Der Mann im Beet

Ich ziehe nicht nur in der Apotheke seltsame Situationen an. Das funktioniert privat genau so gut.

Ich gehe mit Junior  gerne spazieren. Meist enden wir dann auf einem Spielplatz, aber ich finde es noch schön, wenn wir vorher zusammen etwas anschauen. Also gehen wir zusammen an einem schönen Samstag Frühsommer-morgen durch den Park am Stadtrand. Der ist ziemlich gross, mit vielen Wegen und ist sehr gut unterhalten mit vielen Blumen-Beeten, die nach den aktuellen Jahreszeiten bepflanzt sind.

Junior und ich folgen einem Weg etwas abseits der Hauptroute. Da kommen wir um eine Ecke und da liegt ein alter Mann im Blumenbeet.

Wir gehen zu ihm – gehen, nicht rennen, da er nicht sehr gestresst aussieht: er hat auch die Augen offen und antwortet, als ich ihn frage: „Kann ich Ihnen vielleicht helfen?“

… ich denke, er kann vielleicht nicht mehr selber aufstehen. Von Nahem sieht man, dass er … ziemlich alt ist, 80 vielleicht? Und zwar noch fit aussieht und sehr gut angezogen ist … aber: er liegt da im Beet.

Er schaut mich freundlich an und meint nur: „Ach, nein. Ich wollte nur die Blumen fotografieren, die blühen im Moment so schön“.

Sagt’s und holt aus seiner Jackettasche tatsächlich einen etwas professioneller aussehenden Fotoapparat und versucht sich in Position zu drehen für ein paar Fotos eben jener Blumen.

Ich bin etwas erstaunt … gut, die Blumen sind sehr schön – aber …. er liegt wirklich mitten drin. Aber auch wenn er ein wenig Probleme haben sollte mit dem Aufstehen – offensichtlich will er meine Hilfe nicht.

Also verabschiede ich mich und gehe (langsam, weil zweifelnd) mit Junior weiter – als Junior, der bis zu dem Moment eher still zugeschaut hat meint: „Ich muss auf die Toilette. Gleich“

Zum Glück hat es da eine öffentliche Toilette, die sogar in Sichtweite und nur ein paar Meter weiter ist. Da gehen wir dann drauf.

Als wir etwa 10 Minuten später wieder herauskommen (das dauert mit Kindern eher länger auch wenn es nur ein kleines Geschäft ist) … liegt der Mann immer noch im Beet.

“Ah. Jetzt aber!” Denke ich und steuere ihn mit Junior wieder an.

Gleichzeitig kommt noch eine andere Frau dazu, die ihn auch liegen gesehen hat.

„Hallo nochmal,“ sage ich zu ihm und lächle, auch um es ihm einfacher zu machen. „Sie liegen ja immer noch hier … kann ich ihnen nicht doch aufhelfen?“

„Ah ja,“ meint er und versucht selbst aufzustehen, was aber eher aussieht, wie ein Fisch, der an Land ist – er zappelt etwas, aber aufstehen kann er nicht. „Doch, bitte.“

Zusammen mit der anderen Frau ziehe ich ihn hoch. Das ist anstrengender als gedacht: obwohl er alles andere als dick ist, ist er doch ziemlich gross und entsprechend schwer.

Als er endlich steht, stützt er sich schwer auf mich.

„Geht schon“ meint er, worauf ihn die andere Frau loslässt … und jetzt sein ganzes Gewicht auf mich lädt.

“Nein, geht nicht”, denke ich, denn er steht noch nicht selber …  und versuche seinen erneuten Fall aufzuhalten, was mir nur so weit gelingt, dass er sich sehr unsanft hinsetzt.

Offenbar hat er ziemlich Gleichgewichtsprobleme.

Zusammen mir der Frau bringe ich ihn wieder in die Senkrechte und dann zur nächsten Sitzbank. Dort verabschiedet sich die Frau.

Ich unterhalte mich etwas mit ihm: Wie es ihm jetzt so geht? Was passiert ist? Er erzählt mir, dass er 92 Jahre alt ist und schon Gleichgewichtsprobleme gehabt hat. Der Arzt hat aber nichts gefunden. Ihm gehe es jetzt wieder gut, er will nur ein bisschen sitzen und geht dann nach Hause, das praktisch um die Ecke liegt.

„Kann ich sie hinbringen?” biete ich an “Das ist gar kein Problem“

Er lehnt dankend ab und entlässt mich mit den Worten: „Mir geht’s wieder gut, Danke für ihre Hilfe … Wiedersehen!“

Ja nun …

Ich laufe mit Junior weiter, aber irgendwie ist mir nicht ganz wohl dabei.

Darum kehre ich nach wenigen Minuten wieder um.

Wir kommen wieder zur Sitzbank, aber der Herr ist nicht mehr dort. Also hat er es doch noch geschafft. Wenn nicht, dann hätte ich wohl die Sanität gerufen, ob er will oder nicht. Wahrscheinlich eher nicht … ihm war ja schon peinlich, sich aufhelfen zu lassen, auch wenn das wirklich keine Sache war.

Jedenfalls … seitdem sagt Junior immer, wenn wir da vorbei kommen: „Gell, da hat der Mann in den Blumen gelegen!“

Ja. Hat er.

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