Gregoris Vallianatos ist Aktivist und Fernsehjournalist und war zuletzt Kandidat für das Bürgermeisteramt in Athen. Außerdem ist er schwul und HIV-positiv. Das Porträt eines Tausendsassas von Carsten Bauhaus*
Für einen handfesten Skandal ist der prominente Fernsehjournalist Gregoris Vallianatos immer gut. Als liberaler Kandidat für den Athener Bürgermeisterwahlen machte er mitten im Wahlkampf auf Facebook publik, dass er HIV-positiv ist. Die Folge: Mal wieder große Aufregung um Vallianatos — und das Thema HIV in aller Munde. „Es gibt in Griechenland vielleicht ein oder zwei Persönlichkeiten, die offen positiv sind,“ erzählt der 58-jährige „Longtime-Survivor“: Schon in den 80er-Jahren hat er sich selbst als positiv diagnostiziert. Die Symptome waren eindeutig — und als Schwulenaktivist der ersten Stunde kannte er sich schließlich aus. Seit 2002 nimmt er Medikamente und ist gut eingestellt.
Für diejenigen, die zwischen den Zeilen lesen können, war das HIV-Coming-out nicht unbedingt eine Überraschung. Schon 2002 hatte er in einer Talkshow eine Andeutung gemacht. Außerdem war Gregoris Vallianatos bei der Gründung von insgesamt fünf verschiedenen HIV-Initiativen beteiligt. Allerdings hat auch er sich lange Zeit strategisch verhalten: „Als Aktivist muss man in Griechenland vorsichtig sein. Schwul und positiv ist so etwas wie eine Art Doppelbelastung. Also habe ich bisher das Positivsein heruntergespielt und das Schwulsein betont.“
Auf die Krise folgte die braune Gefahr
Schon seit den späten 70er-Jahren arbeitet er als Homo-Aktivist. Aktuell bereitet ihm der Rechtsrucks in der griechischen Politik große Kopfschmerzen — allen voran die „Goldene Morgenröte“, die bei den griechischen Parlamentswahlen im Juni 2012 immerhin 6,92% der Stimmen holte und mit 18 Sitzen in das Parlament einzog. Auf der Website der rechtsextremen Partei findet man folgende Sätze: „Homosexualität ist ein Zustand sozialer Degeneration. Natürliche Selektion, Sterilisierung und Euthanasie sind das Mittel der Wahl, in Kombination mit verantwortlicher medikamentöser Behandlung und Bioethik.“
Das Aufkommen der braunen Gefahr habe mit der politischen und finanziellen Krise des Landes zu tun. „Angesichts des Chaos, das die vorherigen Regierungen in Griechenland hinterlassen hatten, ist es für die extreme Rechte einfach, Phrasen aus dem antiken Sparta und der griechisch-orthodoxen Kirche aufzugreifen und sie den Verzweifelten zu verkaufen, die es einfach satt hatten“, analysiert er.
Die brenzlige politische Situation weckt immerhin hier und da auch den Kampfgeist der Community: „Inzwischen gibt es neben dem Pride in Athen auch zwei weitere: einen in Thessaloniki und einen auf Kreta“, so Vallianatos. Immer geht es dabei auch um die HIV-Politik.
Tausende wurden obdachlos
Die finanzielle und gesundheitliche Lage von Positiven ist in Griechenland trotz der Wirtschaftskrise nicht unbedingt die übelste. Neben der ärztlichen Versorgung bewilligt der Staat den Betroffenen bereits seit über 20 Jahren eine Rente von rund 700 Euro. „Allerdings machen die zuständigen Behörden die Bewilligung inzwischen schwieriger“, so Gregoris Vallianatos. „Heute bekommt man das Geld nur, wenn man bereits Medikamente nimmt.“
Die Zahl der HIV-Infektionen ist während der Krise signifikant gestiegen. Die WHO meldete sogar (fälschlicherweise), dass etwa die Hälfte der neuen HIV-Infektionen selbstverschuldet seien, damit „die Menschen Rentenzahlungen von 700 Euro pro Monat“ und schnelleren Zugang zu Drogensubstitutionsprogrammen erhielten. Später korrigierte sie sich und sprach von Einzelfällen. „Für manche scheint das ein einfacher Weg“, kommentiert Gregoris Vallianatos. „Ist es aber nicht.“
Ein großer Teil der Neuinfektionen betrifft das Heer der Obdachlosen. Etwa 20.000 sind allein in Athen durch die Auswirkungen der Krise auf der Straße gelandet. Wer kein Geld hat und mit Drogen in Kontakt kommt, hat oft keine Kraft mehr, nach einer frischen Spritze zu suchen, und teilt sich entweder eine Injektionsnadel oder bedient sich vom Bürgersteig.
Stigma HIV, Stigma schwul
Auch für Positive, die nicht obdachlos, sind, sind die Zustände alles andere als rosig. Weiterhin bleibt die Infektion ein Stigma. „Das griechische Berufungsgericht hat sogar die Entlassung aufgrund einer HIV-Infektion für rechtmäßig erklärt“, erzählt Vallianatos (wofür es vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gerügt wurde; Anm. d. Red.).
An anderer Front hat der streitbare Aktivist einen weiteren gerichtlichen Erfolg verbuchen können: Zusammen mit seinem langjährigen Lebenspartner Nikolaos Mylonas hat er beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg Klage gegen den griechischen Staat erhoben — und gewonnen: Zusammen mit anderen Klägern setzte er durch, dass die „eingetragene Partnerschaft“ in Griechenland auch gleichgeschlechtlichen Paaren offensteht. Ob und wann dieses Urteil in geltendes Recht übergeht, ist allerdings noch völlig offen.
Schon lange ist bekannt, dass er während seiner Studienzeit sein Taschengeld durch Escort-Dienste aufgebessert hat. Das war Anfang der 80er Jahre in London. „Es war eine tolle Erfahrung,“ erzählt Gregoris Vallianatos. „Ich habe ja selbst entschieden, mit wem ich mitgegangen bin. Man ist als Escort ja kein Sexsklave.“
Hinter jedem staatlichen Ausdruck steht die Kirche
Die vorerst letzte Überraschung bescherte Vallianatos der griechischen Öffentlichkeit Anfang Mai, als er seine Kandidatur für das Bürgermeisteramt zurückzog. „In 70 Tagen bin ich von keinem einzigen Fernsehsender angefragt worden, weder zu einem Interview noch zu einer Talk-Runde. Obwohl ich selbst seit 30 Jahren fürs Fernsehen arbeite, seit 20 Jahren meine eigene Talkshow habe. Diese Art Diskriminierung und Zensur kann ich als Aktivist nicht hinnehmen.“
Den Rückzug versteht er als deutlichen Protest gegen den Medienboykott. „Offensichtlich kann man in Griechenland zwar als offen Homosexueller öffentlich auftreten — aber nicht in der Mainstream-Politik. Das sagt eine Menge über die Toleranz in unserem Land aus.“ Er weist darauf hin, dass schon die Präambel der Verfassung mit den Worten „Im Namen der Heiligen, Wesensgleichen und Unteilbaren Dreifaltigkeit“ beginnt: „Rassismus und Homophobie sind in Griechenland konstitutionell bedingt, weil die Kirche hinter jedem staatlichen Ausdruck steht.“
* Der Text erschien zuerst in der Ausgabe Nr. 11 für den Sommer 2014 von M+ (www.m-maenner.de/plus), kostenlos zu lesen auf pocketmags.com. Wir danken Autor und Verlag für die Genehmigung zur Zweitveröffentlichung.