Ein barbarischer Akt der Zerstörung

Teilansicht des Institutsgebäudes In den Zelten/ Ecke Beethovenstraße (Foto: Hirschfeld-Archiv)

Teilansicht des Institutsgebäudes In den Zelten/ Ecke Beethovenstraße (Foto: Hirschfeld-Archiv)

Vor 80 Jahren, am 6. Mai 1933, wurde das Institut für Sexualwissenschaft in Berlin von Nationalsozialisten geplündert und damit das Lebenswerk Magnus Hirschfelds zerstört. Ein Kalenderblatt von Axel Schock

Die Operation ist von langer Hand geplant. Als Auftakt ihrer „Aktion zur Bekämpfung des undeutschen Schunds und Schmutzes in der Literatur“, einer landesweiten Plünderung von Leihbibliotheken und Buchhandlungen, hat sich die Deutsche Studentenschaft mit dem Berliner Institut für Sexualwissenschaft ein gleichermaßen hochsymbolisches wie ergiebiges Ziel ausgesucht.

Der Gründer und Leiter des Privatinstitutes, Magnus Hirschfeld, war in mehrfacher Hinsicht ein Dorn im Auge der Nationalsozialisten und ein ideales Feindbild: Ein vermögender jüdischer Unternehmer, den Sozialdemokraten nahestehend und außerdem homosexuell.

Ein ideales Feindbild

1897 hatte der Vorkämpfer zur Gleichberechtigung aller Menschen, gleich welcher sexuellen Orientierung, mit dem Wissenschaftlich-humanitären Komitee (WhK) die weltweit erste Homosexuellenorganisation mitbegründet.

Am Morgen des 6. Mai 1933 pünktlich um 9.30 Uhr trifft die abgeordnete Abteilung von Studenten der Hochschule für Leibesübungen in der Institutsvilla ein. Ihren Lastwagen haben sie mit Transparenten verziert: „Deutsche Studenten marschieren gegen den undeutschen Geist“ und „Trutz dem undeutschen Schund und Schmutz“ ist darauf zu lesen.

Bevor sich die Hundertschaft gewaltsam Zutritt ins Hirschfeldsche Institut verschafft, stellt sie sich im Halbkreis auf und skandiert Schlachtrufe. Danach zieht die Meute plündernd durch die Verwaltungs- und Behandlungsräume. Auch  Hirschfelds Privatwohnung bleibt nicht verschont. Teppiche werden besudelt, Bilder von den Wänden gerissen und große Wandtafeln mit den Darstellungen intersexueller Fälle, die ursprünglich für den Internationalen Ärzte-Kongress 1913 in London angefertigt worden waren, aus dem offenen Fenster geworfen.

Vor allem aber auf die umfangreiche Bibliothek und wissenschaftlichen Sammlungen Hirschfelds haben sie es abgesehen. Hier suchen sie gezielt nach Zeitschriften und Büchern, die sich auf ihrer „schwarzen Liste“ befinden.

Die Bibliothek des Instituts für Sexualwissenschaft wird geplündert.
 (Foto: Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft)

Die Bibliothek des Instituts für Sexualwissenschaft wird geplündert.
 (Foto: Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft)

Zweieinhalb Stunden später beenden die Studenten ihren räuberischen Zug. „Die anschließende Kundgebung vor dem Institut findet mit einem dreifachen ‚Sieg Heil‘ auf den Reichskanzler Adolf Hitler und dem Gesang des Liedes ‚Burschen heraus‘ ihren Abschluss“, wird tags darauf „Germania“, die Zeitung der katholischen Zentrumspartei, berichten.

Die Plünderung in diesen Vormittagsstunden des 6. Mai 1933 war eine bis ins Detail geplante Propaganda-Aktion. Sogar an eine Blasmusikkapelle hatte man gedacht und das Ganze fotografisch festhalten lassen. Als der Spuk vorbei ist, können die wenigen Mitarbeiter und Angestellten des Instituts, die nicht bereits ins Exil gegangen waren oder sich wie der Radiologe Ewald auf die Seite der Nationalsozialisten geschlagen hatten, für einen Moment aufatmen. Doch der Schrecken ist noch lange nicht ausgestanden.

Am Nachmittag erhält das Institut erneut unerwünschten Besuch. Ein SA-Trupp konfisziert die verbliebenen Buch- und Archivbestände. Sie werden später „einer genauen Sichtung durch Sachverständige unterzogen, damit nicht Werke vernichtet werden, die für die medizinische Wissenschaft einen hohen Wert besitzen“, heißt es im Bericht der „Germania“.

