Ich hätte auch jetzt angerufen

Kennt Ihr das folgende Video?

Bei rund 8 Millionen Klicks dürfte es sicher schon der ein oder andere gesehen haben. Falls nicht investiert einfach mal die 3 1/2 Minuten. Das Video stammt zwar aus Frankreich, wäre aber sicher auch in ähnlicher Form bei “uns” möglich. Der Umgang mit hilflosen bzw hilfsbedürftigen Menschen, wie auch immer man diese definiert.

Ein Beispiel aus der Realität, das so oder ähnlich vor kurzem stattgefunden hat: Wir werden mit dem Rettungswagen zu einer sogenannten “hilflosen Person” gerufen. Dabei spielen oft Obdachlosigkeit oder andere soziale Indikationen eine Rolle, ähnlich wie Alkohol oder andere Drogen, müssen aber nicht. Die entsprechende Person liegt schlafend mit ihrem Hund an der Seite eines Gehweges. Direkt auf der anderen Straßenseite ein Eis-Salon mit üppiger Außenbestuhlung und dem Wetter entsprechend gerammelt voll. Bei unserem Patienten ist hingegen niemand. Noch nicht einmal den Anrufer können wir ausfindig machen.

Wir halten also am Straßenrand, steigen aus und nähern uns der Person. Wir haben sie kaum erreicht, da materialisiert sich wie aus dem Nichts ein Passant vor uns. Ob wir wegen “dem Mann” hier wären? Wären wir nicht gerade gekommen hätte er jetzt auch “den Notruf” angerufen. Natürlich. Mein Kollege spricht derweil den vermeintlichen Patienten an. Keine Reaktion. Er versucht es noch einmal etwas lauter, rüttelt ihn dabei leicht an der Schulter. Unser Patient schreckt hoch, zusammen mit seinem Hund, der verstört erst einmal den Beschützer gibt und 2 – 3 mal bellt. Der Hund beruhigt sich jedoch schnell wieder. Anders unser Patient, der direkt auf 180 ist. Was wir von ihm wollten? Warum wir ihn nicht schlafen ließen? Er hätte gerade erst 10 Minuten geschlafen, was ja wohl auch sein gutes Recht wäre. Er erscheint vollkommen klar und orientiert, von Alkohol oder anderen Betäubungsmitteln keine Spur.

In diese Schimpf-Tiraden mischen sich plötzlich zwei Männer ein, die wohl aus dem gleichen Wurmloch geschlüpft sind wie unser Passant Nummer 1. Warum WIR so aggressiv wären? Warum wir den armen Mann nicht einfach in Ruhe ließen? Sie würden ihn kennen und er wäre ein ganz feiner Kerl und würde dort doch niemanden stören.

In dieser Situation versuchen wir den Beteiligten den Wind aus den Segeln zu nehmen. Dass wir gar kein Bedürfnis hätten, den armen Mann in irgendeiner Weise zu belästigen. Auch wären wir in keinster Weise aggressiv oder dergleichen (Waren wir wirklich nicht!). Wir wollten nur sicher gehen, dass es unserem Patienten “gut” geht, da sich wohl jemand Sorgen um ihn gemacht und uns gerufen hätte.

Aber alles Reden hilft nichts. Die Aggressivität uns gegenüber steigt, ganz ohne unser Zutun. Als mein Kollege dann auch noch etwas unbedacht die Worte “Polizei” und “Ordnungsamt” in den Mund nimmt ist es dann ganz vorbei. Man beschimpft uns und redet mit zig Mann in einer Lautstärke auf uns ein, dass auch sicher jeder Gast im Eis-Salon problemlos alles verfolgen kann. Auf die Seite des Rettungsdienstes stellt sich in dieser Situation niemand. Da bei unserem Patienten keinerlei Indikation für einen Rettungswagen besteht und alle Beteiligten so oder so in keinster Weise einsichtig und belehrbar sind treten wir daher den Rückzug an und überlassen alles weitere dem Ordnungsamt, dass wir über Funk zur Einsatzstelle rufen.

Und was lernen wir aus der Geschichte? Der Anrufer, der sich zurecht Sorgen um den Patienten machte und den Rettungsdienst alarmierte, gab sich im dicksten Trubel und ziemlich kleinlaut dann doch noch zu erkennen. Allerdings wird er sich sein Vorgehen beim nächsten Mal sicher zwei Mal überlegen, obwohl er alles richtig gemacht hat. Schade, dass man die wenigen Menschen, die wirklich noch helfen wollen und den Notruf absetzen dann durch ein solches Verhalten dermaßen verunsichert. Und Gaffen ist ja auch so einfach. Ich habe eigentlich nur noch auf jemanden gewartet, der mir auf die Schulter klopft und “gute” Ratschläge geben will. Traurig sowas. Wirklich!

 

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