Auf schwulen Kontaktportalen geht es nicht nur sexuell recht direkt zu, sondern oft auch unverhohlen diskriminierend. Axel Schock zeichnet ein Sittenbild – er findet: Man(n) muss nicht auf jeden stehen, aber jeden respektieren!
Für Diskriminierung haben wir Schwulen durch Jahrhunderte leidvoller Erfahrungen ein gutes Gespür entwickelt. Und wir haben gelernt, uns zu wehren. Wenn uns heute ein hinterwäldlerischer Politiker blöd kommt, ein Macho-Fußballer mal wieder „Schwuchtel“ blökt oder ein Bistum- oder Vatikanbediensteter eine homophobe Dummheit verbreitet, reagieren wir mit einem ordentlichen „Shitstorm“. Gemeinsam sind wir stark und lassen uns von dahergelaufenen Prolls nicht blöd von der Seite anquatschen.
Klartext reden, ohne zu diskriminieren!
Wenn wir aber so ganz unter uns sind, auf den Internet- oder Smartphone-Cruising-Arealen wie Gayromeo, Grindr oder homo.net, herrschen offenbar andere Regeln. Hier ein paar Kostproben, aus Datenschutzgründen ein wenig anonymisiert, aber authentisch: „Keine alten Säcke oder Freaks die Tuntig sind! Bin selber top normal!!“, schreibt ein junger Bisexueller. Auch ein bartloser Single hat klare Vorstellungen: „Bauch oder ‚ähnliches‘ zwecklos“. Und so geht es munter weiter, wenn man sich durch die Profile klickt: „Passt mir deine Hackfresse nicht, verdienst du auch keine Antwort“, „Gezupfte Augenbrauen – einfach abtreten!“, „Kein Gammelfleisch“, „Kein Hartz4-Gesocks“, „Keine sonnengegerbten Fressen der Mallorca-Gran-Canaria-Fraktion“.
Auch Sprache taugt zur Diskriminierung: Für einen User ist ein „berliner/sächsischer Akzent“ ein absolutes No-go – er scheint dies für eine Frage des guten Willens zu halten: „Jeder kann Hochdeutsch.“ Und ein bayrischer„Latino mit leichtem Bauch“ beschreibt sich als schüchternen Buddhisten, spricht in seinem Wunschkatalog allerdings forsch Klartext: „Bisexuelle, Mingvasen und Fitschis“ bekommen von ihm einen Platzverweis.
Die Beschimpfungen gehen munter weiter: HIV-Positive werden als „Viren- und Bakterienschleudern“ abgestempelt – nicht selten von Usern, die „gesunde Hengste“ für „Bareback-Besamung“ suchen. Und auch unter Positiven herrscht bisweilen ein Klima der wechselseitigen Anfeindung: Selbstverständlich, schreibt ein Endvierziger in seinem offenherzigen Profiltext, wäre es schön, wenn Positive nicht stigmatisiert würden. Ihm selbst passiere dies nur ganz selten. Angemacht aber würde er von anderen Positiven: dafür, dass er auf Safer Sex besteht.
Lustvoll Vorlieben benennen, ohne zu beschimpfen!
Okay, das Leben ist kein Ponyhof, und bei der Suche nach dem Mann fürs Leben oder den nächsten Quickie zählt oft weniger Romantik denn Effektivität. Mit Suchrastern kann man nach dem Idealtypen fahnden, von der Größe bis zu den sexuellen und musikalischen Vorlieben. Solche Eingrenzungen bei der Suche nach Mr. Right via Suchmaske sind ja per se auch nichts Schlechtes. Aber wäre das Ganze nicht auch ohne verbale Ausgrenzungen in den Profiltexten zu haben?
Muss ich, um zu signalisieren, dass ich auf schlanke Typen stehe, abschätzig von „fetten Schweinen“ sprechen? Muss ich, was mir nicht kerlig genug erscheint, als „Tucke“ und „Schwuchtel“ beschimpfen? Und was unterscheidet eigentlich jemanden, der Schwule asiatischer Herkunft als „Mingvase“ oder „Reisschüssel“ beleidigt, von Rassisten und Neonazis, die Schwule und Ausländer als „Gesocks“ bezeichnen? Glauben manche Schwule vielleicht, sich mit solch verletzenden Formulierungen kerliger geben zu können, als sie in Wahrheit sind, um sich damit ein Machoimage zu geben?
