Das Berliner Aids-Gemeinschaftsgrab soll erweitert und im Rahmen eines künstlerischen Wettbewerbs in ein Denkmal für alle an HIV/Aids Verstorbenen umgewandelt werden. Von Axel Schock
„Sterben ist ein Teil des Lebens, der Toten zu gedenken, ist Teil eines menschenwürdigen Lebens. Das gilt für alle Menschen“, sagt Wolfgang Thierse. Diese Feststellung des ehemaligen Bundestagspräsidenten erscheint so selbstverständlich, dass sie wohl niemand in Zweifel ziehen würde. Und doch sieht die Realität häufig anders aus.
Das gilt nicht nur für obdachlos und in Armut Verstorbene ohne nahe Angehörige, die von Amts wegen mehr routiniert in anonymen Massengräbern verscharrt denn würdevoll zur letzten Ruhe gebettet werden, sondern – auch heute noch – für viele Menschen mit HIV.
Tabuisiert über den Tod hinaus
Nicht nur, dass man sie oft zu Lebzeiten ausgrenzt: ihre Krankheit wird bisweilen selbst über ihren Tod hinaus tabuisiert, vor allem dann, wenn sie sich durch Sex oder Drogenbrauch infizierten. Von der Herkunftsfamilie entfremdet, meist ohne unterstützenden Freundeskreis, verbringen sie ihre letzte Lebensphase völlig zurückgezogen, um schließlich unbemerkt zu verschwinden. Nicht einmal ein Name auf einem Grab bleibt von ihnen.
Diesem Missstand wirken Aids-Gemeinschaftsgräber entgehen, wie es sie inzwischen auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg, dem Hauptfriedhof in Frankfurt/Main und dem St. Matthäus-Kirchhof in Berlin-Schöneberg gibt. An diesen drei Orten hat man historische Grabfelder zu einer Gemeinschaftsgrabstätte umgestaltet.
Historische Grabstätten in neuer Nutzung
Auf dem Sankt Matthäus-Kirchhof hat die christlich-ökumenische Initiative KIRCHE positHiV das Projekt initiiert und dazu ein monumentales Wandgrabmal übernommen, das man 1875 für die Familie Streichenberg errichtet hatte. 2003 wurde in dem neu geschaffenen Aids-Gemeinschaftsgrab Denk Mal positHIV als erster Verstorbener Hans Peter Hauschild, Geschäftsführer der Frankfurter AIDS-Hilfe und DAH-Bundesvorstand, beigesetzt. Inzwischen erinnern auf einer Plexiglas-Tafel 36 Namen an jene Toten, die seither hier ihre letzte Ruhestätte gefunden haben.
Längst wurde die Anlage um zwei benachbarte Grabflächen erweitert. Nun sollen zwei gegenüberliegende hinzukommen. Der Trägerverein möchte die Erweiterung nun zum Anlass nehmen, die Gesamtanlage nicht einfach nur neu zu gestalten, sondern auch die in den Jahren des massenhaften Sterbens entstandenen Formen der Trauer- und Erinnerungskultur zu reflektieren.
Unterstützt von der Berliner Aids-Hilfe, der DAH und der Bezirksbürgermeisterin von Tempelhof-Schöneberg, Angelika Schöttler, startet nun am 15. März ein offener künstlerischer Wettbewerb für die Neugestaltung.
Finanziert durch Mittel der Lotto-Stiftung
Eine vierköpfige Jury wird aus den bis 15. Mai 2014 eingereichten Entwürfen einen Gewinner küren. Für die Umsetzung, die bis Ende 2015 vorgesehen ist, hat die Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin 25.000 Euro bereitgestellt.
Auf die Künstler und Architekten, die sich an dem Wettbewerb beteiligen, kommt keine leichte Aufgabe zu: Mit welchen Symbolen will man das, was die dort Bestatteten verbindet – nämlich die Krankheit, das Lebensgefühl und der Lebensstil – heute versinnbildlichen? Inwieweit können oder sollten christliche Embleme verwendet werden – oder müssen sie gerade vermieden werden?
„KIRCHE positHiV will allen Menschen ein würdiges Begräbnis ermöglichen, unabhängig von ihrer religiösen Überzeugung“, betont Eugen Janusche, Mitglied im Vorstand von „Denk Mal positHIV“. Darüber hinaus sind bei den historischen Grabmälern denkmalpflegerische Vorgaben zu beachten.
Eine Herausforderung für Künstler und Architekten
Die beiden neu hinzukommenden Grabfelder sollen mit den bereits bestehenden durch die Gestaltung zu einer erkennbaren Einheit verbunden werden. Auch gilt es, die vielen unterschiedlichen Bedürfnisse und Anliegen zu erfüllen, die an die Neugestaltung geknüpft sind.
Auf einer Podiumsdiskussion im Vorfeld des Wettbewerbs im Februar äußerte etwa die Kunstgeschichtlerin Antje Kempe die Hoffnung, dass die Neugestaltung nicht nur die Trauer um die Verstorbenen zum Ausdruck bringt, sondern auch die Solidarität mit HIV-Positiven und an Aids Erkrankten. Im Idealfall würde die Grabanlage dann auch nur zufällig daran vorbeigehende Friedhofsbesucher dazu auffordern, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.
Gleich mehrfach wurde auf dieser Podiumsdiskussion im Rahmen der nGbK-Ausstellung LOVE AIDS RIOT SEX II geäußert, die Grabstätte solle künftig auch als Gedenkstätte für all jene dienen, die seit Ausbruch der Epidemie unter der Krankheit und ihren Folgen – Ausgrenzung und Diskriminierung – leiden mussten und an der Infektion verstorben sind. Zugleich soll an diejenigen namentlich erinnert werden, deren Gräber nach Ablauf der meist 20- oder 25-jährigen Nutzungsfrist verschwinden.
Ein Grabmal und Denkmal zugleich fürs Gedenken und Nachdenken!
Auf dem St. Matthäus-Kirchhof betrifft das beispielsweise bald das Urnen-Einzelgrab des Filmaktivsten Manfred Salzgeber. Auf dem Ohlsdorfer Friedhof hat man erst unlängst das Grab von Kurt Raab, dem 1988 verstorbenen Schauspieler und engen Mitarbeiter von Rainer Werner Fassbinder, eingeebnet.
Für DAH-Vorstand Carsten Schatz soll das Aids-Gemeinschaftsgrab daher zu einem „Denkmal für die Verstorbenen“ und einem „Mahnmal gegen Ausgrenzung und für Solidarität und politische Verantwortung“ werden. Oder, um es in den Worten des KIRCHE positHIV-Schirmherrn Wolfgang Thierse zu formulieren: „Ein Grabmal und Denkmal zugleich fürs Gedenken und Nachdenken!“
Nähere Informationen zum Aids-Gemeinschaftsgrab unter http://www.denk-mal-posithiv.de. Die Unterlagen zum Gestaltungswettbewerb können auf der Internetseite www.aids-kunst-grab.de abgerufen werden.
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