Karte auf Eis legen

Do, 23.04.2009 16:47 / Aus Berlin Nils Franke, änd

FDP und Linksfraktion einig mit Bündnis "Stoppt die eCard": Karte auf Eis legen

Die Kritik an der elektronischen Gesundheitskarte hat eine breite Allianz zusamengeschmiedet – jetzt auch über die Parlamentsflügel hinweg: FDP und Linksfraktion stimmten heute auf einer Konferenz des Bündnisses „Stoppt die eCard“ in Berlin darin überein, dass die Fortsetzung des Projekts verschoben werden müsse, solange die Freiwilligkeit der Nutzung und die Sicherheit der Daten nicht garantiert seien.

Die meisten Deutschen glaubten immer noch, da­ss sie nur eine neue Karte mit kleinem Foto darauf bekämen, sagte Silke Lüder vom Bündnis „Stoppt die eCard“. „Tatsächlich sind aber ihre Daten gar nicht auf der Karte, sondern auf einem zentraler Server.“ Was, wenn plötzlich Leute Zugriff bekommen und sie missbrauchten, die heute keine Möglichkeit dazu hätten. „Das vertrauensvolle Arzt-Patienten-Verhältnis ist immer noch der beste Schutz.“

Das Gesundheitsministerium verstoße gegen die eigene Verordnung, wenn die 100.000er Test nicht vor dem Rollout durchgeführt würden, sagten die gesundheitspolitischen Sprecher der FDP-Fraktion, Daniel Bahr, und der Linksfraktion, Frank Spieth. Gemeinsam warnten sie davor, dass durch den Rollout in Nordrhein Tatsachen geschaffen würden und Vorentscheidungen fielen, ohne dass wesentliche Voraussetzungen erfüllt seien.

„Wir wollen ein Moratorium“, stellte Bahr für die FDP klar, die bereits im Dezember dazu einen Antrag ins Parlament eingebracht hatte. „Es geht hier um die sensibelsten Daten der Patienten überhaupt. Da darf kein Missbrauch mit getrieben werden.“ Ein Problem seien auch die freiwilligen Anwendungen der Karte. Die Regierung habe nicht einmal überhaupt dargelegt, dass sich das Projekt rechne. Aber es sei abzusehen, dass dies nur über die sogenannten Mehrwertdienste gelingen könne. „Sollten die Bürger sie nicht nutzen, könnte politischer Druck entstehen, sie verpflichtend zu machen.“ Als es in den Testregionen zu Problemen mit der Pin-Eingabe gekommen sei, habe es sofort die Forderung aus dem Ministerium gegeben, auf die Pins zu verzichten, warnte Bahr.

Auch Spieth betonte, das gefährlich sei, was im technischen Umfeld der Karte folge. Er sei bei vielen Punkten mit Herrn Bahr. Das ganze System werde erheblich mehr kosten als von der Politik zurzeit geschildert. „Wir sagen kategorisch ‚Nein‘: Ein System mit Patientendaten darf nicht im Einflussbereich von wirtschaftlichen Interessen sein. Ohne Wenn und Aber, weil das zwangsläufig zu Missbrauch führen wird. Keine Elektronifizierung von Patientendaten, die mit Mehrwertdiensten für die Wirtschaft verbunden sind.“ Auch die Serverlösung, ob zentral oder dezentral, verursache ihm Bauchschmerzen, sagte Spieth. Es müsse auch die Alternative USB-Stick geprüft werden.

Die gemeinsame Linie von Linksfraktion und FDP sorgte kurzfristig zu reger Heiterkeit im gut besuchten Konferenzraum. Dass sie mit Anträgen die Einführung der Karte wirklich aufhalten könnten, da sei er skeptisch, sagte Spieth. „Vielleicht braucht es da doch den 27. September“, spielte er auf die Bundestagswahl an. Das höre sich ja fast so an, als wünsche er sich eine stärkere FDP im Bundestag, scherzte daraufhin Bahr. Spieth enthielt sich jedoch eines Kommentars und lachte nur.

Bahr zeigte sich überzeugt, dass die von der FDP initiierte und von Linksfraktion und Grünen unterstützte Anhörung im Bundestag zur eGK wichtig sei. Er zeigte sich froh, dass sich die FDP und Linksfraktion die Bälle zuspielten und auch die Grünen jetzt mehr Engagement in dem Thema zeigten. „Wir brauchen den Druck, damit hier keine Vorentscheidungen fallen. Ich glaube auch, dass ein Moratorium im Interesse der Befürworter der eGK ist.“ Er wolle sie mit ins Boot holen, denn könnten kein Interesse haben, solch ein Projekt durchzupeitschen, wenn die Akzeptanz fehle. Spieth ergänzte: „Der Gesetzgeber hat die gematik beauftragt, aber es wird überhaupt nicht reflektiert, was sie tut."

Die Freie Ärzteschaft forderte den Präsidenten der Bundesärztekammer, Prof. Hoppe, auf, sich beim Ärztetag für einen Stopp des Projektes einzusetzen. Den Ärzten nehme die Politik mit der eGK die Patientendaten aus den Händen, gab Präsident Martin Grauduszus zu bedenken. „Wir können das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient dann auch nicht mehr schützen.“ Die Ablehung unter den Ärzten sei daher sehr groß. „In Nordrhein haben von 15.000 Niedergelassenen 130 die Lesegeräte beantragt“, sagte er, „obwohl die Geräte verschenkt werden. Beziehungsweise man ködert die Arztpraxen sogar noch, indem man ihnen mehr bezahlt.“ Trotzdem wollten die Ärzte sie offensichtlich nicht.

Auch die Patientenverbände forderten eine weitere Diskussion über die Karte vor deren Einführung. Wolfram-Arnim Candidus, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Versicherte und Patienten, führte als negatives Beispiel den Hausarztvertrag in Baden-Württemberg zwischen AOK, Medi und Hausärzteverband an. Die Ärzte seien darin verpflichtet, automatisch die Daten an die AOK weiterzureichen. „Das sind erste Versuche der Unterwanderung. Wir finanzieren auch noch, was da passiert. Wir müssen diesen Moloch stoppen.“ Es wäre notwendig, dass Patienten und Behandler sich gemeinsam überlegten, wie Elektronik besser zur Effizienzsteigerung verwendet werden kann.

Peter Friemelt von der Bundesarbeitsgemeinschaft PatientInnenstellen erklärte, das Versprechen der Freiwilligkeit sei eine Farce. In der praktischen Anwendung werde ein Patient die Daten nicht einzelnen Leuten vorenthalten können, die Einsicht verlangten. Die Karte solle Doppeluntersuchungen verhindern und könnte so auch dem Patienten die Möglichkeit nehmen, eine Zweitmeinung einzuholen. Ein Patientenrechtegesetz sei notwendig.

Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung warnte vor den Schwachstellen der Technologie. Ein beträchtlicher Teil, die Stammdaten der Versicherten, solle dem Konzept nach gar nicht verschlüsselt werden. Die Gefahr des Missbrauchs sei aber noch viel ernster, sollte der Gesetzgeber die Verschlüsselung zugunsten zur Strafverfolgung oder Gefahrenabwehr aufheben. „Die derzeitige Regierung hat ja bereits mit der online-Überwachung im BKA-Gesetz, der Fluggastdatenübermittlung und Mautdaten gezeigt, dass sie nicht vor einer Auswertung von sensiblen Daten zurückschreckt. Die Regierung hat jedes Vertrauen verspielt“, sagte Kai-Uwe Steffens.

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