Mit Wirkung ab 25.2.2013 hat der Gesetzgeber das Gesetz zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme verabschiedet und gestern im Bundesgesetzblatt I, S.266, Heft 9, veröffentlicht. (->link)
Der Bundesgerichtshof hatte am 20.06.2012 entschieden, dass die frühere Form des Betreuungsgesetzes nicht die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Genauigkeit hatte, die erforderlich ist, um einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Menschen zu rechtfertigen (siehe Beitrag hier). Damit hatte er absolut Recht. Er hat auch festgestellt, dass bis zur Überarbeitung des Gesetzen eine Zwangsbehandlung auf der Rechtsgrundlage des Betreuungsgesetzes nicht möglich ist.
In den vergangenen acht Monaten wurde daher in Deutschland keine Zwangsbehandlung nach dem Betreuungsgesetz durchgeführt. Es gab allerdings Zwangsbehandlungen nach dem PsychKG oder sehr begrenzt auf der Gesetzesgrundlage des “rechtfertigenden Notstands“.
Der Gesetzgeber hat das Betreuungsgesetz nun überarbeitet, präzisiert und explizit geregelt, welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit auf der Rechtsgrundlage des Betreuungsgesetzes eine Medikation gegen den Willen des Betroffenen rechtens ist. Das neue Gesetz fordert hier deutlich mehr, als bisher gängige Praxis war.
Änderungen im neuen Betreuungsrecht, die die Voraussetzungen für eine Zwangsmedikation betreffen:
- Die Maßnahme darf nur “zur Abwendung eines erheblichen gesundheitlichen Schadens” durchgeführt werden.
- Ein Arzt, der nicht direkt an der Behandlung des Betroffenen beteiligt ist, prüft die Notwendigkeit der Zwangsmedikation und stellt fest, dass keine andere zumutbare Behandlungsform zur Verfügung steht, die den sonst drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden abwenden kann.
- Das Betreuungsgericht muss die Maßnahme explizit anordnen. Im Beschluss müssen Angaben zur Durchführung und Dokumentation der Maßnahme in der Verantwortung eines Arztes explizit genannt werden.
- Die Anordnung einer Zwangsmedikation darf nur für zwei Wochen getroffen werden. Sollte sie länger erforderlich sein, muss das Betreuungsgericht die Anordnung verlängern. Insgesamt darf die Anordnung nicht länger als 6 Wochen betragen.
Die Neufassung des Betreuungsgesetzes, die nun wieder in besonderen Fällen unter strengen Auflagen und einer sehr direkten Kontrolle des Gerichtes eine Zwangsmedikation ermöglicht, schließt die seit acht Monaten bestehende Lücke in der Gesetzgebung. Ein typischer Fall, in dem dieses Gesetz Anwendung finden würde, wäre zum Beispiel folgender:
Ein Patient mit einer seit langem bekannten paranoiden Psychose, bei dem eine Betreuung bereits eingerichtet ist, ist seit vier Wochen wieder psychotisch. Er ist wahngewiss, dass das Essen vergiftet ist und das die ihn behandelnden Ärzte ihm schaden wollen. Er ist wahngewiss, dass die ihm angebotenen Medikamente ebenfalls vergiftet sind. Er hört auf zu essen und lehnt eine Medikation vehement ab. Alle Versuche, ihn vom Sinn der Medikation zu überzeugen, scheitern am Wahn, diese seien vergiftet. In dieser Situation kann eine Medikation gegen den Willen des Betroffenen (dem eine krankheitsbedingt falsche Einschätzung der Situation zugrunde liegt), der einzige Ausweg sein.
Eine Behandlung nach dem PsychKG wäre erst möglich, wenn der körperliche Zustand bereits lebensbedrohlich schlecht geworden wäre. Eine betreuungsrechtliche Zwangsmedikation ermöglicht nun wieder eine Behandlung zu Beginn der Erkrankung, nicht erst Wochen später, wenn sich alles schon deutlich verschlechtert hat.
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