Alice Schwarzers „Appell gegen Prostitution“ polarisiert. Um ihrem „Schwarz(er)-Weiß-Denken“ etwas entgegenzusetzen, sind Sexarbeiterinnen in Berlin in die Öffentlichkeit gegangen. Von Julian Vetten
Felicitas Schirow ist ein Wirbelwind der guten Laune. Und das, obwohl die 56 Jahre alte Bordell-Besitzerin eigentlich ganz schön sauer ist – auf Alice Schwarzer und ihren hoch medienwirksamen „Appell gegen Prostitution“. Die Alt-Feministin hatte noch vor einigen Wochen bei einer Podiumsdiskussion in der Berliner Urania Prostitution mit Menschenhandel gleichgesetzt und eine erdrückende Mehrheit der Huren als fremdbestimmte Opfer dargestellt. Das wollte Schirow so nicht auf ihrem Berufsstand sitzenlassen und hat kurzerhand eine Gegenveranstaltung aus der Taufe gehoben, die die Verhältnisse geraderücken soll. Sperriger Titel der Expertenrunde: „Das habe ich mir ja ganz anders vorgestellt: Daten und Fakten statt Schwarz(er)-Weiß-Denken“.
Prostitution mit Menschenhandel gleichzusetzen ist Demagogie
Und tatsächlich liefert die streitbare Bordell-Besitzerin, was sie verspricht. Von einer Kriminalistin über eine auf Prostitution spezialisierte Soziologin bis hin zur emeritierten Kriminologie-Professorin sitzen acht Spezialisten auf der Bühne, die sich seit Jahren oder gar Jahrzehnten mit der brisanten Thematik auseinandersetzen. Dass Schirow bei der Zusammenstellung der Runde vor allem auf Expertise geachtet hat, ist der Organisatorin hoch anzurechnen – kein Vergleich zu Schwarzers fünfköpfigem Gremium, das vor allem die radikale Verbots-Haltung der Emma-Herausgeberin untermauern sollte.
„Prostitution ist nicht gleich Menschenhandel, aber Menschenhandel ist ein Teil der Prostitution“, sagt etwa die Berliner LKA-Leiterin Rudat, die die Zahl der Berliner Prostituierten auf 6000 bis 8000 schätzt und auf die 365 Delikte im Rotlichtmilieu verweist, welche die Polizei 2012 erfasst hat – von denen 25 Prozent mit dem „Verlust der sexuellen Selbstbestimmung“ zu tun hatten. „Das Erörtern von Menschenhandel gehört in eine völlig andere Veranstaltung“, findet dagegen Kriminologin Frommel und wird dabei von der Grünen-Politikerin Gesine Agena unterstützt: „Das Prostitutionsgesetz von 2002 war nie dazu da, den Menschenhandel zu bekämpfen.“
Dass Alice Schwarzer Prostitution mit Menschenhandel gleichsetzt, darauf zumindest können sich alle Diskussionsteilnehmer einigen, sei reine Demagogie. Ein boulevardtaugliches Werkzeug, das Politiker zu vermeintlich wählerbringenden Kurzschlussgesetzen verführen soll. „Und das ist ja das Bedauerliche: Dass viele Politiker nach Verboten schreien, ohne überhaupt anständig recherchiert zu haben“, sagt Evrin Sommer, frauenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Warum das so ist, erklärt Frommel: „Sex and crime packt die Menschen und lässt auf den ersten Blick kaum Widerspruch zu. Als Frau wie als Mann wird es einem sehr schwer gemacht, sich zu diesem Tabuthema zu positionieren.“
Schweden: Mit Röntgenkameras gegen Freier
Die Tabuisierung scheint der Knackpunkt in der ganzen Debatte zu sein. „Manchmal denke ich mir: Meine Güte, die nachfolgenden Generation sind ja ganz schön konservativ“, sagt Frommel leicht resigniert. Die Kriminologin hat seit der Liberalisierung der Prostitution vor nur elf Jahren einen gesellschaftlichen „Rollback“ beobachtet. Das sei ein perfekter Nährboden für die Fantasiezahlen und vermeintlichen Vorzeigemodelle, die seit Schwarzers Appell durch die Medien geisterten. „Von einem rasanten Anstieg des Menschenhandels kann keine Rede sein“, stellt die Kriminalistin Rudat fest und verweist auf die Internetseite des BKA, wo die Zahlen nachzulesen seien.
Percy MacLean, der als Richter vor mehr als zehn Jahren mit einem Präzedenzurteil die Schließung von Schirows „Café Pssst“ verhinderte, vermittelt derweil einen Eindruck der bizarren Blüten, die das von Schwarzer so intensiv beworbene Prostitutionsverbot in Schweden treibt: „Die Beamten überprüfen mit strahlenintensiven Röntgenkameras auf dem Straßenstrich, was im Inneren der Autos vor sich geht – Beweisaufnahmen, um Freier zu überführen und zu bestrafen. Das ist nicht nur gesundheitsschädlich, sondern vor allem eine widerliche und menschenverachtende Praxis.“
Das Erfrischende an der Diskussion ist, dass die versammelten Experten tatsächlich ganz ohne Schwarz-Weiß-Denken auskommen. Zwar lautet die einhellige Meinung, dass Prostitution weder verboten werden kann noch soll – das heißt aber nicht, dass alle acht mit der herrschenden Rechtslage zufrieden wären. „Wenn Freier wissentlich und willentlich die Lage einer Zwangsprostituierten ausnutzen, sollten sie rechtlich belangt werden können“, wünscht sich etwa Grünen-Politikerin Agena, während Frommel vor allem die Einführung des Gewerberechts fordert, um mit der Kontrolle von Löhnen, Mieten und Arbeitsbedingungen die Kriminalität eindämmen zu können.
Die oft selbstkritische Veranstaltung ist kaum zu vergleichen mit der Hexenjagd, die Alice Schwarzer noch vor einigen Wochen an derselben Stelle veranstaltete. An einem offenen Diskurs sei die Alt-Feministin aber auch nie wirklich interessiert gewesen, folgert Frommel: „Schwarzer fährt eine demagogische, pseudo-feministische Kampagne.“ Der tosende Applaus gibt ihr Recht.