Bakterien sind winzig klein, bestehen meist nur aus einer einzigen Zelle und machen, jedenfalls im Vergleich zu anderen Organismen, einen eher primitiven Eindruck. Von einem komplexen Tastsinn, wie er für Menschen und Tieren ganz selbstverständlich ist, können sie jedenfalls nur träumen – dachte man bisher.
Und doch zeigt jetzt eine aktuelle Studie zur Mechanotaxis von Bacillus mycoides, dass manche Mikroben wohl deutlich sensibler sind, als bisher angenommen wurde. Demnach scheint dieses Bakterium sehr wohl in der Lage zu sein, Kräfte wahrzunehmen, die von außen auf sein Wachstumsmedium einwirken – und auf die dadurch verursachten Strukturveränderungen des Mediums zu reagieren.
Normalerweise wächst B. mycoides eher unspektakulär in langen Filamenten, die sich vom Zentrum der Kolonie aus gleichmäßig in alle Richtungen der Kulturschale ausbreiten. Verändert man allerdings die Struktur des Kulturmediums, beispielsweise, indem man es geringfügig staucht oder ein bisschen in die Länge zieht, verändert das Bakterium sofort die Wuchsrichtung seiner Filamente. Die Veränderungen sind sowohl auf mikroskopischer Ebene, als auch mit bloßem Auge zu erkennen. Wie ein lebendes spiralförmiges Kunstwerk können die Filamente aussehen – wenn man das Medium zuvor entsprechend strukturiert hat.
Und es kommt noch besser: Das Bakterium ist scheinbar sogar im Stande, mit Objekten in seiner unmittelbaren Umgebung zu interagieren. Zum Erstaunen der britischen Wissenschaftler konnte es mit seinen Filamenten sogar kleine Glaskügelchen „finden“, die sie ihm in die Kulturschale gelegt hatten.
Bei menschlichen oder tierischen Organismen ist die Mechanotaxis eine essentielle Grundlage für die korrekte Ausbildung von Organen und Geweben. Wie genau und warum die Mechanotaxis bei B. mycoides funktioniert, ist noch nicht bekannt. Hier kann bisher nur spekuliert werden. Eventuell besitzt das Bakterium ja tatsächlich eine Art Tastsinn, mit dem es die Beschaffenheit des Untergrunds analysieren kann. Vielleicht sind Bakterien ja am Ende doch nicht ganz so primitiv, wie man manchmal denken möchte!
Annika Bosch-Wehmeyer