es sei denn, er oder sie hat Wasser gepredigt und Wein gesoffen. Trotzdem gibt es natürlich immer wieder diskriminierende Formulierungen in den Medien. In der Bewertung achten wir darauf, ob eine abfällige Bemerkung bewusst geschieht oder nur aus Ahnungslosigkeit. Wir prüfen: Ist eine ablehnende Haltung klar zu erkennen?
Kannst du dafür ein Beispiel geben?
Unser schärfster Protest seit Monaten ging gegen einen Artikel auf der Titelseite der FAZ. Da ging es um einen Untersuchungsbericht über sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche in Holland. Der Autor hat eine Formulierung aus dem Bericht einfach übernommen: Eine „homosexuelle Subkultur“ sei „ein entscheidender Faktor für Übergriffigkeit“. Das ist eindeutig homophob, weil es in mittelalterlicher Manier Homosexualität und Pädophilie in einen Zusammenhang stellt. Eine schwule Subkultur fördert nicht per se sexuellen Missbrauch. Das mag aus der Sicht der katholischen Kirche so sein, aber auf der Titelseite der FAZ ist so eine Aussage ein schwerer Fauxpas. Er spricht für tief sitzende Homophobie. Oder ist die heterosexuelle Subkultur in der Kirche dafür verantwortlich, wenn sich Priester an kleinen Mädchen vergehen?
Wenn so etwas passiert, schreibt der BLSJ einen Protestbrief?
Ja, wir machen die auf ihren Mist aufmerksam. Wobei wir in einer Zwickmühle sind: Unsere heterosexuellen Kolleginnen und Kollegen schreiben oft Unfug. Aber unser Protest soll nicht dazu führen, dass sie von schwul-lesbischen Themen generell die Finger lassen. Wir bieten deshalb unseren Rat an, wenn es Unsicherheit gibt, zum Beispiel bei Begriffen oder der Frage: Darf man das überhaupt sagen? Ein Beispiel: Vielen Heterosexuellen ist nicht klar, dass „homosexuell“ Frauen und Männer meint. Die meisten verwenden „homosexuell“ und „schwul“ synonym. Das führt zu Ausdrücken wie „Homosexuelle und Lesben“. Da leisten wir freundliche Aufklärungsarbeit für die Unbedarften.
Und auf welche Fehler reagiert ihr weniger freundlich?
Zum Beispiel, wenn in Artikeln Begriffe wie „Homosexuellenmilieu“ auftauchen. Das hat aus unserer Sicht einen klar diskriminierenden Unterton. Kein Mensch käme auf die Idee, von einem Mord „im Heteromilieu“ zu sprechen, nur weil ein Mann und eine Frau beteiligt waren. „Milieu“ ist zwar ein soziologischer Begriff, aber von einer differenzierten soziologischen Betrachtung sind solche Artikel meilenweit entfernt. Da geht es darum, mit dem Wort „Milieu“ etwas Halbseidenes zu unterstellen. Dabei kann mit „Homosexuellenmilieu“ von der Langen Reihe in Hamburg bis zu Guido Westerwelles Auswärtigem Amt alles gemeint sein, sofern sich dort Schwule aufhalten.
Auf welchen Medienbericht hast du bisher vergeblich gewartet?
Auf das Porträt der Kanzlerkandidatin, in dem es ausführlich um ihre politischen Inhalte geht und nur am Rande erwähnt wird, dass sie seit vielen Jahren glücklich mit ihrer Partnerin zusammenlebt.