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Gekaufte Meinung mangelhaft gekennzeichnet
In einer Dissertation*, die an der Universität Wien eingereicht worden ist, wirft die Wissenschaftlerin Katja Horninger den Verlagen vor, die Vermischung von Redaktion und bezahlte Inhalten sei allgegenwärtig in Österreichs Zeitungen. Zwei Drittel aller Sonderseiten und rund ein Drittel aller redaktioneller Anzeigen würden mit falscher oder unzureichender Kennzeichnung versehen. Die Resultate haben in unserem Nachbarland Aufsehen erregt. In einem Positionspapier ruft der Österreichische Ethik-Rat für Public Relations alle Verantwortlichen in der PR und Werbebranche sowie bei den Medien auf, sich gemeinsam für mehr Transparenz bei der Kennzeichnung entgeltlicher Beiträge in Medien einzusetzen und damit einen Beitrag zur Hebung der ethischen Standards in den betroffenen Berufsgruppen zu leisten.
Die meisten irreführenden Veröffentlichungen entdeckte Horninger in Beiträgen über öffentliche Institutionen, Kultur, Immobilien sowie Banken/Sparkassen/Versicherungen. Pharma? Fehlanzeige. Ein Erfolg der Werbe- und PR-Agenturen bzw. deren Auftraggeber aus der Pharmaindustrie, die ihre Werbung bevorzugt in redaktionellen Beiträgen unterbringt. Ebenso fallen die in Österreich so beliebten Disease-Awareness-Kampagnen nicht in das traditionelle Raster der Sonderwerbeformen und anderer Formen von Advertorials. Wenn eine ganze Zunft der Medizinjournalisten Hand in Hand mit der Gesundheitsindustrie zusammenarbeitet, haben selbst Publizistik-Forscher es schwer, redaktionelle Beiträge zutreffend zu bewerten.
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*Katja Horninger: Bezahlte Wahrheiten. ‚Schleichwerbung’ in österreichischen Tageszeitungen. Eine Bestandsaufnahme. Dissertation Universität Wien, Juni 2009.
Preiskontrolle im ethischen Konflikt
Arzneimittelpreise – an dem derzeit wichtigsten gesundheitspolitischem Thema kommt auch das ZDF-Magazin Friontal21 nicht vorbei und zeigte in der Sendung am Dienstag ein vermeintlich besonder schlimmen Fall für die Abzocke der Pharmakonzerne. Der alte Wirkstoff Thalidomid, bekannt als Contergan®, wird vom Pharmaunternehmen Celgene für einen horrenden Preis zur Therapie des multiplen Myeloms verkauft.
Ein Beispiel, dass unglücklich gewählt wurde und nur mit Gewohnheit zu erklären ist. Schon 2006 hatte Frontal21 Celgene und Thalidomid bzw. Revlimid® (Wirkstoff Lenalidomid) bei überhöhten Preisen ins Visier genommen.
Bei der Preistreiberei, die Gesundheitsminister Rösler eindämmen will, geht es um patentgeschützte Wirkstoffe. Das Patent für Thalidomid ist vor Jahrzehnten ausgelaufen. Wie kann Celegne damit ein Preismonopol begründen? Diese Erklärung bleibt der TV-Beitrag schuldig und wird hier nachgereicht, weil es die Komplexität des Themas zeigt.
Das Unternehmen Pharmion hatte bei der europäischen Arzneimittelbehörde EMEA eine Zulassung zur Behandlung des Multiplen Myeloms als Orphan Drug beantragt. Mit dem Status “Orphan Drug” zur Behandlung von seltenen Krankheiten, sind exklusive Vermarktungsrechte für das ausgewiesene therapeutische Anwendungsgebiet über einen Zeitraum von maximal zehn Jahren verbunden. Ausserdem wird das Unternehmen von Gebühren der EMEA, z.B. für die Beratung bei der Entwicklung und für die Bearbeitung von Zulassungs- und Änderungsanträgen, befreit
Der Pharmakonzern Celgene kaufte das Unternehmen Pharmion 2007 für 2,9 Milliarden Dollar und kam damit wieder in Besitz der Vermarktungsrechte, die vorher Celegne an Pharmunion weitergegeben hatte. Celgene vermarktet bereits Lenalidomid (Revlimid®), ein dem Thalidomid verwandten Wirkstoff, als Orphan Drug zur Behandlung des Multiplen Myeloms. Darüber hinaus hat Celgene mit Actimid™ ein weiteres Thalidomid-Analogpräparat in der Entwicklungs-Pipeline.
Bei Orphan drugs ist am Ende des fünften Jahres eine Überprüfung der Fördervoraussetzungen vorgesehen. Das Exklusivrecht erlischt, wenn ein anderer Anbieter innerhalb der 10-Jahres-Frist nachweisen kann, dass sein Präparat “sicherer, wirksamer oder unter anderen Aspekten klinisch überlegen ist”. Rechtzeitig vor Ablauf der 5-jährigen Überprüfungsfrist für Lenalidomid hatte sich Celgene durch die Übernahme von Pharmion einen neuen Umsatzbringer gesichert.
Wenn Frontal21 damit die Notwendigkeit von Preisverhandlungen zeigen wollte, ging das gründlich schief.
