„Gerechte Löhne, Soziale Sicherheit“ hat sich der Deutsche Gewerkschaftsbund als Hauptforderung auf Transparente für die Demonstrationen am 1. Mai drucken lassen. Für Menschen mit HIV stellt sich allerdings oft das Problem, überhaupt erst mal einen Job zu finden.
In einer dreiteiligen Porträtserie beleuchten wir die besonderen Herausforderungen für HIV-Positive auf dem Arbeitsmarkt.
Kann man als Freiberufler offen mit der HIV-Infektion umgehen, wenn man vom Wohlwollen und der Gunst der Auftraggeber abhängig ist? Der Schauspieler Kristof Behrens* will dieses Risiko nicht eingehen. Von Axel Schock
„Eigentlich hab ich überhaupt nichts Richtiges gelernt“, sagt Kristof Behrens kokett. Auch wenn in seiner Hamburger Wohnung kein Hochschulabschluss oder sonstiges Diplom gerahmt über dem Sofa hängt, hat der bald 40-Jährige sich in den letzten zwanzig Jahren stets von seinem Beruf als Schauspieler ernähren können und musste im Gegensatz zu vielen Kollegen noch nie kellnern gehen.
Als man ihn vom Fleck weg für seine erste Fernsehrolle engagierte, hatte Behrens gerade erst sein Abiturzeugnis in der Tasche. Über Nacht war ein lang gehegter Jugendtraum in Erfüllung gegangen. Kurz danach holte ihn ein Theater für eine Gastrolle ins Haus, danach gab’s immer wieder mal – und wenn auch nur für zwei, drei Drehtage – einen Part in einem Fernsehfilm.
„Ich war das perfekte Schwiegermutterglück“
„Ich war das perfekte Schwiegermutterglück“, scherzt Behrens über jene Phase seiner Karriere, als ihn die Casting-Agenturen gerne für leichte TV-Unterhaltungskost buchten, bei der mehr sein Aussehen als seine schauspielerischen Fähigkeiten gefragt war. Der Traum vom Kinostar hat sich nicht erfüllt, aber Behrens scheint auch nicht unglücklich darüber zu sein, dass ihm eine Vorabendserie über mehrere Jahre ein gutes Auskommen bescherte.
Behrens hat in seinen langen Berufsjahren viel gemacht, viel gelernt und viel erlebt. In all dieser Zeit war er, wie die meisten in seiner Branche, Freiberufler. Festverträge gibt’s nur für Soap-Darsteller und Ensemblemitglieder an Staats- und Stadttheatern. Entsprechend groß ist der Überlebenskampf und die Angst davor, dass es morgen oder spätestens übermorgen nichts mehr zu tun geben und vielleicht nicht einmal mehr eine Einladung zu einem Casting kommen könnte.
Auch diese Phasen hat Behrens – wie auch die berühmteren unter seinen Kollegen – immer wieder durchgemacht. Zeiten, in denen er sich mit Synchronisierungsjobs oder lausig bezahlten Veranstaltungsmoderationen durchgeschlagen und in ganz schlechten Momenten auch den Glauben an die Zukunft verloren hat.
Im Sommer 2005 war ein solcher Moment, einer der schlimmsten in seinem ganzen Leben bisher. Der damals 32-Jährige stand kurz vor den Proben für eine Tourneetheater-Produktion. Weder das Stück noch die Inszenierung waren so richtig aufregend, und das Publikum wie die Presse würden die Aufmerksamkeit ganz dem Hauptdarsteller („einer richtigen Fernsehprominenz“) schenken.
Auch die Aussicht, die kommenden Monate im Tourbus von Stadt zu Stadt zu ziehen, war nicht die beste. Aber für ein gutes Jahr wäre das Auskommen gesichert. In dieser Situation dann der Anruf eines Freundes, mit dem er eine längere lockere Liaison hatte: „Du musst dich sicherheitshalber testen lassen. Ich glaube, ich bin positiv.“
Ständig die Angst, dass doch etwas durchsickern könnte
Innerhalb weniger Tage wurde Behrens zu einem physischen wie psychischen Wrack. Mit dem Testergebnis überfiel ihn anfänglich nicht nur die nackte Todesangst, sondern auch die Furcht, dass „es“ herauskommen und sich in der Branche herumsprechen könnte. Seine engsten Freunde, da war sich Behrens sicher, würden mit seiner HIV-Infektion umgehen können. „Mir war aber klar, dass es niemals einer der Kollegen mitbekommen durfte. Da kann ich noch so viel unter dem Siegel der Vertraulichkeit erzählen: getratscht wird immer. Irgendeinem rutscht es dann doch heraus, und ich weiß, wie es in den Theater- und Studiokantinen zugeht.“
Wenn es ein berufliches Umfeld gibt, an dem man einen diskriminierungsfreien Raum und liberale, weltoffene Zustände vermuten würde, dann sicherlich in der Film- und Theaterbranche. Behrens allerdings sieht die Lage anders. Dass viele Promis sich bei Aids-Galas auf dem roten Teppich zeigen, bedeute noch lange nicht, dass sie an den restlichen Tagen des Jahres entspannt mit dem Thema umgehen könnten.
