Bei den diesjährigen „Positiven Begegnungen“ in Kassel werden sich Trans*-Menschen mit HIV erstmals in einem eigenen Workshop austauschen können. Über seine Erfahrungen als Trans*-Mann in der HIV-Community berichtet der 43-jährige Berliner Mattino im Gespräch mit Axel Schock.
Seit wann weißt du von deiner HIV-Infektion?
Ich habe mein positives Testergebnis 1998 bekommen. Ich lebte damals noch als Frau und hatte ein ausgeprägtes Sexualleben. Ich wollte meine sexuellen Abenteuer haben – Gummis hatten mich dabei nicht interessiert. Vermutlich hab ich mich beim Sex mit häufig wechselnden Partnern angesteckt.
Das heißt, du wusstest um das Risiko?
Ja, aber ich nahm die Infektionsgefahr nicht besonders ernst. Ich hatte mir nur geschworen, dass ich, falls ich mir etwas einfangen sollte, danach nur noch mit Kondom Sex haben wollte. Aus diesem Verantwortungsgefühl heraus ließ ich mich auch regelmäßig testen. Und bei einem dieser Tests wurde dann die Infektion festgestellt.
Wie bist du damit umgegangen?
Um mich hatte ich eigentlich weniger Angst, aber umso mehr um meinen Sohn – dass ich ihn womöglich versehentlich infizieren könnte. Damals wusste ich noch nicht so genau über die Infektionswege Bescheid.
„Zum ersten Mal konnte ich mein eigentliches Ich ausleben“
Warst du danach gleich in Behandlung?
Ich war regelmäßig zur Kontrolle, aber ich wurde noch nicht behandelt. Das ist erst seit ein paar Monaten der Fall. Das Gute an der Sache war, dass ich danach den Weg in die HIV-Community gefunden habe. Da konnte ich dann auch zum ersten Mal mein eigentliches Ich ausleben und endlich so herumlaufen, wie ich mich am besten fühle.
Wer war für dich damals die HIV-Community?
Ich bin immer wieder ins Cafe PositHiv gegangen und war ab und an bei der Berliner AIDS-Hilfe, zum Beispiel zu den Veranstaltungen für HIV-Positive mit Familien. Da habe ich manchmal auch meinen Sohn mitgenommen. Und seit 2002 lebe ich in einer Wohnung des Projekts ZIK – zuhause im Kiez. Die HIV-Einrichtungen habe ich immer dann genutzt, wenn ich sie für mich als Unterstützung gebraucht habe.
„In der HIV-Community habe ich eine neue Heimat gefunden“
Wie kam es, dass du nicht mehr als Frau leben wolltest?
Ich war mir lange Zeit nicht sicher, ob das der richtige Weg ist. Das änderte sich, als ich in der HIV-Community eine neue Heimat gefunden hatte. Dort waren ja auch sehr viele Schwule und andere queere Menschen. Da konnte ich mich endlich so kleiden und geben, wie ich wollte, ohne gleich komisch angeschaut zu werden. Und ich stand damals ja selbst vor allem auf Männer, am liebsten schwule oder bisexuelle. Ich habe mich dann auf diesem Weg mit einem Trans*-Mann angefreundet. Er war der erste Trans*-Mensch überhaupt, den ich kennenlernte.
2002 habe ich dann für mich entschieden, dass ich als Mann leben will. Eine Trans*-Frau, die mittlerweile leider verstorben ist, war mir in dieser ersten Zeit eine sehr wichtige Stütze. Sie hat mir auch einen Arzt empfohlen, der Trans*-Leute behandelt und zugleich auch HIV-Schwerpunktarzt ist.
Du hast also erst durch die HIV-Community zu dir selbst gefunden?
Das mag sich vielleicht etwas seltsam anhören, aber im Grunde war es so. Anders hätte ich dazu wohl nicht den Arsch in der Hose gehabt. Zunächst war das erst mal eine Probierphase, und das ging in dieser Gemeinschaft auf jeden Fall besser als draußen in der heterosexuellen Gesellschaft.
„Anfangs hatte ich die Szene zu sehr durch die rosa Brille gesehen“
Verlief dein Coming-out als Trans*-Mann in der HIV-Community problemlos? Schwule sind ja nicht per se frei von Vorurteilen.
Das habe ich auch lernen müssen. Anfangs hatte ich die Szene zu sehr durch die rosa Brille gesehen und musste dann so manche Enttäuschung verkraften. Aber anders als in der heterosexuellen Umwelt konnte ich bei den Schwulen wenigstens sagen, hey Freund, du weißt selbst am besten, was es bedeutet, diskriminiert zu werden – also lass das. Da konnte ich mich also wehren. Wenn aber Heteros mit Sprüchen kamen wie „Zieh dich doch mal an wie ein Mädchen“, wusste ich nicht so schlagfertig zu reagieren.
Wie hat man in der HIV-Community auf deine Veränderung reagiert?