In diesem Fall kommen mehrere Dinge zusammen. Zum einen die Förderung der Entwicklung von Medikamenten für seltene Erkrankungen. Mit der Exklusivität soll Pharmauunternehmen ein wirtschaftlicher Anreiz gegeben werden, die auch für eine kleine Zahl von betroffenen Patienten neue Medikamente zu entwickeln. In Deutschland sind durch die bisher freie Preissetzung und generellen Erstattung mit dem Orphan Drug Status keine besonderen Vorteile verbunden. Andere Länder, in denen Kosten-Nutzen-Bewertungen, Verhandlungen oder Festsetzungen den Preis und die Erstattung bestimmen, sehen Ausnahmen für Oprhan Drug Medikamente vor. Falls die Pläne der Bundesregierung umgesetzt werden, müssten sich Politik und Krankenkassen in Deutschland Gedanken machen, wie sie mit Orphan Drugs umgehen. Es ist widersinnig, den Zulassungsprozess für Orphan drugs zu erleichtern, wenn in einem zweiten Schritt die Erstattung an dem zu hohen geforderten Preis scheitert.
Methodisch ist eine Bewertung von Orphan Drugs schwierig. Daher sind Arzneimittel, für die eine Kosten-Nutzen-Bewertung nur im Vergleich zur Nichtbehandlung erstellt werden kann, derzeit von einer Bewertung durch das IQWiG ausgenommen. Um es noch eine Schraube weiter zu drehen. Mit Revlimid® gab es vor der Zulassung von Thalidomid schon ein Medikament zur Therapie des multiplen Myeloms. Wenn Thalidomid bessere Ergebnisse bringt, würde eine Kosten-Nutzen-Bewertung sogar theoretisch einen höheren Preis rechtfertigen.
Zum anderen ist es ein Krebsmedikament. Hier wirft eine Nutzenbewertung generell Fragen auf. Von Experten wird eingewandt, dass sich die Bestimmung der Standardtherapie in der Onkologie häufig schwierig gestaltet. Die Therapie muss dem Krankheitsverlauf angepasst und individuell ausgerichtet werden. Bei der Therapie der letzten Wahl werden oft für die Indikation nicht zugelassene Medikamente off-label verwendet.
In der Krebstherapie treffen bei der Bewertung des Nutzens von Arzneimitteln ethische Aspekte auf finanzielle Grenzen. Ein Randthema? Bei der GEK hatten 2008 gentechnisch hergestellter Arzneien, die etwa bei Krebs eingesetzt werden, bereits einen Anteil von 13% der Arzneimittelausgaben – mit steigender Tendenz.
Ein kleiner Vorgeschmack auf die Diskussionen über die Vorschläge zur Reduzierung der Arzneimittelausgaben über Verhandlungen mit Krankenkassen, Nutzendossiers und Schiedskommissionen, wie es Gesundheitsminister Rösler vorgeschlagen hat. Die Gefahr ist gross, dass es bei der Frage endet, was ein Lebensmonat wert ist. Eine Diskussion, die Rösler auf jeden Fall vermeiden wollte.
Problem der Interessenskonflikte bei Leitlinen-Autoren
Die Vergesslichkeit eines Experten bei der Angabe möglicher Interessenskonflikte in Therapieleitlinien, sind kein Einzelfall. Es wird geschätzt, dass sich in der Mehrzahl der S2- und einem grossen Teil der S3-Leitlinien keinerlei Angaben zu Interessenkonflikten der Autoren finden lassen. Individelle und direkt einsehbare Angaben zu Interessenskonflikten der Autoren sind die Ausnahme.
Das Problem ist bekannt und beschäftigte im Dezember die Leitlinien-Beauftragten der AWMF-Mitgliedsgesellschaften in ihrer Konferenz. Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) ist der Dachverband von 154 medizinischen Fachgesellschaften und koordiniert seit 1995 die Entwicklung von medizinischen Leitlininien in Deutschland.
Die Betroffenen, Fachgesellschaften wie Leitlinienautoren, können sich nicht mit neuen Anforderungen und einer wachsenden Sensibilisierung in Sachen Interessenskonflikte herausreden. AWMF und das Ärztliche Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ), eine gemeinsame Einrichtung von Bundesärztekammer und Kassenärztlicher Bundesvereinigung, haben 2005 ein “Deutsches Instrument zur methodischen Leitlinien-Bewertung” (DELBI) herausgegeben, das die Bewertung der Qualität medizinischer Leitlinien ermöglichen soll. In Domäne 6 wird in der Frage 23 die Transparenz bei der Angabe von Interessenskonflikten zur Bewertung herangezogen.
Bereits die Empfehlung des Europarats aus dem Jahr 2001 zur “Entwicklung einer Methodik für die Ausarbeitung von Leitlinien für optimale medizinische Praxis”, auf der das DELBI aufbaut, sieht die Offenlegung von Interessenkonflikten von Mitgliedern der Leitlinienentwicklungsgruppe als Kriterium vor.
Trotzdem ist es immer noch möglich, dass im “Deutschen Ärzteblatt” ein Autor einer aktualisierte S3-Leitlinie sich als frei von Interessenkonflikten bezeichnet, obwohl er nachweislich finanzielle Beziehungen zu Pharmakonzernen hatte, die Medikamente für die Therapie der Erkrankung anbieten.