Interview | Die dringenden Probleme im deutschen Gesundheitswesen – Zwischenergebnisse des Ausschusses Dringende Probleme

Ergebnispapier des Young Lions Gesundheitsparlament

Ergebnispapier des Young Lions Gesundheitsparlament

Vor kurzem hat das Young Lions Gesundheitsparlament ein gemeinsames Ergebnispapier erstellt und veröffentlicht. Im Blog möchten wir die Zwischenergebnisse der einzelnen Ausschüsse im Detail vorstellen. Den Anfang macht der Ausschuss Dringende Probleme und die Vorsitzende Lydia Neubert im Interview.

Liebe Frau Neubert, was sind die dringenden Probleme im deutschen Gesundheitswesen?

Wir haben beim Start des Gesundheitsparlamentes vor allem die dringenden Probleme der Patienten in den Fokus unserer Arbeit gestellt. Mögliche Änderungen für Patienten haben dann natürlich auch Auswirkungen auf alle anderen beteiligten Gruppen im Gesundheitssystem.
Bereich eins unserer Arbeit war das Thema der Fehlversorgung von Patienten. Damit wollten wir nicht nur den die Unterversorgung, sondern auch eine mögliche Überversorgung betrachten. Anfangs betrachteten wir das Ziel der pflegerischen und medizinischen Fehlversorgung parallel, aktuell fokussieren wir uns auf den pflegerischen Bereich.
Als zweites Problem haben wir die fehlende Übersichtlichkeit an Informationen und deren Güte für Patienten identifiziert. Dabei ging es zum einen um die individuellen Gesundheitsinformationen, wie auch die Möglichkeiten der objektiven und allgemeinverständlichen Informationsbeschaffung für Patienten.
Als drittes Thema wollten wir zudem die Qualität der Gesundheitsversorgung angehen. Da dieses Thema häufig zu Überschneidungen mit den anderen Bereichen führte, haben wir es zunächst zurückgestellt bzw. wo möglich integriert.

Wie haben Sie im Ausschuss an Lösungsvorschlägen für die identifizierten Probleme gearbeitet?

Wir haben Unterausschüsse gebildet, die sich im Prozess immer wieder einmal verschoben haben – je nachdem, an welchen Lösungen wir realistisch weiterarbeiten konnten und wollten. Zum einen gibt es bei uns einen Unterausschuss zum Thema Pflege. Die zwei weiteren Unterausschüsse arbeiten an zwei Dimensionen der Patienteninformation: der Idee eines Gesundheits-Informationsportals und eines Kassenzettel für Patienten. Wir bewegen uns also im Bereich der individuellen Gesundheitsinfos.

Thema Pflege – Wie schätzen Sie im Ausschuss die aktuelle Situation des Pflegeberufs und der Pflegeversorgung in Deutschland ein?

Eher düster – das wird ja auch an vielen anderen Stellen immer wieder laut. Der Pflegeberuf ist aktuell wenig attraktiv – kaum angesehen, hohe Arbeitsbelastung und ein verhältnismäßig geringes Einkommen. Das ist eine schlechte Kombination und wirkt natürlich nicht dem aktuellen und noch weiter zunehmenden Fachkräftemangel entgegen.

Was gilt es also am Pflegeberuf zu ändern?

Zunächst müsste die Problematik der Arbeitsbedingungen erkannt und diese verbessert werden. Die Arbeitsbelastung ist sehr hoch. Das hat mehrere Gründe: Pflegekräfte müssen regelmäßig schwer Heben und sind quasi non-stop auf den Beinen – das alles oft im Schichtdienst. Zur körperlichen Anstrengung kommen noch Belastungen durch mehr administrative Aufgaben hinzu, meist bei chronischer personeller Unterbesetzung. Um die pflegerische Versorgung zu gewährleisten, wird leider vielerorts ungelerntes Personal eingestellt. Dieses muss von dem ausgebildeten Personal stärker angeleitet werden, was zu einer zusätzlich erhöhten Arbeitsbelastung führt und in vielen Fällen nicht zur optimalen Qualität der Versorgung beiträgt.

Wir vertreten auch die Meinung, dass der Pflegebedürftigkeitsbegriff neu definiert werden muss. Krankheiten wie z.B. Demenz sind bei den aktuellen Pflegestufen nicht mit dem benötigten Pflegeaufwand abgedeckt. Ein möglicher Start wäre die Erweiterung der Pflegestufen auf 5 statt wie bisher 3 Bedarfsgrade, damit zumindest stärker differenziert werden kann. Die entsprechenden Vorschläge liegen den politischen Entscheidungsträgern schon lange vor. Leider ist damit zu rechnen, dass die Bundestagswahl und damit ein möglicher Regierungswechsel einer Umsetzung im Wege stehen – wie es bereits im Jahr 2009 der Fall war. Außerdem sehen wir es kritisch, dass die Begutachtung zur Einstufung häufig in wenigen Stunden erstellt wird – das kann nur sehr schwer objektiv sein und deckt den benötigten Pflegeaufwand für Patienten nicht immer optimal ab.

