Ein Bericht von Dieter Brandes über seinen Einsatz in Ocotal, Nicaragua
Nach einem Aufenthalt im Februar 2012 bin ich zum zweiten Mal in Ocotal, Nueva Segovia, Nicaragua. Über diesen Einsatz möchte ich ein paar allgemeine und wenige persönliche Informationen vermitteln. Außer den vielen medizinischen Einsätzen der Ärzte für die Dritte Welt gibt es auch einige wenige, die von Zahnärzten, ebenfalls für sechs Wochen, geleistet werden. Einer der Orte, an denen die Zahnärzte der “Medicos Alemanes” arbeiten, befindet sich im Norden von Nicaragua, nahe der Grenze zu Honduras. Nicaragua ist nach Haiti das zweitärmste Land Zentralamerikas. Die Gründe dafür sind vielfältig: eine Militärdiktatur, ein verheerendes Erdbeben, eine Revolution mit anschließendem Bürgerkrieg unter Beteiligung verschiedener ausländischer Interessen, und nicht zuletzt Regierungen aller Couleur, die nicht immer das Wohl Ihrer Bevölkerung oben anstellen, allen schönen Parolen zum Trotz.
Immerhin gibt es in Nicaragua ein recht gut organisiertes Gesundheitswesen, das im Wesentlichen kostenlos ist und dessen Netz sich über das ganze Land erstreckt. Jedoch müssen die Patienten in den abgelegeneren Gebieten wie eben in der bergigen Umgebung von Ocotal, wo sich die Basis der Ärzte für die Dritte Welt befindet, teilweise stundenlange Wege zurücklegen, bis sie auf medizinische Hilfe hoffen können.
Die Situation der zahnärztlichen Versorgung stellt sich schlechter dar. Diese ist nicht kostenlos und außerhalb der städtischen Zentren kaum oder gar nicht vorhanden. So ist es nicht verwunderlich, dass der Gebisszustand der bäuerlichen Bevölkerung, die zumeist in weit auseinandergezogenen Streusiedlungen lebt, mehr als zu wünschen übriglässt. Zusammen mit der zuckerlastigen Ernährung, gerade der Kinder (Süßigkeiten gibt es an jeder Ecke, auch an den entlegensten Orten, Zahnbürsten sind wenig verbreitet), führen die mangelnde Versorgung und auch das mangelnde Bewusstsein vieler Betroffener zu frühzeitigem Zahnverlust. Es ist allgemein üblich, Zähne bei Schmerzen gleich zu extrahieren, statt sie mit Füllungen zu versorgen. Oft ist der Zeitpunkt des zahnerhaltenden Eingreifens auch schon überschritten. So sieht man junge Leute von Mitte zwanzig oder jünger ohne Frontzähne, was offensichtlich nicht sonderlich auffällt und sozial akzeptiert zu sein scheint.
Dies zu ändern, denn auch Zahnprobleme können das Leben in vielfältiger Weise erschweren, wenn schon nicht direkt bedrohen, ist das Ziel der „Dentistas Alemanes“. Zunächst wurden fünf Tage in der Woche im Wechsel elf Orte angefahren, jeweils eineinviertel bis zwei Stunden von der Basis entfernt. Während der Arzt sich um seine Patienten kümmert, wird an einer anderen Stelle desjenigen Bauernhofes, auf dem die Behandlung an diesem Tag stattfindet, der zahnärztliche Behandlungsstuhl aufgebaut. Nach einer vollständigen und auch dokumentierten Untersuchung werden die nötigen Extraktionen vorgenommen, wobei es nicht vorkommen soll, dass Wurzeln abgebrochen werden, da die weitergehende Nachsuche an Ort und Stelle mangels Ausrüstung kaum möglich ist. Recht neu ist jetzt, dass Patienten, die mit behandelbaren Problemen angetroffen werden, im Rahmen der Behandlungskapazitäten Termine zur Füllungstherapie in der Basis in Ocotal bekommen können. Leider müssen viele Patienten auf später vertröstet werden, da der Bedarf viel größer ist als unsere Möglichkeiten. Für Kinder und Jugendliche hab ich große Mengen an Fluorid-Prophylaxelack mitgebracht, der auf noch gesunde bleibende Zähne großzügig aufgebracht wird. Die Zahl der Patienten schwankt zwischen 20 und 35 während meiner Aufenthalte 2012 und 2013.
Der Engpass bei der Behandlung liegt in der eher geringen Kapazität der mobilen Behandlungseinheit, die in Ocotal vorhanden ist. Sie wurde 2012 angeschafft und mit ihr kann normal, aber etwas langsam, gearbeitet werden. So können Füllungen gelegt werden, auch Wurzelbehandlungen oder operative Weisheitszahnentfernungen sind möglich. Der Schwerpunkt der Arbeit konnte so etwas von den reinen Extraktionen an Ort und Stelle zu den höherwertigen Behandlungen verschoben werden, für die zwei Tage in der Woche vorgesehen sind, so dass der Zahnarzt den Arzt nur noch an drei Tagen in die Berge begleitet. Die Patienten sind durchaus bereit, für ein paar Füllungen einen ganzen Tag für An- und Abreise zu opfern, da drei bis vier Füllungen bei der ärmeren bäuerlichen Bevölkerung schon fast ein halbes Monatseinkommen wert sind, wie mir Mirna die Helferin, erzählt.
Mein persönliches Steckenpferd ist es, den Patienten, besonders den Eltern der kleineren Kinder, den überzogenen und dauernden Zuckerkonsum auszureden. In dieser Beziehung ist noch sehr viel Aufklärung zu leisten, da der Zusammenhang von Zucker und Karies nicht allgemein bekannt ist und auch von Seiten des staatlichen Gesundheitswesens nicht besprochen wird. Leider habe ich nicht den Eindruck, dass ich damit viel Erfolg habe, es ist doch so einfach, quengelnde Kinder mit Süßigkeiten ruhigzustellen. Auch meine hervorragende und von allen Zahnärzten hochgeschätzte Helferin Mirna versucht entsprechend auf die Patienten einzuwirken, sind ihre Kenntnisse der lokalen Dialekte und Gebräuche doch so viel eingehender. Aber kaum haben die Patienten den Stuhl verlassen, gibt es für die Kleinen schon wieder einen Dauerlutscher. Nun es gibt auch andere, bei denen das, was wir Ihnen sagen, auf fruchtbaren Boden fällt. Wir müssten nur noch öfter vorbeikommen.
Bei meinem ersten Einsatz 2012 habe ich erlebt, dass in einer Schulklasse, die wir eher zufällig durchuntersucht haben, alle Kinder wussten, dass die Zähne drei Mal am Tag drei Minuten geputzt werden sollen. Auf die nicht ohne Grund gestellte Frage, wer denn eine Zahnbürste besäße, hob sich dann jedoch kein einziger Finger. Theorie und Praxis… Immerhin konnten wir dem Mangel abhelfen. Auch dieses Jahr bekommt jeder, der sich mindestens für eine vollständige Untersuchung auf den Behandlungsstuhl traut, eine Bürste.
Mal sehen, wie es dann in fünf Jahren um die Zahngesundheit steht. Ich werde es hoffentlich sehen können.
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