HIV-PrEP: Warum spricht kaum jemand über die Frauen?

Auch in Deutschland wird mittlerweile breiter über die HIV-PrEP diskutiert (HIV-Negative nehmen HIV-Medikamente ein, um sich vor einer HIV-Infektion zu schützen). Frauenspezifische Fragen fallen dabei aber meist unter den Tisch.

Ähnlich war dies lange auch in den USA – dabei ist ein großer Teil der PrEP-Nutzer_innen weiblich. Im März 2012 aber fand sich eine Arbeitsgruppe aus Aktivistinnen und Interessierten zusammen, die eine gemeinsame Haltung zur PrEP entwickelten und im März 2013 ein Positionspapier dazu veröffentlichten (eine Übersetzung ins Deutsche findet sich auf magazin.hiv).

Zugang zur PrEP für Frauen sichern, um Benachteiligung nicht zu vertiefen

Mitautorin Anna Forbes weist in einem Beitrag auf rhrealitycheck.org darauf hin, dass die meisten Frauen in den USA benachteiligt würden. Es sei daher wichtig, diese Benachteiligung nicht noch weiter zu vertiefen – zum Beispiel dadurch, dass Frauen nichts über die PrEP erfahren, dass niemand ihre Fragen beantwortet, dass sie sich die PrEP nicht leisten können oder dass die Mitarbeiter_innen des Gesundheitssystems ihnen die PrEP nicht anbieten. „Wir können nicht zulassen, dass sich in der Regel nur reiche Männer mit erhöhtem HIV-Risiko die PrEP als Präventionsinstrument leisten können, nicht aber Frauen“, so Forbes.

Hinzu kommt: Die PrEP ist eines der wenigen HIV-Präventionsmittel, die Frauen selbst kontrollieren können. „Das Kondom für Männer und das Femidom sind wunderbare HIV-Präventionsoptionen für viele Frauen und ihre Partner“, zitiert Forbes die Wissenschaftlerin Eriko Aaron von der Drexel University School of Medicine. „Aber einige Frauen können nicht darauf bestehen, dass ihre Partner Kondome verwenden, und viele  Frauen mit HIV-positiven Partnern wollen Kinder bekommen. Diese Frauen brauchen andere Optionen zum Schutz vor HIV. Die PrEP kann ihnen dabei helfen, HIV-negativ zu bleiben. Wir haben die moralische Verpflichtung, Wege zu finden, wie wir sie den Frauen, die sie brauchen und die sie einsetzen können, zur Verfügung stellen.“

„Frauen benutzen keine Kondome – Männer benutzen sie“

Ähnlich sieht dies die in San Francisco lebende Journalistin Heather Boerner. In ihrem Beitrag „PrEPared to Fight: A Woman-Centered Approach to HIV Prevention“ vom Juni 2014 (sinngemäß etwa „Bereit zum Kampf: ein frauenzentrierter Ansatz der HIV-Prävention“) zitiert sie die Gynäkologin Dr. Gina Brown: Das große Interesse von Frauen an der PrEP sei auch ein Hinweis darauf, dass es ihnen bislang häufig an Möglichkeiten zur Kontrolle ihrer sexuellen Gesundheit fehle. Vor der PrEP habe man Frauen immer nur gesagt, sie sollten Kondome benutzen, so Brown. „Aber Frauen benutzen keine Kondome – Männer benutzen sie. Und selbst Femidome erfordern die Kooperation des Mannes.“

Auch Dr. Mina Matin, Chefin der Family HIV Clinic am San Francisco General Hospital, sieht einen breiten Nutzen der PrEP. So könne sie als zusätzlicher Schutz dienen, wenn sich die Viruslast des positiven Partners nicht unter die Nachweisgrenze senken lasse. Außerdem schütze sie, wenn die Infektion des Partners gerade erst diagnostiziert worden und seine Viruslast hoch sei. Die PrEP sei auch ein wichtiges Schutzinstrument, wenn sich der Partner nicht behandeln lassen wolle oder er eine Behandlung abgebrochen habe. Und nicht zuletzt könne die PrEP angezeigt sein, wenn eine Frau in einer festen Beziehung sich zum Beispiel frage, ob ihr Partner eine Affäre habe – und beim Sex tatsächlich Kondome verwende. Auch Matin verweist darauf, dass die Frau selbst die Kontrolle über dieses Instrument hat: „Sie kann selbst entscheiden, ob sie die PrEP nehmen muss, und sie kann die Medikamente einfach nehmen, ohne ihren Partner notwendigerweise in die Entscheidung einzubeziehen.“