Hirschfelds Büste als besondere Trophäe

Was jedoch als „undeutsch“ eingestuft worden war, wurde wenige Tage später bei einer noch barbarischeren Propagandaaktion vernichtet. Über 10.000 Bücher, darunter auch viele aus Hirschfelds Bibliothek, wurden am 10. Mai 1933 in die Flammen geworfen: Werke von Thomas und Klaus Mann, von Sigmund Freud, Alfred Döblin, von James Joyce und Ernest Hemingway.

Zuvor waren Studenten in SA-Uniformen in einem Paradezug zum Berliner Opernplatz marschiert. Lastwagen waren vollgepackt mit Büchern nunmehr verfemter Autoren, die man aus Buchhandlungen und Leihbibliotheken aussortiert hatte. Als besondere Beute wurde auf einer Stange eine Bronzebüste Hirschfelds, die man aus dem Institut für Sexualwissenschaft geraubt hatte, vorangetragen.

Hirschfelds Bronzebüste überstand die Schändung während der Bücherverbrennung (Foto: wikipedia)

Hirschfelds Bronzebüste überstand die Schändung während der Bücherverbrennung (Foto: wikipedia)

„Das Bild hätte nicht scheußlicher sein können, wenn Hirschfelds wirklicher, blutiger Kopf aufgespießt durch Berlin geschleppt worden wäre“, schrieb 1947 Erich Kästner. Auch seine Bücher waren der Vernichtung preisgegeben. Als einziger der „verbrannten Dichter“ wohnte er dem apokalyptischen Spektakel als Augenzeuge bei, um zu sehen, wie seine Bücher dem Feuer übergeben wurden.

Die Plünderung und Vernichtung von Hirschfelds Bibliothek bedeutete zugleich auch das Ende des Instituts für Sexualwissenschaft, das gleichermaßen ein Ort für Behandlung, Beratung und Aufklärung wie für Forschung und Ausbildung war. Nicht zuletzt war es  auch eine über die Landesgrenzen hinaus bekannte Institution und intellektueller Treffpunkt, zu dessen Gästen unter anderem Walter Benjamin, Emma Gold, Christopher Isherwood, Marc Chagall und André Gide zählten.

Hirschfeld erfuhr von der Vernichtung seines Lebenswerkes in Frankreich – eine ausgedehnte Weltreise war unerwartet zum Exil geworden. In  einer Wochenschau in einem Pariser Kino sah er Bilder der Plünderung und Bücherverbrennung.

Noch im gleichen Jahr wurden die Gebäude beschlagnahmt, der Bund nationalsozialistischer deutscher Juristen und das Institut zum Studium der Judenfrage werden die ehemaligen Institutsräume nutzen. Durch Luftangriffe 1943 stark geschädigt, werden die Ruinen 1950 schließlich aus Sicherheitsgründen gesprengt.

Das Areal gehört heute zu den Außenanlagen des Hauses der Kulturen der Welt. Ein unscheinbares Denkmal auf der gegenüberliegenden Spreeseite war lange das Einzige, was an die einst weltberühmte Institution erinnerte. 2008 wurde schließlich der Uferweg zu Ehren seines Gründers umbenannt.

Hirschfelds Büste hatte übrigens am Tag nach der Bücherverbrennung  ein Straßenreiniger in den Aschebergen gefunden. Der verwahrte sie heimlich bei sich zu Hause und übergab sie nach Ende des Krieges der Berliner Akademie der Künste.

Das Institutsgebäude nach Bombenangriffen im Jahr 1943 (Foto: Hirschfeld-Gesellschaft)

Das Institutsgebäude nach Bombenangriffen im Jahr 1943 (Foto: Hirschfeld-Gesellschaft)

Während die lange in Vergessenheit geratene Leistung Hirschfelds inzwischen weithin erforscht und anerkannt ist, bleibt sein Institut für Sexualwissenschaft bis heute einmalig. Eine internationale Fachtagung an der Humboldt-Universität Berlin beschäftigt sich am 6. Mai mit der Frage, welche Lücken die unwiederbringliche Vernichtung der Hirschfeldschen Materialsammlungen in der deutschen Sexualwissenschaft gerissen hat und wie das Erbe Hirschfelds gesichert werden kann.

Weiterführende Links:

Informationen zur Fachtagung „Sichern – Bewahren – Erforschen: Das Erbe der Berliner Sexualwissenschaft”

Internetseite der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft mit einer Online-Ausstellung zur Geschichte des Instituts

Internetseite des Magnus-Hirschfeld-Archivs

Internetseite der Magnus-Hirschfeld-Stiftung mit einem Beitrag zum Jahrestag der Institutsplünderung

 

 

 


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