Pflegekraft im AltersheimEin weiterer wichtiger Punkt ist natürlich die Vergütung: Das durchschnittliche Brutto-Einkommen in Pflegeberufen beträgt 2.360€ bei einer 38-Stunden-Woche. Die zunehmende Teilzeit-Arbeit, aufgrund hoher Arbeitsbelastung, flexibler Personalplanung oder der Tatsache, dass viele Frauen nach Geburt ihrer Kinder nicht wieder voll einsteigen, verringert natürlich das Gehalt entsprechend. Das Hauptproblem dabei bleibt weiter die Finanzierung von höheren Gehältern. Arbeitgeber sollten aber nicht nur nach Lösungen suchen, an der finanziellen Stellschraube zu drehen, sondern auch auf der persönlichen und ideellen Ebene ihren Mitarbeitern entgegenkommen. Ein motivierender Führungsstil sowie zielgerichtete, persönliche und berufliche Förderungen gehören ebenso dazu.

Eine Neuausrichtung der Pflegeausbildung sehen wir als zusätzliche Option der Weiterentwicklung: Denkbar wären zum Beispiel verschiedene Qualifikationsstufen in der Ausbildung und der Erwerb von Zusatzqualifikationen während des Berufs – innovativer als bisher. Ich denke dabei bspw. an Bereiche wie „Disaster Nursing“ oder „Palliative Care“.

Eine Überlegung in unserem Ausschuss war es, die beiden Punkte Pflege und Patienteninformation gekoppelt anzugehen. Unsere Idee: Die Pflegekräfte könnten als Wissensvermittler die Schnittstelle zwischen Patienten & Arzt/Apotheker einnehmen. Meist haben die Pflegekräfte eine viel nähere Patientenbeziehung und bringen gleichzeitig das nötige Fachwissen mit. Das Thema haben wir jedoch erst einmal zurückgestellt, weil wir Probleme bei der Umsetzung sehen: Hoheitsgebiete der verschiedenen Berufsgruppen, die aktuell noch wenig antastbar sind und der dadurch weiter steigende Arbeitsaufwand für die Pflegekräfte.

Zum Thema Information für Patienten verfolgen Sie zwei Ansätze. Welche sind das?

Zum einen sehen wir das Problem, dass Patienten nicht wirklich genau über ihren eigenen Gesundheitszustand Bescheid wissen und viele Entscheidungen fremdbestimmt treffen. Das sehen wir als Problem. Zum anderen besteht immer mehr das Interesse sich generell über Gesundheit und Krankheit zu informieren. Auch da sehen wir Verbesserungspotential.

Einer Ihrer Ideen ist der Patienten-Kassenzettel – Was können wir uns darunter vorstellen?

Der Kassenzettel ist ein Lösungsvorschlag von uns, um Leistungen für Patienten transparenter zu machen. Nach jedem Arztbesuch wird den Patienten eine Art Quittung ausgehändigt, auf der Leistungen und Kosten aufgeführt sind. Allerdings befürchten wir: Ärzte lassen sich teilweise nicht gern in die Karten schauen. Dabei sei eine detaillierte Rechnung wie z.B. bei Privatpatienten häufig mit einem Knopfdruck möglich – und gerade im Zeitalter der fortgeschrittenen elektronischen Datenverarbeitung und des Internets leicht umsetzbar – auch unter Einhaltung des Datenschutzes.

Und was ist unter Ihrem Vorschlag eines Gesundheits-Informationsportals zu verstehen?

Das Idealbild ist für uns der selbstbestimmte und informierte Patient. Online gibt es bereits jetzt eine Fülle an Websites und Plattformen mit Informationen über verschiedenste Gesundheitsthemen – dabei jedoch mit sehr unterschiedlicher Qualität. Um die Informationssuche für Patienten zu vereinfachen, wäre es zum Beispiel denkbar als unabhängige Stelle Websites zu verschiedenen Themen aufzulisten. Eine Idee ist auch, ein Gütesiegel zu vergeben. Denn die Patienten erkennen meist nicht auf den ersten Blick, auf welche Infos sie sich verlassen können.

Zu diesem Thema starteten wir auch eine Online- & Offline-Befragung dazu, was sich Patienten von einer Online-Plattform wünschen, und wie bzw. wo sie sich momentan mit Informationen versorgen. Wir werden hier natürlich nicht die nächste und beste Gesundheitsinformations-Plattform aufbauen können, aber wir können Informationen dazu sammeln, welche Charakteristika ein Projekt dieser Art aus Patientensicht aufweisen sollte und welches die aktuell genutzten Online-Plattformen sind.

Was denken Sie: Warum ist die verständliche Informationsvermittlung in den Bereichen der Medizin und Gesundheit heute noch so schwer?

Da sehe ich verschiedene Gründe: Vor allem bei der älteren Generation liegt es häufig daran, dass sie Ärzte als „Götter in Weiß“ sehen und sich nicht trauen, nachzufragen, wenn sie etwas nicht verstehen. Ärzte begründen die nicht immer Patienten-gerechte Kommunikation oft mit Zeitmangel oder schieben das Argument vor, der Patient habe ja auch nicht gefragt. Jüngere Generationen sind häufig anders herum überfordert: Online sind so wahnsinnig viele Infos zugänglich, die aber häufig widersprüchlich sind und eine ärztliche Diagnose mit Fachwissen – am besten von mehreren Experten – nicht ersetzen können.

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Die ausführliche Übersicht der Zwischenergebnisse des Gesundheitsparlaments finden Sie unter http://bit.ly/Ergebnispapier_Gesundheitsparlament.

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