Die Prüfung

Der Typ mir gegenüber wird in Innere geprüft. Er sieht mehr so als, als würde er gleich gevierteilt werden. Nervös spielt er an seinem Ärmel herum. Es macht mich wahnsinnig. Alle zwei Minuten fragt er mich, wie spät es sei. Schließlich öffnet sich die Tür und ein Herr in grauem Anzug erscheint. “Doktor Anna?” fragt er in die Runde. Ich bin die einzige Frau, wer also könnte gemeint sein? Mit weichen Knien stehe ich auf. Jetzt ist es also so weit, sie führen mich zur Schlachtbank.

Im Raum warten noch zwei weitere Prüfer. Ich mache den Schnellcheck – sie sehen nicht maligne aus. Ich fühle eine Welle der Erleichterung in mir aufsteigen. Man bittet mich, Platz zu nehmen und belehrt mich über das Übliche. Nachdem ich halbwegs bezeugend darlegen kann, dass ich seelisch und moralisch gerüstet bin, geht es los.
Ein Röntgenbild der Lunge, was ich da wohl sehe? Spannungspneu, Claviculafraktur, Subklaviakatheter, das ist zum Glück denkbar einfach. Ich verfranze mich bei der Frage nach den intrathorakalen Drücken, hoffe, dass meine gute Vorstellung beim Röntgenbild das überdecken würde. Weiter zur Therapie bei coronaren Stents, wie lange wird welcher Stent wie mit Thormbozytenaggregationshemmer behandelt? Ich sage etwas Dämliches. Entsetzter Blick des Prüfers: “Überlegen Sie noch mal!”
Ach so, ja. Die richtige Antwort fällt mir ein. Der Prüfer macht sich eine Notiz. War das jetzt gut oder schlecht? Narkose bei coronaren Risikopatienten mit Übergewicht, laparoskopische OP, wie was womit? Das ist anästhesiologisches Standardwissen. Der Prüfer nickt zu meinen Ausführungen. Ein, zwei Nachfragen, alles ok.
Der Prüfungsvorsitzende winkt ab, er hat keine Fragen, es geht weiter zum nächsten Prüfer. Grundlagen… Narkosegase werden im Detail abgefragt, ich antworte im Detail. So detailliert will man es eigentlich gar nicht wissen. Der Prüfer unterbricht meinen Redefluss. Weiter zu Injektionsanästhestika und Opioiden. Dazu immer die Frage: “Wie ist denn da die aktuelle Studienlage?” Ich nuschele etwas in meinen nicht vorhandenen Bart. Der Prüfer nickt, scheint zu stimmen. Ich sehe unauffällig auf die Uhr. Das muss doch bald vorbei sein?
Bei der Diskussion um die totale intravenöse Anästhesie rede ich am Prüfer vorbei. Sage die Worte “Kontextsensitive Halbwertszeit” nicht. Böser Fehler. Zur Strafe muss ich dieselbe definieren und ebendiese für sämtliche Medikamente graphisch aufbereiten. “Grob richtig.”, sagt der Prüfer stirnrunzelnd mach einem Blick auf eine Malkünste. Geht doch. Noch eine kurze Exkursion zur Target Controlled Infusion. Kenn ich, kann ich.
Der letzte Prüfer sieht auf die Uhr. “Okay, das reicht.” Der Prüfungsvorsitzende lächelt mir freundlich zu. “Dann gehen Sie jetzt doch bitte mal einen Moment raus, wir beraten uns und holen Sie dann wieder rein.”
Ich nicke und schleiche zur Tür. Wie lange Beratungszeit ist wohl angemessen? Was, wenn sie sich in 20 Minuten noch immer beraten?
Vor der Tür treffe ich den Internisten. Er hält einen Umschlag in der Hand und strahlt wie ein Honigkuchenpferd. “Alles gut?”, frage ich ihn. Er nickt begeistert. Ich schüttele ihm die Hand. “Herzlichen Glückwunsch.”, sage ich.
“Und selbst?”
Ich deute mit dem Kopf auf die Tür. Man berät sich.
“Wird schon!”, sagt er aufmunternd. Ich lächele. Wenn sie da jetzt nicht sofort rauskommen, dann gehe ich da rein und frage, was das Problem ist! denke ich so bei mir. Da geht die Tür zu meinem Prüfungsraum auf. Der Prüfungsvoritzende bittet mich wieder herein. Da stehe ich nun. Alle drei lächeln mich an. Ist das gut?
“Ich gratuliere!” Der Prüfungsvorsitzende hält mir einen Umschlag hin. Dann darf ich gehen.

Auf der Straße mache in den Umschlag auf. Ein großes schweres Papier. “Anerkennung” steht darauf. “Fachärztin für Anästhesiologie” steht darunter. Na also. Geht doch.

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