Das war sehr unterschiedlich. Bei zwei Leuten, mit denen ich bei ZIK zu tun hatte und die mich noch als Frau kannten, musste ich sehr darum kämpfen, dass sie mich als „er“ ansprachen. In der positiven Schwimmgruppe wiederum durfte ich von Anfang an gleich in die Männerabteilung, auch wenn einige zunächst etwas murrten.
Schwieriger war es im Krankenhaus. Bei meiner angleichenden Operation in München gab es ziemlich große Probleme, überhaupt einen Arzt zu finden, der bereit war, mich zu operieren.
Wegen deiner HIV-Infektion?
Ja, die hatten Angst, sich zu infizieren. Wie sich später herausstellte, hatte nicht der operierende Arzt diese Bedenken, sondern die Anästhesistin. Das Gleiche ist mir dann in Berlin passiert: Auch hier war es der Anästhesist, der sich zunächst weigerte, den Eingriff vorzunehmen – aus Angst vor Ansteckung.
HIV ist kein vorrangiges Thema in der Trans*-Community
Wie gehst du mit deiner HIV-Infektion in der Trans*-Community um?
Die meisten Trans*-Menschen, mit denen ich zu tun habe, etwa bei TransInterQueer e.V., wissen, dass ich positiv bin, und gehen recht locker damit um. Auch meine Freunde wissen alle Bescheid.
Wie kommt es, dass HIV in der Trans*-Community kaum ein Thema ist?
Ich glaube nicht, dass HIV in der Trans*-Community tabu ist, aber es ist sicherlich kein vorrangiges Thema. Wahrscheinlich gibt es einfach zu wenig HIV-positive Trans*-Menschen – oder zumindest nur wenige, die offen damit umgehen.
Wird unter Trans*-Menschen über HIV und die Ansteckungsrisiken geredet?
Ich denke, dass das auf jeden Fall bei den sexuell Aktiven der Fall ist. Ich krieg’ das nicht mehr so mit, weil ich schon seit einiger Zeit keinen Sex mehr habe.
Woran könnte es liegen, dass es bislang weder Selbsthilfegruppen noch Präventionsmaterialien für Trans*-Leute gibt?
Wahrscheinlich gibt es zu wenig Trans*-Leute, die davon betroffen sind. Und die ehrenamtlich Aktiven in den Trans*-Organisationen haben drängendere Probleme und Aufgaben, um die sie sich kümmern müssen. Vielleicht gibt es auch nur einen geringen Bedarf, weil die wenigen HIV-positiven Trans*-Leute, die es gibt, sich in den Aidshilfen gut aufgehoben fühlen. Ich kann da allerdings nur für mich sprechen und deine Frage deshalb nicht wirklich beantworten.
„Es ist nie verkehrt, sich mit anderen auszutauschen“
Hat dir der Austausch mit anderen positiven Trans*-Menschen gefehlt?
Es ist nie verkehrt, sich mit anderen auszutauschen, die sich in der gleichen Situation befinden wie man selbst. Ich hatte bislang allerdings immer das Gefühl, als sei ich zur Zeit der einzige HIV-positive Trans*-Mann auf der Welt. Ich würde gern erfahren, wie andere Trans*-Menschen mit ihrer Infektion umgehen und was sie erlebt haben.
Im Großen und Ganzen habe ich ja wirklich Glück gehabt und keine nennenswerte Diskriminierung erlebt – als HIV-Positiver eigentlich überhaupt nicht. Und abgesehen von ein paar kleinen menschlichen Enttäuschungen auch als Trans*-Mann nicht. Aber es ist und bleibt verletzend, wenn man, zumal von schwulen Männern, auf einen Begriff wie „Transe“ reduziert wird. Ich heiße Mattino und eben nicht „Transi-Mattino–, und ich möchte als Mann respektiert werden.
Was glaubst du, woher rührt das verletzende Verhalten mancher schwuler Männer gegenüber Trans*-Leuten?
Vielleicht ist es schlicht Dummheit, vielleicht haben sie Angst, dass ich als Trans*-Mann in ihr Revier eindringen könnte. Ganz sicherlich aber spielen da auch Klischees und Rollenbilder eine Rolle; althergebrachte Vorstellungen wie Männer und Frauen zu sein haben. Ich nehme mich da selbst auch nicht davon aus.
Kannst du das ein bisschen erläutern?
Als ich noch einen weiblichen Körper hatte, dachte ich genauso und hatte die gleichen festgefahrenen Bilder im Kopf, wie ein Mann angeblich zu sein hat. Damals wusste ich noch nicht, dass das Geschlecht in Wirklichkeit zwischen den Ohren und nicht zwischen den Beinen steckt. Und dass die sexuelle Vielfalt größer ist, als man uns beigebracht hatte. Heute erfreue ich mich an der Vielfalt der Bilder, die es in der Community gibt. Und ich bin stolz darauf, wie die Menschen in meiner Community für diese Vielfalt, aber auch gegen Rassismus und Sexismus in der Gesellschaft kämpfen.
Weiterführende Links:
Infos und Programm der Positiven Begegnungen
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