Kunst und Gehirn

… und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt…

Foto: Christian Seidel / Ich / pixelio.de

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Robert Schumanns größter Traum war es Pianist zu werden. Doch wie so viele unserer Träume sollte auch dieser nie Wirklichkeit werden – ihm wurde durch einen Schicksalsschlag ein jähes Ende gesetzt.

Robert Schumann wurde 1810 als Sohn des Buchhändlers und Verlegers August Schumann und dessen Frau Johanna Christiane in Zwickau geboren. Schon in der Kindheit widmete er sich voller Hingabe dem Klavierspiel. Da seine Fähigkeiten bald die seines Lehrers übertrafen, wurde er mit 15 Jahren sich selbst überlassen. Sein Vater, der Roberts musikalische Ader sehr unterstützte, starb 1826. Seine Mutter zweifelte im Gegensatz zu diesem am  großen Durchbruch ihres Sohnes und drängte ihn zum Jurastudium. Robert willigte schließlich ein – seine wahre Liebe und Leidenschaft galt jedoch weiterhin der Musik.

Sein überdurchschnittliches Talent wurde schließlich in Leipzig von dem damals sehr renommierten Klavierlehrer Friedrich Wieck entdeckt. Ein Jahr später führte in sein Jurastudium jedoch nach Heidelberg. Dort nutzte er die Zeit, um sein Klavierspiel weiter zu intensivieren und besuchte die Universität nur sehr selten. Bis zu sieben Stunden täglich saß er am Flügel, wiederholte oft hartnäckig und verbissen immer und immer wieder dieselben Fingerübungen, bis hin zur vollkommenen Frustration. Trotzdem gab er sein Ziel nicht auf. Im Juli 1830 offenbarte er seiner Mutter schließlich, dass er bei Friedrich Wieck eine Karriere als Pianist anstreben wolle. Seiner Mutter fiel es nicht leicht, ihn  ziehen zu lassen, sie knüpfte den „Versuch“ Roberts, Pianist zu werden, an bestimmte Bedingungen.
Zurück in Leipzig begann eine schwierige Zeit für ihn. Da seine Mutter nur einer vorübergehenden Probezeit bei Friedrich Wieck zugestimmt hatte, fühlte er sich enorm unter Druck gesetzt. Seine Finger flogen oft bis zum Exzess das Klavier auf und ab, doch der gewünschte Erfolg blieb aus.

„Mit dem Clavier ging’s einige Tage herzlich miserabel, gestern weint’ ich vor Wuth. – Hätt ich nur keine Finger und könnte mit meinem Herzen spielen …“

Zwischendurch beschreibt Robert auch immer wieder Höhenflüge, doch schließlich erwähnt er das erste Mal, dass Zeige- und Mittelfinger weniger flexibel seien als seine anderen Finger und entwickelte eine eigens dafür hergestellte Konstruktion unter der sich sein Leiden zu bessern schien. Er band den Mittelfinger hoch, sodass er nur noch mit den restlichen 4 Fingern spielen konnte. Ist äußerliche Gewalt fähig das Gehirn zu besänftigen? Einige Wochen schien er sichtlich begeistert von seiner Erfindung, das Klavierspiel lief wie am Schnürchen… Doch dann folgte die schockierende Nachricht: sein Mittelfinger war komplett steif. Wie musste sich Robert Schumann wohl gefühlt haben als er endgültig seinen Traum aufgeben musste? Als ihm bewusst wurde, dass er ausgeträumt hatte, dass die Noten nicht mehr auf Wolken schwebten, sondern im Wasser untergehen würden. Dass seine Finger nie wieder leichtfertig  und schwerelos wie fliegende Vögel in die Lüfte abheben, sondern für immer durch selbst angelegte Ketten am Boden der Tatsachen bleiben würden.