Niemand verlangt ja, dass jeder jeden gleich geil und attraktiv finden muss. Und niemand soll sich gehindert fühlen, seine sexuellen und anderen Vorlieben offen zu benennen. Dass dies aber auch mit Respekt füreinander geht, machen die Heteros vor. In ihren Jagdrevieren geht es nicht weniger direkt, derbe und eindeutig zur Sache – auf Portalen wie poppen.de präsentieren sich Herren als „Dauer-Rammler“ mit XXL-Kolben, während sich Ladys als „willige Schlampe“ bezeichnen und mit Formulierungen preisen, die wir an dieser Stelle lieber nicht zitieren. Auch was die Wunschpartnerinnen und -partner angeht, bleibt kein Detail unerwähnt. Aber wer eine sportliche Frau sucht, muss offenkundig nicht hinzuzufügen, dass sich „fette Weiber“ gefälligst vom Acker machen sollen, und wer auf kräftigen Körperbau steht, beschimpft andere deshalb nicht als Hungerhaken.
Denkt jemand an die Gefühle der Beschimpften?
Fehlt Schwulen also einfach die gute Kinderstube? Oder hat das böse Internet unsere Sitten so sehr verrohen lassen? Neu ist diese Art der Ausgrenzung sicherlich nicht. Formulierungen wie „Tunten zwecklos“ und „kein BBB“ (Bart, Brille, Bauch) kenne ich, seit es schwule Kontaktanzeigen gibt. Aber derart roh in der Wortwahl und die Grenzen zum offenen Rassismus überschreitend wie heute ging es noch nie zu. Denkt jemand, der in seiner No-go-Liste „Brillenträger“ und „Asiaten“ in einer Reihe mit „Fakern“, „Freaks“ und „Spinnern“ aufführt, darüber nach, wie sich die derart Angesprochenen dabei fühlen mögen?
Einer, der sich selbstironisch als „Europäer, gefangen im Körper eines Asiaten“ bezeichnet, liest solchen Herren auf seinem Profil ordentlich die Leviten: „Es tut mir ja selber leid, dass ich nicht als schwedischer Gott geboren wurde und nicht dem schwulen Schönheitsideal entspreche. Und es tut mir leid, dass ich nicht als Schokomann mit Riesenschwanz geboren wurde. Und genauso leid tut es mir, dass ich nicht als heißer Latinolover zur Verfügung stehe. – Merkt ihr was??? Genau: Schubladendenken!!!“ Sein Tipp lautet ganz schlicht: Wenn ihr keine Asiaten mögt, antwortet einfach nicht auf deren Messages, aber verzichtet darauf, verbal in die rassistische Schublade zu greifen.
Interessanterweise kommen solche Ausfälle nicht auf allen schwulen Portalen gleichermaßen vor – oder werden nicht überall von den Usern bzw. den Betreibern im gleichen Maße geduldet. Je differenzierter die Kontaktbörse, desto freundlicher offenbar der Umgangston. Barebacker, Bären oder Fetischliebhaber unter sich sehen offensichtlich keinen Grund, sich negativ abzugrenzen. Sie schreiben und beschreiben lustvoll, worauf sie stehen und wer sie geil macht – und haben es nicht nötig, über alle anderen herzuziehen, die nicht in ihr Beuteraster fallen.
Freiheit für Beleidigungen?
Bei Gayromeo, dem hierzulande mit Abstand mitgliederreichsten schwulen Kontaktportal, sieht man keinen Handlungsbedarf. Jeder der derzeit eineinhalb Millionen Nutzer weltweit, davon rund 380.000 in Deutschland, soll sich so frei(zügig) wie möglich selbst darstellen können. „Manchmal stimmen wir mit den verwendeten Ausdrücken nicht überein, aber wir sind sehr vorsichtig, wenn es darum geht, die Freiheit einzelner einzuschränken“, erklärt Spencer Windes vom Amsterdamer Hauptquartier des Unternehmens. „Wir werden keine Profile schließen, nur weil du oder ich sie möglicherweise beleidigend finden. Nur weil sich jemand wie ein Arschloch verhält, reicht das nicht aus, um jemanden von Gayromeo zu verbannen“, sagt Windes.
Der Anbieter GayRoyal hingegen setzt den Usern durchaus Grenzen. Vielleicht ist dies der Grund, warum diskriminierende und abschätzige Formulierungen nur relativ selten beanstandet werden. „Wenn der Fall eintritt und die Vorwürfe berechtigt sind, wird das entsprechende Profil offline genommen und der User individuell angeschrieben mit der Bitte um Änderung bzw. Unterlassung“, beschreibt GayRoyal-Betreiber Marc-Andre Kotthaus das Verfahren auf seiner Plattform. Wer sich lernunfähig zeigt, bekommt die rote Karte: „Bei wiederholten massiven Problemen wird der User dauerhaft gesperrt.“
Doch ganz gleich, wie die Betreiber die Kontrolle der Profiltexte auch handhaben, gegen diskriminierende Formulierungen kann jeder einzelne User etwas unternehmen: indem er die Urheber auf die (vielleicht unbedacht und ungewollt) ausgrenzenden Textstellen hinweist. Vielleicht tut’s ja sogar eine nette Message. Es muss ja nicht immer gleich ein Shitstorm sein …