CIA? KGB? Sex mit Gorillas? Über den Ursprung von HIV sind einige „Theorien“ im Umlauf, die Justine Alford hier mal in aller Ruhe widerlegt*:
Jeder hat schon von HIV gehört. Laut Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und des Aids-Programms der Vereinten Nationen (UNAIDS) lebten Ende 2010 rund 34 Millionen Menschen mit HIV. Weltweit sterben jeden Tag etwa 6.000 Menschen an den Folgen der Infektion.
Das Virus selbst wurde erst vor einigen Jahrzehnten entdeckt [1983, Anm. d. Red.]. Doch wie fing das alles an? Wie kam HIV überhaupt zu uns Menschen und löste dann eine der verheerendsten Pandemien [länder-/kontinentübergreifende Epidemie] der Geschichte aus? Dieser Beitrag untersucht einige der wichtigsten Theorien, um einen Überblick über dieses komplexe, aber faszinierende Thema zu ermöglichen.
Was ist HIV?
HIV oder Humanes Immunschwäche-Virus ist der Auslöser von Aids (Acquired Immune Deficiency Syndrome/erworbenes Immunschwäche-Syndrom). Es gibt zwei Typen, HIV-1 und HIV-2. Weltweit am häufigsten ist HIV-1, HIV-2 kommt vor allem in Westafrika sowie in Ländern mit historischen Verbindungen in diese Gegend wie Frankreich und Portugal vor.
HIV-2 lässt sich in acht Untergruppen (A–H) unterteilen, wobei die Gruppe A weltweit am häufigsten vorkommt. Nur die Gruppen A und B können von Mensch zu Mensch übertragen werden, der Rest sind isolierte Fälle mit „Sackgassen“-Viren.
HIV-1 teilt sich in vier Gruppen auf: M, N, O und P. Viren der Gruppe M sind für die große Mehrheit der weltweiten Infektionen verantwortlich und werden noch einmal in neun verschiedene Untertypen unterteilt, die in verschiedenen Ländern unterschiedlich häufig vorkommen [siehe hierzu auch die Informationen auf Wikipedia; d. Red.].
Die HIV-Verschwörungstheorie
Die zwei wohl am häufigsten in den Raum geworfenen „Erklärungsansätze“, wie HIV zu uns Menschen kam, lauten: „Das war die Regierung“ oder „Das waren Menschen, die Sex mit Affen hatten“.
Ja, es gibt viele Verschwörungstheorien rund um HIV. So leugnen einige Menschen, dass HIV die Ursache von Aids ist, während wiederum andere behaupten, HIV sei von Menschen entwickelt worden: Laut einer Umfrage unter Afroamerikanern aus dem Jahr 2005 glaubten fast 50 Prozent der Befragten, das Virus stamme aus einem Labor, und viele vertraten sogar die Ansicht, es sei zur gezielten Kontrolle der schwarzen Bevölkerung oder der Homosexuellen entwickelt worden.
Es gibt aber absolut keinerlei Belege für diese Theorien – und jede Menge Belege dafür, dass sie absoluter Humbug sind. Einige der ersten dokumentierten HIV-Fälle stammen aus den späten 1950er-Jahren, und es wäre absurd zu behaupten, dass die Wissenschaft damals das Wissen oder die Technologie für den „Bau“ von Viren hatte. Die DNA-Struktur wurde erst 1953 entdeckt, das erste künstliche Bakteriengenom wurde vor gar nicht allzu langer Zeit geschaffen – Gleiches gilt für die Entwicklung eines künstlichen Virus. Eine solche Leistung setzt Know-how über genetische Manipulationen voraus, und dieses Know-how gab es damals noch nicht.
Dem HIV-Ursprung auf der Spur
Es gibt eine überwältigende Menge an Belegen dafür, dass HIV sich aus eng verwandten Viren entwickelt hat, die bei verschiedenen Primaten in Afrika verbreitet sind und auf den Menschen übertragen wurden.
Sieht man sich die Genome dieser Viren an, die man auch als Simiane Immunschwäche-Viren (SIV; simian [Engl.] = affenähnlich) bezeichnet, und vergleicht sie mit dem Erbgut verschiedener HIV-Typen, erkennt man, dass SIV und HIV eng verwandt sind. Außerdem gibt es geografische Übereinstimmungen zwischen SIV in verschiedenen Wirtstieren und verschiedenen HIV-Typen.
HIV-1 und HIV-2 haben unterschiedliche Ursprünge, da sie unabhängig voneinander auf Menschen übertragen wurden. Eng miteinander verwandte SIV-Typen fand man bei Rauchmangaben [einer Affenart] im westlichen Afrika, der einzigen Region, in der HIV-2 endemisch ist. Wissenschaftler schließen daraus, dass HIV-2 seinen Ursprung in SIV-infizierten Rauchmangaben hat.
