Die mobile Theatergruppe des Netzwerks AfroLebenPlus zeigt bei den „Positiven Begegnungen“ in Kassel ein neues Bühnenstück. Von Axel Schock
Sie benötigen weder aufwendige Bühnentechnik noch üppige Kulissen. Ganz im Gegenteil, denn die Laienschauspielgruppe des Netzwerkes AfroLebenPlus ist mobil, und mit wenig Gepäck reist es sich bekanntlich leichter. Manchmal reichen ein Tisch und ein paar Stühle, um ihre Geschichten zu erzählen, und das lässt sich schließlich überall organisieren: in Gemeinde- und Kulturzentren, auf Afromärkten und Straßenfesten – quer durch die Republik. Die Truppe bringt ihre Stücke nämlich direkt zu den Menschen, dorthin, wo sie in Deutschland lebende Migrantinnen und Migranten mit afrikanischen Wurzeln antreffen.
Tabuisierte Themen der Community
Das Theater ist für sie ein Weg, all jene Themen anzusprechen, die im Alltag der afrikanischen Communities zumeist tabuisiert werden: die Angst vor Ausgrenzung und Abschiebung, aber auch Fragen der Sexualität oder die Furcht von HIV-Positiven, aus ihrer eigenen Community verstoßen zu werden.
Schon seit 2008 nutzt die mobile Theatergruppe des bundesweiten Netzwerks HIV-positiver Migrantinnen und Migranten diesen besonderen Weg der HIV-Prävention. Einige Mitglieder hatten bereits in ihren Herkunftsländern wie etwa Uganda oder Malawi Erfahrungen damit gesammelt, die sie dann in die Gruppe einbringen konnten.
Rico* gehört seit einigen Jahren zum festen Stamm der derzeit sechsköpfigen Truppe. Dass die Schauspielkollegen verstreut in Deutschland leben, unter anderem in Berlin, Stuttgart, Bonn und einer nordhessischen Kleinstadt, macht regelmäßige Proben zwar schwierig, aber nicht unmöglich.
„Einige Mitglieder bereiten neue Szenen inhaltlich vor, und wir versuchen dann, bei den Proben in kurzer Zeit so viel herauszuholen, wie nur möglich ist“, erzählt Rico. Die Reaktionen des Publikums aber machen die Mühen und Strapazen der Reisen zu den Auftrittsorten allemal wett.
Gastspiele quer durch die Republik
„Es ist immer wieder schön, nach den Vorstellungen zu erleben, dass die Zuschauer Interesse an unseren Stücken und unserer Arbeit haben“, berichtet Rico. Viele zeigten sich allein schon davon überrascht, dass es eine solche Theaterform überhaupt gibt, bei der afrikanische Zuwanderer aus ganz Deutschland sich mit einem klaren Anliegen an ihr Publikum wenden. Nämlich, „gegen die Isolation und Stigmatisierung von Migranten in Deutschland zu kämpfen und andere zu motivieren, selbst aktiv zu werden und etwas dagegen zu unternehmen“, wie Rico betont.
Eine besondere Herausforderung ist dabei das Sprachengemisch im Ensemble – es reicht von Suaheli über Arabisch bis Französisch und Amharisch.
„Auf der Bühne wird weitgehend Deutsch gesprochen“, sagt Rico. Manche, die die Sprache noch nicht so richtig beherrschen, weichen bisweilen auch auf Lingála, die Verkehrs- und Handelssprache Afrikas aus. Dann wird übersetzt oder im sprachlichen Wechsel gespielt. Die Formen, Metaphern und Wege, die die Theatergruppe gefunden hat, um von ihren Erlebnissen, Traumata und Hoffnungen zu berichten, kommen zudem oft auch ganz ohne Sprache aus.
Wie genau sie den Ton und die Themen der Community trifft, zeigt allerdings auch eine andere Reaktion, die Rico bei Aufführungen schon erlebt hat. „Manche Zuschauer sind nach der Vorstellung traurig und gerührt, weil ihnen die Szenen nachgegangen sind und sie sich darin so sehr wiedererkannt haben.“
Eigene Erfahrungen werden zum Bühnenstoff
Deshalb sind die Gespräche nach der Vorstellung für das Projekt genauso wichtig wie die Aufführung selbst. Sie bieten den Zuschauern Gelegenheit, sich über das Gesehene auszutauschen und von ihren eigenen Erlebnissen zu erzählen. Und dieses Konzept macht auch den Erfolg der Theatergruppe aus.
„Migrantencommunites gelten für die HIV-Prävention als schwer erreichbar“, erklärt Rico. „Weil wir aber selbst Teil der Community sind, ihre Sprache sprechen, ihre Sorgen und Nöte, aber auch ihre Erfahrungen und Lebensrealitäten kennen, haben wir einen viel besseren Zugang zu ihnen und können sie auf direkte und vertraute Weise ansprechen.“
Bei der geplanten Aufführung bei den „Positiven Begegnungen“ wird das Schicksal einer alleinerziehenden Mutter im Zentrum stehen, der die Abschiebung droht.
Von ihrem Gastspiel in Kassel erhoffen sich Rico und seine Kolleginnen und Kollegen, in der HIV-Community in Deutschland noch bekannter zu werden und nach dem Auftritt neue Einladungen in andere Städte zu bekommen. Das mobile Aufklärungstheater tritt schließlich bundesweit auf und kann, gegen eine geringe Aufwandsentschädigung, für allerlei Events und Veranstaltungsorte gebucht werden.
(*Name von der Redaktion geändert)
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