Blogbeitrag von Langzeitärztin Dr. Barbara Hünten-Kirsch
Es gibt immer wieder Sozialfälle sowohl unter den Mitarbeitern als auch unter unseren Patienten. Oft stehen wir vor der Frage, wie viel Unterstützung geben wir, wo ziehen wir die Grenze. Es gibt ja einen Sozialfonds, in den die Kollegen für bedürftige Mitarbeiter einzahlen. Dieser ist aber explizit nur für unsere wenig verdienenden Angestellten gedacht. Aber natürlich erleben auch die anderen soziale Katastrophen, manchmal – zumindest zum Teil – auch absehbar und selbst verschuldet. Mir kommt es oft so vor, ein Fass ohne Boden stopfen zu wollen. Außerdem sind unsere Angestellten ja wirklich nicht die Ärmsten, sie bekommen zumindest ein regelmäßiges Gehalt im Gegensatz zu vielen anderen Slumbewohnern. Das 2. Problem ist, habe ich einem in einer Notlage etwas gegeben, die außerhalb der von uns aufgestellten Regeln fällt, so leitet der nächste daraus ab, dass ihm/ihr auch geholfen wird. Wenn das dann nicht passiert, wird das als ungerecht empfunden und daraus geschlossen, dass ich ihn nicht leiden kann etc.. Das bedeutet, eine Hilfe im Notfall hat oft auch ungeahnte negative Konsequenzen für die Zukunft. Dasselbe gilt auch für die Unterstützung von Patienten bei z. B. Krankenhauseinweisungen, Operationen, Spezialuntersuchungen. Auch wenn es von den Kollegen immer gut gemeint ist, so wird es doch weitererzählt und der nächste kommt dann schon mit dem Anspruch, dass ihm die Operation bezahlt wird, und manchmal wird diesen Ansprüchen zumindest gegenüber unseren kenianischen Mitarbeitern auch sehr unschön Ausdruck verliehen. Lilian, unsere Oberschwester, wird dann persönlich dafür verantwortlich gemacht, dass Operationskosten nicht übernommen werden. Ich selbst kann viel besser damit umgehen, wenn wir nur bestimmte Leistungen – unser Barakaspektrum – anbieten und alles, was darüber hinausgeht, nicht übernehmen.
Auf der anderen Seite gibt es im Slum immer wieder total elende, menschenunwürdige Situationen, wo man mit relativ wenig Geld sehr wirksam helfen kann. Da bin ich sehr froh, dass wir oft die Möglichkeit haben zu helfen: Da ist z. B. die 23-jährige Schneiderin Selma, HIV-positiv mit 2 Kindern, die ebenfalls HIV-positiv sind, ihr Ehemann ist arbeitslos. Mit der Finanzierung eines kleinen Geschäfts (Stand, Nähmaschine und Material) wird sie hoffentlich bald sich und ihre Familie versorgen können. Der 37-jährige Joseph lebte auf der Straße und wurde von uns wegen Lungenentzündung und Unterernährung behandelt. Ihm konnte mit umgerechnet 120 Euro eine feste Bleibe verschafft und eine Schuhputzerausrüstung gekauft werden. Dann gibt’s die Geschichte vom HIV-positiven, zehnjährigen Waisenkind Maxwell Moi, der bei seiner Großmutter aufwächst. Diese verdiente mit Gelegenheitsarbeiten so wenig Geld, dass sie Maxwell nie auf eine normale Schule schicken konnte. Mit finanzieller Unterstützung von Kollegen soll Maxwell nun auf die staatliche Grundschule gehen, in der sogar auch für Mittagessen gesorgt ist. Mary, Patientin in unserem HIV-Programm, Witwe und Mutter von 4 Kindern, hat bei einem Brand in Mathare vor kurzem all ihre Habe verloren. Für etwa 150 Euro konnte ihr ein neuer Hausstand gekauft, die Monatsmiete bezahlt und noch ein kleines Geschäft finanziert werden.
Aber es gibt auch immer wieder schöne Erlebnisse. Da ist z. B. unser Betriebsausflug in den Karura Forest am vorletzten Wochenende. Der Karura Forest ist ein relativ großes Waldgebiet, das in unserer unmittelbaren Umgebung liegt (25 Minuten Fußweg). Er enthält noch richtige Urwaldbäume, Höhlen, einen wilden Bach und sogar einen Wasserfall. Wangari Maathai, die inzwischen verstorbenen kenianische Friedensnobelpreisträgerin und Gründerin des “Green Belt Movements”, hatte sich für seinen Erhalt eingesetzt. Damit auch unsere Mitarbeiter mal sehen, was für wunderschöne Natur sich fußläufig in ihrer unmittelbaren Umgebung befindet, hatten wir sie zum gemeinsamen Spaziergang mit anschließendem Picknick eingeladen. Ursprünglich sehr skeptisch haben dann doch außer uns acht Ärzten etwa 30 Angestellte teilgenommen und waren wirklich begeistert von der schönen Wanderung, dem Picknick und dem anschließenden Fußballspielen. Am nächsten Tag wurde mir erzählt, die anderen wären von den Berichten ganz neidisch geworden, und beim nächsten Mal würden bestimmt alle teilnehmen….. So überlegen wir schon, wo es als nächstes hingehen könnte.
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