„Viele Menschen haben einfach immer noch dieses Bild im Kopf: Als HIV-Positiver bist du gesundheitlich unzuverlässig. Du wirst eines Tages sterbenskrank werden und dahinsiechen. Deine Arbeitsleistung ist durch die Nebenwirkungen der Medikamente beeinträchtigt. Du wirst nicht immer die hundertprozentige Leistung bringen können. Und ganz unterschwellig wird auch immer mitschwingen: Wer weiß, wo er sich das geholt hat, und wer weiß, ob ich mir bei dem nicht doch etwas weghole.“
„Als HIV-Positiver gelte ich als so unberechenbar wie ein Alkoholiker“
Behrens sagt das recht ruhig und abgeklärt. Nur das leichte Zittern in der Stimme lässt die innere Erregung und Wut erspüren, die er nicht unterdrücken will und kann. „Jeder Selbstständige, zumindest wenn er in engem körperlichen Kontakt zu seinen Kunden oder Kollegen steht oder besonders hohe psychische und psychische Zuverlässigkeit bieten muss, wird sich sehr genau überlegen, ob er offen über sein Positivsein spricht. Und falls er zu dem Schluss kommt, dass die es besser nicht wissen sollten, wird er immer mit der Angst leben, dass es eines Tages doch durchsickert.”
Wer beispielsweise bei einer Fernseh- oder Theaterproduktion arbeitet und nicht ohne Weiteres zu ersetzen ist, stellt zugleich ein großes Risiko dar. Die Produzenten schließen deshalb in der Regel Versicherungen für die Darsteller ab, die bei einem Ausfall für den entstehenden Schaden bzw. die Mehrkosten aufkommen. „Sobald ich als Positiver out wäre, würde die Versicherungsprämie steigen“, vermutet Behrens. „Natürlich könnte ich mir bei den Dreharbeiten auch ein Bein brechen. Aber das wäre schlicht Schicksal. Ein Berufsunfall. Das Virus allerdings bringe ich bereits mit ans Set. Als HIV-Positiver gelte ich für die als so unberechenbar wie ein Alkoholiker.“
Mit Grausen erinnert er sich dran, wie er einmal ein neues Medikament nicht so gut vertrug und mit Durchfällen und Hustenreiz zu kämpfen hatte. Es waren Höllentage. Zum körperlichen Unwohlsein kam der weitaus schlimmere psychische Stress, die Nebenwirkungen so gut wie möglich zu vertuschen und überspielen zu müssen.
„Nenn mir einen bekannten, offen positiven deutschen Schauspieler!“
Würde mit einem Coming-out als HIV-Positiver nicht die ganze Last einfach von ihm abfallen und das Arbeitsleben einfacher und entspannter? Behrens lacht kurz auf. Es ist ein spöttisches Lachen. „Nenn mir einen bekannten, offen positiven deutschen Schauspieler! Da gibt es niemanden! Du siehst sie als Ehrengäste bei Aids-Benefiz-Veranstaltungen solidarisch mit der roten Schleife am Revers, aber keiner von denen würde den Journalisten in die Kamera sagen: ‚Übrigens, haben Sie’s schon gewusst? Ich bin auch HIV-positiv!’“.
Die Angst, dass es für ihn irgendwann keine passenden Rollen mehr geben könnte, ist für Kristof Behrens Belastung genug. Dass ihn aber die Verantwortlichen in den Castingbüros, ob bewusst oder unbewusst, wegen seiner HIV-Infektion für eine Rolle gar nicht mehr erst in Betracht ziehen könnten, wäre für ihn der Super-GAU.
Seine antiretrovirale Therapie bereitet ihm momentan erfreulicherweise keine Beschwerden, und so hofft Behrens, so lange wie möglich ganz normal weiterarbeiten zu können. Ohne dass seine Infektion öffentlich wird.
* Name von der Redaktion geändert
In unserer Porträtserie zum 1. Mai sind bereits folgende Beiträge erschienen:
- „Zu Hause nur herumzusitzen, würde mich krank machen“ (30.4.2012)
- „Dieses Bisschen mehr macht den Unterschied zwischen Überleben und Leben“ (27.4.2012)
Weiterführende Beiträge zum Thema gibt es im DAH-Dossier „HIV und Arbeit“.