Bei HIV-1 ist das ein wenig komplizierter, aber jede einzelne Hauptgruppe (M, N, O und P) geht auf ein einzelnes Übertragungsereignis zurück. Die Gruppen M und N konnten auf SIV-infizierte Schimpansen (Pan troglodytes troglodytes) zurückgeführt werden, während sich die engsten SIV-Verwandten der HIV-Gruppen O und P bei Gorillas fanden.
Wann kam HIV zu den Menschen?
Indem sie sich die Genom-Sequenzen verschiedener Viren im Zeitverlauf ansehen, können Forscher damit eine „molekulare Uhr“ eichen [siehe dazu auch den Eintrag auf Wikipedia], die auf der Mutationsrate basiert, und mit ihrer Hilfe dann die Evolutionsrate bestimmen. Auf diese Weise lässt sich ungefähr herausfinden, wann der jüngste gemeinsame „Vorfahr“ existierte.
Durch Anwendung dieser Technik gelangten Forscher zu der Einschätzung, dass die HIV-1-Gruppe M auf das Jahr 1908 und die Gruppe O auf das Jahr 1920 zurückzuführen ist. Die HIV-2-Gruppen A und B sind etwas jünger, sie entstanden ungefähr 1940 beziehungsweise 1945.
Und wie kam HIV zu uns?
Es gibt verschiedene Theorien, wie die Viren zu uns Menschen kamen. Manch einer findet offenbar die Vorstellung ganz reizvoll, dass Menschen mit Primaten Sex gehabt und sich dabei angesteckt haben könnten, aber das wird von keinem Experten ernst genommen. (Mit einem Gorilla? Wirklich?!)
Die einfachste Erklärung ist, dass Menschen Kontakt mit Blut oder Ausscheidungen von infizierten Primanten hatten. Das ist auch völlig plausibel, denn Rauchmangaben zum Beispiel wurden in Westafrika, der Region, in der HIV-2 am häufigsten vorkommt, als Haustiere gehalten und auch wegen ihres Fleischs geschlachtet. Und beim Schlachten kann es durchaus vorkommen, dass infizierte Körperflüssigkeiten durch Hautwunden in den Körper eindringen.
Angesichts der Tatsache, dass medizinische Utensilien teuer sind, ist es ebenfalls plausibel, dass bei Impfprogrammen in Afrika Spritzen und Nadeln mehrfach verwendet wurden – was den Viren vielfältige Möglichkeiten bot, sich in der Bevölkerung auszubreiten. Zusammen mit einer Zunahme des internationalen Reiseverkehrs, mit sexueller Promiskuität und mit intravenösem Drogengebrauch dürfte dies eine logische Erklärung für die Entstehung der HIV-Pandemie sein.
Eine andere Theorie besagt, dass Menschen sich über infizierte Impfstoffe für die Schluckimpfung gegen Kinderlähmung (Polio) mit HIV angesteckt haben. Der fragliche Impfstoff hieß CHAT, für seine Herstellung wurde lebendes Gewebe benötigt. Der Gedanke hinter dieser Theorie war, dass die Nierenzellen aus einer Produktionslinie von SIV-infizierten Schimpansen stammten und dass viele Menschen durch die Impfung mit SIV in Kontakt kamen. Allerdings lässt sich die Theorie nicht aufrechterhalten, denn nicht alle HIV-Gruppen stammen von Schimpansen, wie wir gesehen haben. Außerdem ist eine Übertragung über eine Schluckimpfung extrem unwahrscheinlich, denn intakte Mundschleimhaut ist eine ziemlich gute Barriere gegen Erreger. Und nicht zuletzt fanden Forscher, als sie Restbestände des eingesetzten Impfstoffs fanden und untersuchten, keine Spuren von HIV. Diese Theorie gilt deswegen als widerlegt.
Das Fazit
Wir können zwar nicht definitiv beweisen, woher HIV kam, aber wir können auf Grundlage der verfügbaren Forschungsergebnisse plausible Annahmen aufstellen. Und alle Ergebnisse deuten darauf hin, dass HIV von Primaten zu uns kam, nicht von der Regierung. Nichts gegen eine gute Verschwörungstheorie, aber hier will sie einfach nicht aufgehen.
Justine Alford ist seit 2014 Doktorin der Biowissenschaften (Warwick University). Sie beschäftigt sich vor allem mit den Themen HIV und Immunologie.
*Original: Where did HIV come from? von Justine Alford, am 16.07.2014 auf www.iflscience.com erschienen. URL: http://www.iflscience.com/health-and-medicine/where-did-hiv-come#bdltsHPZ8fkJTEme.99. Vielen Dank an die Autorin und an ilfscience.com für die Erlaubnis zur Übersetzung und Veröffentlichung! Übersetzung: Holger Sweers