Martina* (27) arbeitet als Pflegerin. Sie hat einen Sohn (7) aus erster Ehe und ist derzeit schwanger mit ihrem zweiten Kind. Vor einem knappen Jahr hat sie erfahren, dass sie HIV-positiv ist. Im Interview mit Philip Eicker erzählt sie, wie diese Diagnose ihr Leben verändert hat
Martina, wie hast du erfahren, dass du positiv bist?
Ich bin in die Kinderwunschpraxis gegangen, weil mein Mann und ich ein Kind wollten. Die Voraussetzung, wenn man dort behandelt wird, ist ein HIV-Test. Da dort die Schwangerschaft eingeleitet wird, sichert sich die Praxis ab. Meine Ärztin sagte mir: Wenn Sie eine Behandlung machen wollen, müssen Sie einen Test machen. Und ich sagte nur: Ja, dann machen Sie doch. (lacht)
Diese Ärztin hat dir dann auch das Ergebnis mitgeteilt?
Ja, sie hat sich sehr viel Zeit für mich genommen.
Du warst ahnungslos?
Eigentlich war ich zu dem Termin da, um zu erfahren, wie schnell die Spermien meines Mannes sind. (lacht) Darauf war ich eingestellt.
Wie hast du dich dann gefühlt?
Daran kann ich mich noch sehr gut erinnern. Ich war fassungslos. Bodenlos. Freier Fall. Das war schon ganz schön heftig.
„Ich glaube, ich war auch ein bisschen hysterisch“
Wie lange hat das gedauert?
Die Ärztin hat sich neben mich gesetzt, hat meine Hand genommen, mich am Arm angefasst. Sie war sehr professionell, distanziert, aber trotzdem sehr einfühlsam. Sie war sehr vorsichtig mit den Berührungen, hat abgewartet, ob ich sie ertragen kann. Sie hat mir Taschentücher gereicht und hat mir erst noch einen Moment Zeit gegeben. Ich kann mich nicht mehr ganz genau daran erinnern, aber ich glaube, ich war auch ein bisschen hysterisch. Das Erste, was sie mir nach einiger Zeit erklärt hat, war – na klar, weil ich wegen des Kinderwunsches da war –, dass ich trotzdem ein gesundes Kind bekommen kann.
Was war dein nächster Schritt?
Ich habe meine Mutter angerufen. Ganz unverblümt. Ich hab ihr gesagt: Setzt dich hin. Ist dein Schatz in der Nähe? Ja? Er soll dich festhalten. Dann hab ich ihr das gesagt. (lacht leise) Meine Mutter ist die wichtigste Person in meinem Leben. Sie war entsetzt und hat sofort gefragt: Hast du einen Bestätigungstest machen lassen? Sie ist Krankenschwester und weiß, wie so ein HIV-Test funktioniert. Ich hab ihr gesagt: Mutti, ich hab hier beide Papiere vor mir liegen, das ist alles gegessen. (lacht laut) Sie dann: Okay, dann holen wir dich ab.
Wie ging es dann weiter?
Dann habe ich meinen Mann angerufen und ihm gesagt: Du musst sofort kommen. Der ist dann mit den Öffentlichen von der Arbeit gekommen. Dem hab ich es aber nicht gleich am Telefon gesagt, sondern erst in der Praxis. Zwei Stunden waren wir dort. Das Zeitfenster hatte die Ärztin auch eingeplant. Hinterher hab ich mir gedacht: Das hat sie gut geplant! Die Praxis hat also super interveniert. Die Ärztin war auch dabei, als ich es meinem Mann gesagt habe. Der hat mich erst mal in den Arm genommen, getröstet, gestreichelt. Da wussten wir beide schon, dass er mich angesteckt hat. Das war uns von vornherein klar.
„Mein Mann hat überhaupt nicht damit gerechnet“
Warum?
Weil ich bis 2009 noch in der Ausbildung war. Dort konnte ich jedes Jahr bei der betriebsärztlichen Untersuchung einen HIV-Test machen lassen. Und vor meinem Mann hatte ich keine Beziehungen, die länger waren. Das waren halt Affären, auch weil ich schon ein Kind hatte, das wollte ich alles nicht so eng machen, sondern ich habe gesagt: Wenn, dann muss erst der Richtige kommen. Damals hatte ich nur geschützten Geschlechtsverkehr. Zwei Monate, nachdem ich meinen Mann kennengelernt hatte, hab ich diesen betriebsärztlichen HIV-Test zum letzten Mal gemacht. Er war negativ. Drei Monate später haben wir gesagt: Okay, wir versuchen es jetzt. Ein halbes Jahr später haben wir geheiratet. Und 2011 kam dann die Diagnose.
Wie war das für deinen Mann?
Der hat überhaupt nicht damit gerechnet. Wir haben keinen Test machen lassen, bevor wir ungeschützt miteinander Sex hatten. Und dadurch, dass wir intensiv daran gearbeitet haben, unseren Kinderwunsch zu erfüllen, war dann klar, dass das irgendwann passieren musste.
Was hat sich seit der Diagnose verändert? Zum Beispiel auf der Arbeit?
Nichts, ich bin immer noch Altenpflegerin. Drei Kollegen wissen davon. Die gehen damit wunderbar um. Das sind junge Menschen, gebildet, zwischen 25 und 30. Die waren sehr erschrocken, als ich es ihnen gesagt habe. Aber dann war auch schnell klar: Das ist okay. Da war ich auch ganz egoistisch und hab mir gesagt: Entweder kriegen sie’s geschluckt oder nicht. Das ist ja meine Nummer, da muss ich durch.
Lebst du nun anders?