Experten wie Eckart Altenmüller gehen von einer fokalen Dystonie, auch “Musikerkrampf” genannt, aus. Die fokale Dystonie ist eine neurologische Erkrankung, bei der die Pathophysiologie letztlich noch nicht ausreichend geklärt ist. Das Hauptsymptom der Erkrankung ist der Verlust der Kontrolle über die Feinmotorik. Dies tritt nur beim Spielen des jeweiligen Instrumentes auf, was schon auf die große psychische Komponente hindeutet. Am meisten betroffen sind Pianisten und Gitarristen – Männer dabei häufiger als Frauen. Man geht von einer maladaptiven neuronalen Plastizität aus. Einer Studie von Münte et al. zufolge ist die Repräsentation der Finger im sensomotorischen Kortex bei Musikern, die an einer fokalen Dystonie leiden, auf ein kleineres Areal beschränkt, als bei gesunden Probanden. Man kann sich also in gewisser Art und Weise eine “Fusion” der einzelnen Finger vorstellen – ein ineinander „verschmelzen“. Dies wiederum hat einen Verlust der Kontrolle über diese einzelnen Finger zur Folge, da das somatosensorische Feedback nicht mehr einwandfrei funktioniert. Warum diese Areale dann mehr oder weniger zu einem “verschmelzen”, liegt wahrscheinlich an einer unzureichenden lateralen Inhibition von neuronalen Netzwerken, die die afferenten Informationen an das Gehirn senden, zugrunde. Außerdem spielt – wie schon erwähnt – die Psyche eine äußerst große Rolle. Vor allem bei Stress und Anspannung kommt es häufig zu Musikerkrämpfen. Laut Jabusch et al. finden sich überdurchschnittlich oft perfektionistische Züge bei den Betroffenen.

Auch in Robert Schumann kann man all diese Charakterzüge wiederfinden. Eine psychische Erkrankung ist bei Robert Schumann ebenso vorbeschrieben, allerdings streiten sich die Geister von welcher Qualität diese war. Wahrscheinlich kann man sowohl seine psychische Grundstruktur, die die fokale Dystonie begünstigt hat, als auch die Erkrankung selbst als heilloses Glück ansehen, denn nur dadurch wurden wir mit einem so außergewöhnlichen Komponisten beschenkt. Ohne die fokale Dystonie hätte er sich nie vollkommen der Komposition hingegeben und ohne sein inneres Leiden, seinen Perfektionismus und seine innere Zerrissenheit hätte er wohl niemals Werke schaffen können, die so aus der Tiefe seines Herzens sprechen, wie das Klavierkonzert in a-Moll, welches er 1845 vollendete.
Das träumerische Hauptthema beginnt mit den Tönen C-H-A-A, welche an die italienische Version „Chiara“ des Namens seiner Ehefrau Clara erinnern sollen. Der milde Sanftmut dieser Melodie streichelt einen förmlich, wiegt einen in Geborgenheit. Mit den später einsetzenden Streichern gleitet man langsam auf einer Woge der Melancholie hinab. Man spürt sein Leiden, seinen Schmerz und die Sehnsucht zutiefst… Nichts könnte seine innere Zerrissenheit besser ausdrücken als diese zarten Klänge, die sich mit stürmischen Passagen abwechseln als wollten diese den Schmerz der Melancholie vernichten.

Florestan den Wilden,
Eusebius den Milden,
Tränen und Flammen
Nimm sie zusammen
In mir beide
Den Schmerz und die Freude.

(Schumann in den Liebeszeiten an Clara)

Florestan und Eusebius sind zwei Fantasiefiguren, die Schumann erschaffen hatte, die seinem Innersten entsprungen sind, in seinen eigenen Werken immer wiederkehren und die er als Musikkritiker oft als Metapher verwendete. Eben diese spiegeln sein seelisches Innenleben wieder, welches er in der Musik wie in keiner anderen Sprache hemmungslos auszudrücken vermochte. Und diese Musik währt ewig – noch Jahrhunderte später haben wird durch seine außergewöhnlichen Kompositionen einen Einblick in den Abgrund seiner Seele…
Robert Schumann – ein in sich zerrissener, aber genialer Komponist (…).

Dr. med. Manuela Felizeter

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