Sich selbst auf HIV testen – geht das überhaupt? Und wie fühlt es sich an? Unser Autor wollte es wissen. Denn obwohl einiges dagegen spricht, fand er die Idee reizvoll: schnell und unkompliziert am Küchentisch erfahren, was Sache ist. Der HIV-Heimtest im Test – ein Selbstversuch. Von Max Mohnwitz*
Eigentlich wollte ich Ende April ins Tropeninstitut. Dort ist der HIV-Test nach meiner Erfahrung am unkompliziertesten: Man braucht keine Terminabsprache, kommt schnell an die Reihe, kriegt kaum Fragen gestellt und bleibt völlig anonym. Da ich mich mit HIV auskenne, verzichte ich gerne auf eine ausführliche Beratung. Man erhält eine handgeschriebene Nummer und lässt sich Blut aus der Vene abnehmen. Ein paar Tage später zahlt man 12 Euro und bekommt das Ergebnis. So einfach kann ein HIV-Test sein.
Ginge es aber nicht vielleicht noch einfacher? Keine Fahrerei ans andere Ende der Stadt, zwei Termine weniger, kein Kontakt mit Ärzten und Schwestern? Stattdessen Gewissheit nach einer halben Stunde am Küchentisch? Ich gestehe: Das klingt verlockend! Deswegen habe ich mich kürzlich entschieden: Ich werde den HIV-Heimtest ausprobieren.
Die Blutentnahme müssen sogar Ärzte manchmal lange üben.
Es ist kein Geheimnis: Heimtests dürfen in Deutschland zwar nicht an Endverbraucher verkauft werden, aber diverse Anbieter verschicken die Tests aus dem Ausland nach Deutschland. Die Deutsche AIDS-Hilfe rät von solchen Angeboten allerdings ab, denn die Qualität dieser Test-Kits ist nicht gesichert.
Zum Glück habe ich eine seriöse Quelle. Ein Arzt meines Vertrauens überlässt mir gleich drei verschiedene Testsets, zugelassen für den professionellen Gebrauch in Deutschland, jeweils in doppelter Ausführung. Wenn schon, denn schon. Einer der Tests funktioniert mit Mundflüssigkeit, die anderen beiden mit Blut. Der Arzt meines Vertrauens wiegt allerdings sein Haupt und warnt: „Die Blutabnahme aus der Fingerkuppe ist nicht einfach. Das müssen auch Ärzte erst mal üben. Manche nehmen sogar lieber Blut aus der Vene, weil es einfacher ist.“
Ich lasse ihn reden und bestehe darauf, auch die Bluttests mitzunehmen. Wenn ich den Heimtest teste, dann alle Varianten. Und wenn ein Test positiv ist, hab ich noch ein paar Verfahren in Reserve, um das Ergebnis zu überprüfen. Schließlich kann so ein Test auch fälschlicherweise positiv ausfallen. „Ich teste mich einfach, bis ich das richtige Ergebnis habe“, sage ich im Scherz zu einer Kollegin.
Mittlerweile ist mir ein bisschen mulmig: Kriege ich das alleine hin? Schaffe ich es überhaupt, mir in den Finger zu pieken? Ist das Ergebnis verlässlich? Und was, wenn ich positiv sein sollte? Gut, diese Sorge hatte ich auch, als ich das letzte Mal ins Tropeninstitut gefahren bin. Und wenn es so wäre, dann wäre ich mit dieser Nachricht lieber alleine. Nachher müsste ich sonst noch einem wildfremden Arzt Mut zusprechen, dem es schwerfällt, schlechte Nachrichten zu überbringen. So etwas habe ich schon mal erlebt („Aber Frau Doktor, so eine Syphilis ist doch kein Beinbruch!“).
Es ist ein Gemetzel.
An einem Freitagmittag ist es soweit. Ich sperre die Katzen aus der Küche aus, schütte eine Jutetasche voller eingeschweißter Testsets, einzeln verpackter Alkoholtupfer und Fingerpiekser auf den Küchentisch und vertiefe mich in die Anleitungen.
Der Oraquick-Test, der in den USA bereits als Heimtest zugelassen ist, braucht 20 Minuten, bis man das Ergebnis ablesen kann. Er funktioniert mit einem Abstrich von der Mundschleimhaut. Den mache ich als erstes, denke ich, dann kann ich während der Wartezeit noch ein, zwei Bluttests machen.
Die Anleitungen sind ein wenig kompliziert. Jeder Schritt ist sehr genau beschrieben und da ich weiß, dass Anwendungsfehler zu falschen Ergebnissen führen können, lese ich alles dreimal. Ich bin nervös, aber entspannter als vor der Blutentnahme im Tropeninstitut.
Und los geht‘s: Ich decke den Arbeitsplatz mit einer saugfähigen Unterlage ab, wie es die Anleitung mir nahelegt. Dann drehe ich ein Fläschchen mit einer Lösung auf und stelle es in einen kleinen Plastikständer. Einem separaten Fach in der Test-Verpackung entnehme ich einen kleinen Plastikspachtel und fahre damit am Zahnfleisch ober- und unterhalb der Zähne entlang. Dann kommt der Spachtel kopfüber ins Röhrchen.
