Haben Sie eigentlich schon mal einen Menschen mit Behinderung gesehen, der eine Fernsehsendung moderiert, in der es nicht um Menschen mit Behinderungen geht? Oder haben Sie schon mal eine dieser Allerwelts-Umfragen in der Lokalzeitung gesehen, bei der beispielsweise ein Rollstuhlfahrer seine Meinung zum Valentinstag sagt? Ich nicht – und bislang ist mir, die ich Teil dieses Systems Journalismus bin, diese Tatsache auch noch nie aufgefallen. In meinem Kopf stößt die so häufig genannte Inklusion also schnell an ihre Grenzen. Und in Ihrem?
Im ganz normalen Alltag gibt es kaum noch Berührungspunkte zwischen Menschen mit und ohne Behinderungen. Ein Grund dafür: Die Sondereinrichtungen, wie etwa spezielle Förderschulen und Behinderten-Werkstätten, schotten uns voneinander ab – auch wenn ihr eigentlicher Zweck ist, den Bürgern mit Behinderungen das Eingliedern in die Gesellschaft zu erleichtern. Tatsächlich entfernen sie sich dadurch aus unserer Realität. Die Folge: Menschen mit Behinderungen werden im Job-Center gefragt, warum sie denn arbeiten wollen – so schildert Jörg W. Lux seine Erfahrungen in seinem Blog zum Thema Inklusion. Und für uns Journalisten sind Menschen mit Behinderungen so exotisch, dass sie in der Berichterstattung über Alltagsthemen so gut wie gar nicht vorkommen.
Stattdessen machen wir die Behinderung selbst zum Thema: etwa in Beiträgen über Sportler mit Behinderungen oder über Menschen wie Samuel Koch, die sehr plötzlich lernen müssen, mit einer Behinderung zu leben. Ohne groß nachzudenken, verwenden wir dabei Sätze wie: „Er ist an den Rollstuhl gefesselt“, „Sie leidet an der Glasknochenkrankheit“ oder „Trotz Prothese steht er mit beiden Beinen im Leben.“ Und treten damit in die Floskel-Falle: Denn für die meisten ist ihre Behinderung einfach nur eine Eigenschaft, wie „blond“ oder „groß“. Sie sehen sich weder als Opfer noch als Helden.
Die Medien und damit wir Journalisten sind als erstes gefordert, ein Umdenken bei Menschen ohne Behinderungen anzuregen: Denn wir sind diejenigen, die Menschen mit Behinderungen wieder in deren Realität zurückholen können. Je normaler wir in unseren Beiträgen mit Behinderungen umgehen, umso normaler werden diese auch für unsere Leser. Einen Anfang können wir machen, indem wir unsere Wortwahl überdenken: Menschen, die auf den Rollstuhl angewiesen sind, wären etwa ohne ihn an einen Ort gefesselt. Der Rollstuhl bedeutet, sich frei fortbewegen zu können. Menschen mit Behinderungen tun etwas also nicht trotz ihres Rollstuhls, ihrer Prothese und ihres Blindenstocks, sondern mit ihnen. Sie leiden nicht an einer Krankheit, sondern sie leben mit ihr. Und auch sie haben eine Meinung zum Valentinstag.
Ich bin übrigens keinesfalls reflektierter als meine Kolleginnen und Kollegen. Ich habe mich zwar durchaus schon mit dem Thema Inklusion beschäftigt. Doch in diesem Zusammenhang intensiv über die Medienberichterstattung nachzudenken, dazu hat mich erst eine Diskussionsrunde mit Rebecca Maskos und Raul Krauthausen im Rahmen der Netzwerkrecherche-Jahreskonferenz am vergangenen Samstag, 14. Juni 2013, angeregt. Beide leben mit der Glasknochenkrankheit und setzen sich mit dem Projekt Leidmedien.de für eine klischeefreiere Berichterstattung ein. Journalisten finden dort Tipps zu einer besseren Wortwahl – aber auch dazu, wie man am besten auf Menschen mit Behinderung zugeht. Denn viele von uns sind unsicher im Umgang miteinander – wir sind einfach nicht aneinander gewohnt. Ich will das ändern! Und Sie?
Diese Argumentation ist nicht vernünftig. Sie suggeriert nämlich, dass man eine Behinderung immer erkennen muss. Ich kann einem Radiomoderator aber nicht anhören, ob er blind ist, bei einem Fernsehmenschen sehe ich, wenn er steht nicht, ob er einen Klumpfuß hat oder Asperger hat. Deiner Argumentation zufolge müssten alle ein ich-bin-behindert-Schild an der Stirn tragen, damit alles ausgeglichen ist.