Vor der Diagnose habe ich nicht immer auf meinen Körper gehört. Jeder weiß, dass man im pflegerischen Bereich aufs Äußerste arbeitet – auch mit schweren Erkältungen, mit 40 Grad Fieber, mit schmerzlindernden Medikamenten zugedröhnt. So was mache ich nicht mehr. Deshalb habe ich prophylaktisch gesagt: „Leute, ich werde mich in meinem Verhalten sicherlich ändern, ihr habt das bestimmt auch schon registriert.“ Es gab ja auch Phasen, in denen es mir nicht so gut ging. Vor allem, weil ich wegen unseres Kinderwunsches auch noch eine Hormontherapie gemachte habe. Da war ich sehr gereizt und zickig. Es war viel Verständnis da. Das habe ich nicht ausgenutzt, aber es hat mir Sicherheit verschafft.
Machst du schon eine HIV-Therapie?
Eigentlich brauche ich noch keine antiretrovirale Therapie, aber um mein ungeborenes Kind zu schützen, nehme ich prophylaktisch Medikamente ein.
„Mein Kleiner fängt schon an zu fragen“
Wie hat sich dein Privatleben verändert?
Eigentlich hat sich nicht so viel verändert. Gut, mein Sohn weiß es nicht. Sein Vater, also mein Ex, weiß es nicht. Seine neue Frau weiß es auch nicht. Das sind natürlich so Sachen. Mein Kleiner fängt natürlich schon an zu fragen: Mama, warum nimmst du denn die Pillen? Ich sag dann: Das ist fürs Baby. Damit ist er auch zufrieden. Aber irgendwann wird er intensiver fragen. Dann muss ich mir was einfallen lassen.
Könntest du es ihm nicht erklären?
Mein Sohn würde das noch nicht verstehen. Er ist erst sieben. Das übersteigt seinen Horizont. Es gibt tolle Kinderbücher zu dem Thema, die hab ich auch gelesen. Aber … (schweigt einen Moment) Ich muss mir das total gut überlegen, wie ich es meinem Kind sage, ohne brutale Ängste bei ihm zu schüren – Ängste um mich, um seinen Stiefvater, um seinen Bruder, der bald dazukommen wird. Das ist total kompliziert.
Und warum vertraust du es dem Vater deines Sohnes nicht an?
Weil ich nach der Diagnose selbst sehr hysterisch reagiert habe in Bezug auf meinen Sohn. Ich dachte mir: Da kann so viel passieren! Das Kind fällt hin, es blutet, dann wird die Wunde schnell saubergemacht … Ich bin ausgebildete Krankenschwester, aber das ist ein Ur-Instinkt, den kann man nicht unterdrücken: Beschütze dein Kind vor allem, was gefährlich sein könnte! Und ich glaube, sein Vater würde genauso reagieren wie ich – nur könnte er es dann nicht so verarbeiten wie ich, weil er nicht so gut informiert ist.
Wem hast du noch von deiner Infektion erzählt?
Einer meiner Brüder weiß es. Bei dem anderen lassen wir es erst einmal ruhen.
Du prüfst also bei jedem Einzelnen, ob du es ihm anvertrauen kannst?
Ja, ich urteile ja nicht nur für mich. Ich kann eine ganze Menge ertragen. Aber ich trage auch Verantwortung für Menschen, die ich liebe und für die ich sorge. Und da muss ich entscheiden, ob die das ertragen können. Es gibt Situationen, wo es den Leuten einfach nicht gut tut, Dinge zu wissen. So habe ich das für mich entschieden. Und wenn ich mich damit wohlfühle, dann ist das auch kein Problem.
„HIV hat uns noch um einiges näher gebracht“
Macht es die Sache leichter, dass dein Mann auch positiv ist?
Ja, das war sehr wichtig. Für uns beide. Aber für ihn war es schwieriger, weil er mit dem Gedanken leben muss, dass er mich infiziert hat. Ich glaube, das ist nur sehr schwer zu ertragen, dieses Schuldgefühl.
Hat die Infektion deine Beziehung zu deinem Mann verändert?
Ja, sehr. (schweigt einen Moment) Mein Mann und ich waren uns vorher schon sehr nahe. Aber HIV hat uns noch um einiges näher gebracht. Das kann ich schlecht erklären. Ich finde nicht die richtigen Worte dafür. Lieben wir uns mehr? Das hört sich so banal an. Aber HIV verbindet uns. Es war eine riesige Herausforderung, mit den Vorwürfen und Schuldgefühlen fertigzuwerden. Wir haben intensiv darüber gesprochen und haben es geregelt gekriegt.
Wie seid ihr darauf gekommen, das Positiventreffen im Waldschlösschen zu besuchen?
Mein Mann und ich haben viele homosexuelle Bekanntschaften. Inzwischen haben wir viele neue, HIV-positive dazugewonnen. Da ist einer dabei, der engagiert sich öffentlich, und der hat uns empfohlen: Fahrt doch mal ins Waldschlösschen! Das ist schon unser drittes Positiventreffen. Es ist jedes Mal wunderschön. Wir haben natürlich auch den Vorteil, dass wir jetzt nicht mehr so viel verarbeiten müssen. Wir haben es ja leicht im Vergleich mit anderen: Wir sind zu zweit, wir sind beide positiv. Menschen, die keinen haben, mit dem sie zusammen sind – für die muss das die Hölle sein. Oder wenn ich an Menschen denke, die vielleicht eine andere Nationalität haben, wo das Schwulsein nicht so einfach zu handeln ist. Im Vergleich dazu haben wir es sehr leicht. Deswegen sind für uns die Treffen vor allem Wiedersehen, Entspannung – und Themen, die in Zukunft vielleicht mal aktuell werden.
Womit beschäftigst du dich auf diesem Positiventreffen?
Im Moment mit Massage und Entspannung. (lacht)
*Name geändert
Interview: Philip Eicker