Tja, jetzt sitze ich da an meinem Schreibtisch, vor mir eine Tasse kaltgewordener Kaffee, das Diktiergerät und die Krankenakte.
Ich blätter die Akte durch, schüttel den Kopf, schaue seufzend aus dem Fenster, nippe an dem Kaffee, schüttel abermals den Kopf und lege dann endlich los mit dem Diktat:
“…Diagnose: funktionelle Magen-Darm Beschwerden…”
Wieder so ein Unwort. Aber die Diagnose gibts wirklich. Man kann es auch anders ausdrücken: Sie hatte Magen-Darm Beschwerden, aber wir haben keine Ahnung, weshalb. Ein Grund oder eine Ursache konnte nicht gefunden werden. Halt irgendwie psychisch oder so.
“…Nebendiagnosen: akute Anpassungsstörung, psychovegetativer Erschöpfungszustand…”
Man könnte auch sagen: Die Frau war einfach nur fertig. Fertig mit sich und der Welt. Hat ne Menge mitmachen müssen.
“Anamnese: Die Patientin wurde unter dem Bild akuter Abdominalbeschwerden mit Rettungswagen zu uns eingewiesen…”
Sollte ich erwähnen, was da sonst noch alles abgegangen ist? Die Trennung und der damit verbundene Schmerz?
Ein Arztbrief ist zunächst einmal ein bürokratisches Dokument. Der Hausarzt, an den der Brief ja zunächst einmal gerichtet ist, wird seine Patientin ja wohl kennen und Bescheid wissen. Ich sollte also lieber fortfahren mit den Untersuchungsergebnissen und brav alle Ergebnisse abdiktieren.
“…die weitere Diagnostik verlief unauffällig, so daß wir die Patientin bei weitgehender Beschwerdefreiheit in Ihre hausärztliche Betreuung entlassen können.”
Diese wunderschöne Standardfloskel ist einfach herrlich nichtssagend.
Ich zögere einen Moment.
“…Wir empfehlen eine psychosomatische Weiterbehandlung…”
Will sagen: Lieber Hausarzt, jetzt bist Du wieder am Ball.