Pflegende Angehöriger nur Kümmerer oder mehr als das

Ich bin eine eingetragene Pflegeperson und bei „good-care.de“ wurde mein Rolle erweitert oder eingeschränkt. Je nach dem, welche Blickwinkel ich einnehmen will: Ich sei ein Kümmerer. Als Laienpflegekraft pflege ich nicht, sondern kümmere mich, denn als Laie in der Pflege würde ich nicht das unter Pflege verstehen, was die professionellen Pflegefachkräfte als Pflege ansehen.

Mein Job, der Kümmerer

Ich bin als pflegender Angehöriger ein Kümmerer und dies mit Recht, schließlich kommt Kümmern von Kummer. Folge ich der Definition aus dem Duden, Universalwörterbuch, ist der Kummer ein Betrübnis über ein schweres Geschick. Zurecht, wenn ein Familienangehöriger oder das eigene Kind schwer erkrankt, ein Pflegefall wird. Es kann zu einer Schwierigkeit werden, die einem an die persönlichen Grenzen bringt, mit dem Bild, zu einer unüberwindbaren Last.

Als Chance, einen Weg mit dieser Last im Leben zu finden, ein Gefühl für Verantwortung und dem Bedürfnis, das Leid ertragbar zu machen: Ich kümmere mich um unser schwer krankes Kind, um unsere schwer kranke Mutter. Ich nehme mich der Person, der Hilfebedürftigkeit an.

Das Wort kümmern hält aber mehrere Bedeutungen vor und sie fließen mit ein. Sie spiegeln als pflegende Angehörige die zu tragende Last, die Veränderung unseres Alltags wieder. Egal, ob ich es auf uns selbst beziehe, unserer Gesundheit, unserer Entwicklung und dem Ausbau von sozialen Kontakten. Oder ob ich es in Beziehung zu unseren erkrankten, pflegebedürftigen Kind setze. Zu unserem Kümmern kommt das Verkümmern (=schlecht gedeihen, sich nicht weiter entwickeln), kümmerlich (ärmlich, armselig, dürftig) und abwertend: hinter den Erwartungen, Ansprüchen, gesetzten Zielen weit zurückbleibend; bestehenden Bedürfnissen nicht genügend …

Kümmern und die Rollen des pflegenden Angehörigen

Wenn ich aus Sicht des Autors von „good-care“ ein Kümmerer bin, so drückt dies auch das Dilemma der pflegenden Angehörigen aus: Egal, wie gut und wie viel sie sich bemühen um ihren zu pflegenden Angehörigen, sie bleiben hinter den Erwartungen, die ein jemand an einer professionellen Fachkraft stellt, zurück. Es zählt nicht, dass die pflegenden Angehörigen stets versuchen, ihr bestes zu geben in Rahmen ihrer Möglichkeiten. Stimmt dies?

Pflegende Angehörige sind nicht nur Laienpflegekräfte, sondern sie müssen / können je nach Betreuungs-, Sorge– und Pflegesituationen verschiedene Rollen einnehmen zum Beispiel:

Sozialarbeiter:

Sie müssen erfassen, welche Hilfen Ihren Angehörigen und sie als Pflegeperson erhalten können. In vielen Fällen müssen sie lernen:

  • wie man richtig die verschiedensten Anträge stellt, ärztliche Verordnungen ausfüllen lässt
  • wie man mit Behörden und Versicherungen zielführend kommuniziert,
  • wie man Entscheidungen der Ämter wiederspricht,
  • wie man den medizinischen Dienst der Versicherung oder der Behörden überzeugt
  • wie man Klage beim Sozial– oder Verwaltungsgericht einlegt.

Laien-Pflegekraft

Pflegende Angehörige müssen, je nach Erkrankung und Behinderung,

  • die Körperpflege übernehmen, teilweise oder dazu motivieren
  • Essen anreichen oder motivieren zum Essen
  • verschiedenste Lagerungen durchführen, um Lungenentzündungen und Gelenkversteifungen zu vermeiden, um ihren Bedürftigen vor dem Dekubitus zu schützen und um dessen Wohlbefinden zu fördern oder zu erhalten
  • wissen, wie (Pflege-)Hilfsmittel richtig angewendet werden
  • wissen, wie Inkontinenzhilfen verwendet und ein Gastro– und/oder Ileusstoma versorgt wird
  • wissen, wie das Anlegen von Körperersatzstücken und/oder Orthesen erfolgt

Pflegende Angehörige müssen unter anderem lernen wie ärztliche Verrichtungen der Behandlungspflege durchgeführt werden wie

  • Trachealkanülenversorgung mit Wechsel der Kanüle
  • orales, nasales und tracheales Absaugen
  • ausräumen des Mundes von Sekret und Speiseresten
  • Sauerstoffgabe
  • Reanimation des Herzkreislaufes und der Atmung
  • die Überwachung einer maschinellen Beatmung
  • die Überwachung einer schweren Dysphagie (Schluckstörung) mit häufiger Aspiration in die Atemwege,
  • die Überwachung einer therapieresistenden Epilepsie mit Anfällen, bei denen per Hand die erkrankte Person beatmet / gebeutelt wir
  • An-, Abstöpseln und Überwachung von Infusionen an einem venösen Zugang wie Port oder Hickmankatheter; Verbandswechsel an diese
  • digitales ausräumen und/oder Einläufe bei schwerer Obstipation

Haushaltshilfe / Hauswirtschaftskraft

Pflegende Angehörige müssen in vielen Fällen für den Betroffenen

  • den Haushalt führen
  • Waschen
  • Einkaufen
  • Einkommen und Ausgaben im Blick haben
  • für Sauberkeit sorgen

Betreuer, „Vormund“, Sorgerechtsinhaber

Pflegende Angehörige lernen in der Situation rund um ihren Angehörigen, dass sie Aufgaben des Sorgerechts plötzlich übernehmen müssen. Sie müssen entscheiden zum Beispiel

  • über die weiteren Therapien,
  • die Wohnsituation,
  • welche Dienstleister gewünscht sind.