In einem Anzeigefeld wird nun bald das Ergebnis erscheinen. Ein Strich bedeutet negativ, zwei Striche „reaktiv“, also positiv. Doch zunächst färbt sich, wie in der Anleitung angekündigt, das ganze Anzeigefeld rosa. Alles läuft nach Plan. Ich habe jetzt Zeit für den Bluttest.
Nehmen wir’s vorweg: Es ist ein Gemetzel.
Die Pipette hat die Anleitung nicht gelesen
Die gute Nachricht: Obgleich Nadelphobiker, gelingt es mir, mich zu stechen. Ein bisschen Rubbeln des Fingers, um Blut anzulocken, dann Desinfektion mit einem Tüchlein – kein Problem. Dann wird’s etwas unbequem, denn man soll die Hand unter Hüfthöhe halten –suboptimale Arbeitshöhe. Immerhin: Die Piekser sind so gebaut, dass man die Nadel nicht mit eigener Kraft in die Fingerkuppe stoßen muss, was bei mir möglicherweise minutenlanges Zögern zur Folge gehabt hätte. Man löst per Knopfdruck einen Mechanismus aus, der dann die Nadel ins Fleisch schießt. Was für ein Service.
Ich blute! Jetzt muss ich nur noch eine sehr dünne Pipette dranhalten. Sie wird automatisch exakt die richtige Menge Blut ansaugen, bis zu einer Markierung am Röhrchen. Sagt die Anleitung. Die Pipette hat die Anleitung aber offenbar nicht gelesen. Sie saugt nicht. Draufdrücken auf den kleinen Blasebalg am Ende soll man auf keinen Fall. Also halte ich die Pipette ein bisschen schräg. Vielleicht läuft Blut rein? Aber das Blut läuft nur den Finger runter. Und gerinnt auch schon. Ergebnis: Eine klebrig-blutige Fingerkuppe, ein fast leeres Röhrchen.
Neuer Piekser, neue Kuppe, neue Pipette, neues Glück. Denkste. Wieder fließt nicht genug Blut ins Röhrchen. Ich drücke verstärkt am Finger herum, um mehr Blut zu gewinnen. Ich weiß, man soll nur vorsichtig „melken“, unten an der Fingerkuppe, nicht um den Einstich herum. Sonst könnte Gewebeflüssigkeit das Blut verdünnen und das Testergebnis verfälschen. In meinem Fall ist das allerdings total egal. Denn nichts davon läuft ins Röhrchen. Klebrig-blutige Fingerkuppe Nummer 2.
Während ich über mein Versagen nachsinne, erschrecke ich plötzlich. Ich habe ganz vergessen, den Oraquick im Blick zu behalten! Was, wenn er längst zwei Striche zeigt und ich keine weiteren Tests mehr machen kann? Ein Blick, auf die Uhr verrät mir, dass das Tropeninstitut schon geschlossen hat. Ich müsste dann bis Montag warten. Zum Glück zeigt der Oraquick nur einen Strich. Ich entspanne mich etwas und nehme den dritten Anlauf mit dem letzten verfügbaren Fingerpiekser.
Klebrig-blutige Fingerkuppe, die dritte
Und scheitere erneut kläglich. Dieses Mal werde ich richtig ärgerlich. Mit der Hektik der Verzweiflung quetsche ich am ganzen vorderen Fingerglied herum. Dies ist der letzte Versuch, es muss einfach klappen! Doch das Blut läuft nicht ins Röhrchen. Blutige klebrige Fingerkuppe, die dritte.
Okay, ich gebe auf. Mein Arzt des Vertrauens hatte Recht: Das mit dem Blut ist nicht ohne. Oder ich bin zu blöd. Das Ergebnis ist dasselbe: Kein Ergebnis.
Mein Oraquick ist erfreulicherweise bei einem Strich geblieben. Allerdings weiß ich, dass dieses Testverfahren nicht besonders zuverlässig ist. Anwendungsfehler machen das Ergebnis noch unsicherer. Der Test übersieht bei Selbstanwendung sieben von 100 HIV-Infektionen, bei Profis immer noch zwei. Vielleicht habe ich auch hier alles falsch gemacht? Vielleicht ist mein negativer Oraquick gar nichts wert?
Gut, dass ich noch einen habe. Der läuft völlig easy, ich brauche nicht mal mehr die Anleitung. Wieder zeigt sich nur ein Strich. Uff.
Und trotzdem lautet mein persönliches Fazit: Ein unsicheres Oraquick-Ergebnis genügt mir nicht. Demnächst fahre ich wieder ins Tropeninstitut. Blut abnehmen lasse ich lieber Leute, die’s gelernt haben.
*Der Autor heißt eigentlich anders und ist Aidshilfe-Mitarbeiter.
Mehr Informationen:
HIV-Tests für den Hausgebrauch? Die Position der Deutschen AIDS-Hilfe
HIV-Report der Deutschen AIDS-Hilfe: Heimtests