Die PrEP ermöglicht auch mehr sexuellen Genuss

Das Wissen um diese Kontrollmöglichkeit kann erstaunliche Folgen haben, wie Boerner schreibt: „Frauen, die sich vorher darauf verlassen mussten, dass ihre Freunde oder Partner Kondome korrekt anwenden, können sich jetzt ein wenig mehr entspannen. Sie müssen nicht mehr Pillen-Polizei spielen und die Therapietreue ihrer Partner überwachen, die ja für sie der wichtigste Schutz vor einer Ansteckung ist.“

PrEP-Spezialistin Dr. Tony Mills aus Los Angeles bestätigt das: „Die PrEP ist ein erstaunlich wirkungsvolles Instrument, mit dem Frauen sexuelle Begegnungen wieder entspannt genießen können. Und das kann sie ihren Partnern wieder näherbringen, wenn die Angst vor HIV sie vorher von ihnen entfernt hat.“

Doch wie es mit dem Zugang von Frauen zur HIV-PrEP bestellt? Offenbar hapert es hier häufig: „Ärzte scheuen das Risiko“, so Dr. Mills. „Mit dem Konzept der Schadensminimierung haben sie Schwierigkeiten. Sie denken stattdessen: Warum sollte ich dazu beitragen, dass sie Risiken eingehen?“

„Ärzte scheuen das Risiko“

Diese Haltung sieht die von Boerner ztitierte Dr. Gina Brown auch als Folge der „Silo-Versorgung“, wie das im internationalen Diskurs heißt, also der Versorgung in voneinander getrennten, hoch spezialisierten Bereichen. „Zu Beginn haben wir HIV als etwas ganz Besonderes behandelt und sind das nie wieder losgeworden“, sagt sie. Heather Boerner fasst das so zusammen: HIV-Spezialist_innen sind mit Truvada vertraut, haben aber oft keine HIV-negativen Patient_innen. Und viele Ärzt_innen mit HIV-negativen Patient_innen kennen sich mit der PrEP nicht aus oder lehnen sie ab.

Dabei spiele auch das Stigma rund um HIV eine wichtige Rolle, so Boerner, die auf die Diskussion unter schwulen Männern und Begriffe wie „Truvada-Huren“ verweist. Der Vorwurf laute immer, die PrEP sei für einige Gruppen einfach nur die willkommene „Erlaubnis“, endlich ohne Kondome Sex haben zu können. Dies sei übrigens bei der Einführung der Anti-Baby-Pille ganz ähnlich gewesen, so Dr. Cohen – alles, was den Sex erleichtere, könne auch zu mehr Risikoverhalten führen, so der Gedanke.

Ermutigende Zeichen

Dass oft eher das Gegenteil der Fall ist, zeigt die Geschichte einer 38-jährigen Frau aus Guatemala, die Boerner in ihrem Beitrag wiedergibt. Die Frau war nach längerer Trennung zu ihrem bereits in den USA lebenden Mann gezogen, der sich dort mit HIV infiziert hatte. Sie wollte ein weiteres Kind von ihm und war sehr dankbar für die Möglichkeit, dank PrEP selbst HIV-negativ zu bleiben und ein HIV-negatives Baby zu bekommen. Doch als die Ärztin ihr mitteilte, sie müsse vorher einen HIV-Test machen, um eine bereits bestehende Infektion auszuschließen, brachte dies einiges bei ihr in Bewegung: Der Frau wurde klar, dass sie viel weniger Kontrolle über ihren eigenen Schutz hatte, als sie bis dahin dachte. So war ihr Mann bereits seit sechs Monaten nicht bei seinem HIV-Arzt gewesen und wusste nicht, ob seine Viruslast weiterhin unter der Nachweisgrenze lag, er also sexuell nicht ansteckend war. Die PrEP wurde von einem Instrument, um ein HIV-negatives Kind zu bekommen, zu einem Schutzinstrument für sie selbst.

HIV-PrEP und Frauen – auch wenn es noch zahlreiche ungeklärte Fragen gibt, etwa die der langfristigen Nebenwirkungen oder die Frage, ob Truvada auch bei Frauen mit Kinderwunsch, bei Schwangeren und bei stillenden Müttern sicher eingesetzt werden kann, sieht Autorin Boerner ermutigende Zeichen: Mitarbeiter_innen im US-amerikanischen Gesundheitssystem würden mittlerweile geschult, und man ermutige große Akteure, Frauen in den Situationen und an den Punkten, in denen sie mit dem Gesundheitssystem in Berührung kommen – ärztliche Behandlung, Familienplanungsberatungen und Einrichtungen, bei denen es um die sexuelle und reproduktive Gesundheit geht –, über die PrEP aufzuklären. Und nicht zuletzt, so Boerner, würden derzeit weitere Formen der PrEP erforscht, welche die Anwendung erleichtern und die Schutzwirkung unter Alltagsbedingungen erhöhen könnten, etwa Depotspritzen oder Vaginalringe.

Es bleibt spannend.

 

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