Für Eltern eines behinderten / besonderen Kindes wird diese Rolle am Anfang keine „besondere“ Aufgabe sein. Sie sind mit der Geburt des Kindes automatisch Sorgerechtsinhaber. Aber ein chronisch krankes Kind kann schnell den Entscheidungswillen und –horizont überstrapazieren. Es ist eine „Über“-Aufgabe, zu sagen, was ist für das Wohl meines kranken Kindes am besten? Was bedeutet Lebensqualität?

„leitender Angestellter“, Entscheider und Führungskraft

Eher eine verdeckte Rolle von pflegenden Angehörigen, aber es ist in vielen wichtig, sich dieser Rolle bewusst zu sein. Führungskraft und Entscheidet ist man schnell, wenn man sich mit einem Pflegedienst in die 24 Stundenpflege täglich rein teilt und dort mit einschätzen muss, ob die professionellen Pflegefachkräfte wirklich die geforderte Krankenpflege beherrschen. Man ist Führungs– und Pflegeleitung, weil man mit festlegen muss, wie der Pflegeplan gestaltet sein soll. Man ist ein Entscheider, wenn man die Versorgungsqualität der Homecarefirmen und Sanitätshäuser im Blick haben muss.

Konfliktmanager

Wenn ein pflegender Angehöriger eine sichere und gute Versorgung für seinen „Betroffenen“ herstellen möchte, so muss er lernen

  • wie man Feedback gibt, ohne in „Du-Botschaften“ zu verfallen,
  • wie man Fehlertoleranz oder an sich Toleranz gegenüber das Anderssein der Anderen entwickeln muss,
  • wie man lernt bei den Dienstleistern die Priorität auf die Profession zu setzen und Mensch, Mensch sein lässt, solange die professionelle Rolle und geforderte Funktion erfüllt wird
  • wie man die Dienstleister bei der Arbeit an seinem Angehörigen wieder motiviert und deren Arbeit wertschätzt, damit sie nach einer Beleidigung des zu Pflegenden oder nach einem Streit weiter ihre Arbeit erbringen

Beschäftiungstherapeut

Krankengymnast

Nein und doch: pflegender Angehöriger pflegt

Es ist eine gute These: Die pflegenden Angehörigen sind Kümmerer. Denn bei diesem Rollenmix, bei diesen Anforderungen wäre es ein Wunder, wenn sie den Anforderungen eines der Professionellen in seiner ausgebildeten Rolle und Funktion zu 100% gerecht werden würden.

Und die pflegenden Angehörige sind Pflegekräfte, wenn sie die Pflege des Betroffenen übernehmen. Man kann ihnen nicht dieses Rollenbild und diese Funktion absprechen, auch wenn der Eindruck oder die Vermutung entsteht, der Tätigkeitsbereich des Professionellen könnte dadurch in der Außenwirkung falsch wahr genommen werden. Pflege, wie manch andere Tätigkeit, sind keine geschützten Begriffe. Dadurch können sie breit verwendet werden, insbesondere wenn kultur-historisch diese Begriffe schon weit verwendet wurden. Wenn ich im Duden, Universalwörterbuch, nachschlagen, so ist Pflegen nah, sehr nah am kümmern. Ich pflege, ich bemühe mich sorgend um eine Person mit dem Ziel, diese wieder in einen guten Zustand zu bringen oder den Zustand zu erhalten.

Die Ungenauigkeit des Begriffes Pflege mag ein Dilemma sein für die professionell Pflegenden, für die Pflegefachkräfte. Vielleicht kann dies als Ansporn gelten, heraus zu arbeiten, klar zu stellen, Pflege ist nicht gleich Pflege. Wenn die Politik, die Medien über die Profession Pflege reden, so müssen sie die Taktgeber für die Qualität in der Pflege, die Profis für die Gestaltung des Pflegefachs und die Pflegefachkräfte einbinden. Sie alle gehören einer Profession an, die für sich alleine reden will, kann und muss. Sie ist eine Profession wie alle anderen, sie braucht keinen Vormund. Für mich steht die These, eine andere Profession als Vormund hat die Tendenz, seine eigene Profession, seine eigenen Interessen nach vorne zu stellen und schadet damit die ihm unterstellte Profession, deren Aufbau und Entwicklung von unabhängiger Qualität.

Die pflegenden Angehörigen sollen in ihrer Gesamtheit den größten Pflegedienst bilden, wie es häufig als Bild von der Politik verwendet wird. Aufgrund des Rollen– und Funktionsmix, den wir als pflegenden Angehörige ausführen, damit ist dieser Pflegedienst eher die größte Sozialstation. Ein Dienst, bei dem die MitarbeiterInnen am schlechtesten bezahlt werden, unterhalb des Mindestlohnes. Eine Sozialstation, die die schlechtesten Arbeitsbedingungen führt, die mit ihren 24-Stundendiensten an sieben Tage die Woche für eine Pflegeperson gegen das Arbeitszeitgesetz verstößt und bei dem die Angehörigen trotz Krankschreibung häufig weiter arbeiten müssen. Eine Situation, die für die Gesundheit der pflegenden Angehörigen fatal ist; ein Dilemma.

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