Nach außen zertifiziert, nach innen derangiert: Qualitätsmanagement in Arztpraxen

Die Implementierung eines Qualitätsmanagement-Systems ist für Arztpraxen Pflicht, die Durchführung einer Zertifizierung Kür. Zertifizierte Praxen – so die allgemeine Nutzenargumentation – profitieren intern von klaren Strukturen und optimierten Abläufen. An Patienten senden sie ein eindeutiges Signal, welcher Leidtungsqualitäts-Standard erwartet werden kann. Das Ziel ist, die Patienten mit ihren Anforderungen in den Mittelpunkt der Praxisarbeit zu stellen. Aber eignet sich eine Zertifizierung wirklich grundsätzlich als Garant für Leistungsqualität und Patientenorientierung? Die in einer Kinderarztpraxis durchgeführte Benchmarking-Praxisanalyse zeigt das Gegenteil, wie die Äußerungen der Eltern in der Zufriedenheitsbefragung belegen:
„Mehr Zeit für den Patienten nehmen“
“Mehr Erklärungen, was gemacht wird“
„Genauere Diagnosen wäre nicht schlecht“
„Gibt es auch Alternativen zu Ibuprofen und Antibiotika?“
„Dr. X sollte nicht so kindisch mit größeren Kindern umgehen“
„Sehr schlechte telefonische Erreichbarkeit“
„Mehr Hinweise auf Impfungen bzw. Erinnerung zur Auffrischung von anstehenden Impfungen“
„Babys nicht im Wartezimmer warten lassen, sondern besser im Behandlungsraum, machen andere Ärzte auch so“
„Manchmal wird zu schnell, fast hektisch untersucht“
„Größerer Wartebereich, so dass man nicht auf dem Gang stehen muss“
„Zu volles und muffiges Wartezimmer“
„Dr. X redet gerne über Dinge die nichts mit der Erkrankung meines Kindes zu tun haben“
„Die Kinder werden zu früh ins Sprechzimmer gesetzt und das ist nicht kindersicher (Skalpelle in Schubladen)“
„Unfreundliches Personal“
„Immer chaotisches Durcheinander und kopfloses Personal”
„Wäre Dr. Y. nicht so gut wären wir schon lange in einer anderen Praxis“
„Es ist fast unmöglich, Sie telefonisch zu erreichen“
„ Man wird nicht der Reihe nach behandelt“
„Sätze wie „…jetzt braucht man es auch nicht mehr…“ sind völlig fehl am Platz“
„Warum werden keine Naturheilmittel alternativ empfohlen?“
„Bequemere Sitzplätze im Wartezimmer“
„Bitte reinigen Sie den Teppich im Wartezimmer“
„Oberflächliche Diagnosen“
„Dr. X könnte etwas lauter sprechen“
„Die Kinder würde sich über etwas mehr Freundlichkeit von Personal und Arzt freuen“
„Kinder mit ansteckenden Krankheiten nicht ins Wartezimmer setzen“
Qualitätsmanagement-Standards sind ein wichtiges und hilfreiches Instrument für eine gleichzeitig produktive und patientenorientierte Praxisarbeit. Doch die häufig anzutreffende Denk- und Verhaltensweise, dass die Praxisarbeit allein durch ihre Dokumentation optimiert sei, ist fahrlässig. Ein umfassendes und nachhaltig wirksames Qualitätsmanagement benötigt vor allem die Bereitschaft zu kritischer Selbstreflektion und Verhaltensänderung. Ist diese nicht gegeben, wird die Zertifizierung als Qualitätsindikator für Patienten zur Mogelpackung.

Zum Thema:
Quieta non movere: Anti-Change Management in Arztpraxen

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