„Pulver ist was für Anzugbuben”

Drogenkonsumraum

Momentaufnahmen aus dem Alltag in einem Drogenkonsumraum (Foto: Ragazza Hamburg)

„Spritzen, Nadeln kostenlos, Kaffee 20 Cent!“ – Albrecht Titus Wolff schildert in seiner Erzählung einen  Spätdienst in einem Drogenkonsumraum. Von Axel Schock

31 Kapitel, und mit jedem kommt neuer Besuch in den Konsumraum. Zlatko zum Beispiel, der schon Jahrzehnte auf der Straße lebt, sich mit offenen Beinen plagt und einen Fernseher verhökern möchte. Oder Luis, der abgemagert und in erbärmlichem Zustand kommt, mit dick geschwollenem und wahrscheinlich gebrochenem Handgelenk.

Wie will er sich damit eigentlich selbst einen Schuss setzen?, fragt sich der Sozialarbeiter Hans. Und dass Luis niemand helfen darf, ist nun mal einer der wichtigen, nicht zu diskutierenden Punkte der Hausordnung. Neuankömmlingen wird sie zackig heruntergebetet, wie etwa den zwei Mädchen, die noch so jung aussehen, dass sie zunächst ihre Pässe vorlegen müssen, um ihre Volljährigkeit zu beweisen.

Verdichtete Erfahrungen aus der Drogenhilfe

„Spritzen und Nadeln kriegt ihr kostenlos, Kaffee gibt’s eine Treppe höher, kostet 20 Cent. Euren Stoff müsst ihr selbst mitbringen, Stoff kaufen ist verboten, Stoff weitergeben ist auch verboten. Ihr dürft hier nichts teilen, und ihr dürft auch nicht gegenseitig drücken, das sind die Regeln.“

„Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden“, steht im Vorspann zu Titus Albrecht Wolffs Buch, wohl der juristischen Absicherung wegen. Denn ausgedacht dürfte das Wenigste sein, von dem der Suchtmediziner hier erzählt. Vielmehr hat er in dieser mit kühler, sachlicher Distanz notierten Erzählung seine Erfahrungen aus der niedrigschwelligen Drogenhilfe verdichtet.

Wolff begleitet Hans, seinen Ich-Erzähler, durch eine Spätschicht in einem Drogenkonsumraum. Hier können unter Aufsicht gebrauchte Spritzen gegen saubere getauscht und in einem geschützten, hygienischen Umfeld mitgebrachte Drogen konsumiert werden.

Mit jedem neuen Klienten, der den Druckraum aufsucht, um sich Spritzen zu setzen, Wunden versorgt zu bekommen, sich beraten zu lassen, lässt Wolff den Fetzen einer Biographie und Aspekte der vielen Lebenswelten, Probleme und Konflikte aufblitzen, die den Sozialarbeitern in der akzeptierenden Drogenarbeit begegnen.

Latente Aggressivität und rauer Umgangston

Es herrscht häufig ein rauer Ton. Latente Aggressivität liegt in der Luft, der die Mitarbeiter aber mit der gleichen eingeübten Routine begegnen, mit der sie auch auf medizinische Notfälle zu reagieren verstehen und die Wiederbelebung eines kollabierten Klienten bewerkstelligen.

Wolffs Buch versteht sich dabei nicht als Sozialreportage, sondern als literarischer Text, und er verzichtet auf Wertungen jeglicher Art, auf Einordnungen und Kommentierungen. „Spritzen, Nadeln kostenlos, Kaffee 20 Cent!“ ist vielmehr eine dramaturgisch verdichtete, nüchterne Schilderung der Realität. Die Sprache ist entsprechend schnörkellos, manchmal schnoddrig, um den bisweilen schroffen Umgangston einzufangen.

„Pulver ist was für Partys, für Anzugbuben, die so im Stress sind bei der Arbeit … Hier sind Steine normal und nichts anderes. Was übrig bleibt vom Beinebreitmachen, vom Aufsmaulhauen, vom Schwanzlutschen und Lederjackenklauen und Laptopsbesorgen, was übrigbleibt, ist dieses Geräusch vom Feuerzeugklacken und Luftreinziehen.“

Wie die Sozialarbeiter allerdings die unvermeidlichen Frustrationserlebnisse und den Stress, aber auch Anfeindungen und Angriffe verarbeiten, welche Abgrenzungsstrategien zu ihrem eigenen Schutz nötig sind, das vermag der Leser lediglich zu erahnen.

Titus Wolff CoverAlbrecht Titus Wolff: „Spritzen, Nadeln kostenlos, Kaffee 20 Cent!“. Spätdienst im Drogen-Konsumraum“. Verlag Brandes & Apsel, Frankfurt/Main, 88 Seiten, Paperback, 9,90 Euro


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