Keikawus Arastéh ist einer der führenden HIV-Spezialisten Deutschlands. Wir sprachen mit ihm über diskriminierende HIV-Tests bei Einstellungsuntersuchungen und die Situation HIV-positiver Mitarbeiter im Gesundheitswesen
Herr Arastéh, in vielen Gesundheitsberufen wird bei der Einstellungsuntersuchung ein HIV-Test verlangt. Wie ist die Praxis bei Ihnen am Klinikum?
Der HIV-Test ist bei uns keine Einstellungsvoraussetzung. Er wird aber zur Zweituntersuchung angeboten. Viele Kollegen nehmen das wahr. Sie wollen dokumentiert sehen, dass sie zu einem Stichtag HIV-negativ waren. Dann können sie diesen Status gegenüber der Berufshaftpflichtversicherung nachweisen, falls sie sich bei ihrer Arbeit anstecken sollten.
Lassen Sie sich auch im Hause testen?
Nein. Wenn ich mich auf HIV testen lasse, dann nicht bei der Arbeit, sondern privat. Ein positives Testergebnis hat bei uns zwar keine beruflichen Konsequenzen, aber ich empfehle jedem, den Sero-Status außerhalb des Berufsumfeldes zu klären.
Was spricht gegen den HIV-Test am Arbeitsplatz?
Ein HIV-Test sollte nicht mal eben eingeschoben werden. Das Problem ist, dass nicht alle Kollegen vom Medizinischen Dienst ausreichend geschult sind, eine verständnisvolle Aufklärung über Risiken und Nutzen des HIV-Testes zu gewährleisten. Es ist wichtig, dass der Getestete eine vernünftige Beratung bekommt, auch in Hinsicht auf die Arbeitssicherheit in medizinischen Berufen. Das erfordert ein gewisses Know-how. Der Betriebsarzt sollte auch wissen, wo er sich im Zweifel fachlichen Rat holt. Außerdem sollte sich der Getestete im Vorfeld darüber klar sein, welche Konsequenzen so ein HIV-Test in beiden Fällen – positiv oder negativ – haben kann. Da geht es ja nicht um Natrium, Kalium und Harnstoff.
Sehen Sie Arbeitsbereiche, wo HIV-Positive grundsätzlich nicht arbeiten sollten?
Ein HIV-Positiver, der sich behandeln lässt, kann überall arbeiten. Die Viruslast ist dann so gering, dass eine Infektion unmöglich ist. Eine Infektionsmöglichkeit besteht nur bei hoher Viruslast und auch dann nur bei stark invasiven chirurgischen Eingriffen, bei denen die Verletzungsgefahr des eigenen Leibes erhöht ist. Dann kann es zum Austausch von Körperflüssigkeiten kommen. Diese Situation ist sensibel, sie gilt es zu vermeiden.
Ein positives Testergebnis hat für Angestellte in Gesundheitsberufen oft gravierende Konsequenzen bis hin zur Entlassung …
… wie in dem Fall eines pharmazeutischen Assistenten aus Berlin. Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass er als HIV-Positiver vom Allgemeinen Gesetz zur Gleichbehandlung geschützt war, weil HIV im Sinne dieses Gesetzes eine Behinderung ist. Darauf können sich aber Menschen mit HIV noch nicht immer verlassen. Aus meiner Sicht ist es skandalös, dass Arbeitgeber Menschen mit medizinisch unsinnigen Vorschriften ausgrenzen können – die müssen erst bis vors höchste Gericht gehen, um ihr Recht zu bekommen.
Sind Kündigungen von HIV-Positiven medizinisch gerechtfertigt?
Nein, zu keiner Zeit. Medizinisch ist das absurd. Derzeit blüht überall wieder dieser Kontrollwahn auf. In manchen Bundesländern wollen die Ärztekammern Zwangstestungen salonfähig machen: Bereits vorhandene Blutproben sollen gegen ausdrücklichen Patienten-Wunsch auf HIV getestet werden dürfen, zum Beispiel wenn sich ein Arzt mit einer Nadel gestochen hat. Die Ethikkommission der Bundesärztekammer hat dieses Ansinnen – nach ausdrücklichem Rat der Experten sowie der Deutschen AIDS-Gesellschaft – verworfen.
Was spricht dagegen?
Einige Kollegen behaupten, sie müssten wissen, ob ein Patient HIV-positiv ist oder nicht. In dieser Situation wird routinemäßig vor jeder OP ein HIV-Test gemacht. Das ist selten dämlich. Liegt die HIV-Infektion erst drei bis sechs Wochen zurück, fällt der HIV-Test negativ aus. Er kann also nur Auskunft über den Sero-Status vor etwa einem Monat geben. Wieso sollte ich meine Schutzmaßnahmen von einem solchem Testergebnis abhängig machen? Das macht keinen Sinn. Das Fachpersonal sollte immer so agieren, als sei der Patient HIV- oder Hepatitis-C-positiv. Die gängigen Hygienestandards reichen vollkommen aus.
Wieso bestehen manche trotzdem auf den HIV-Test, sogar bei Kollegen?
Das ist Ideologie. Da rührt sich eine Vorstellung, die nie ganz weg war. Früher dachte ich, dass wir hier in Deutschland ein besonderes Erfolgsmodell entwickelt haben, um mit dem Problem HIV umzugehen – ein Exportschlager wie Mercedes-Benz. Diese erfolgreiche Präventionspolitik steht derzeit wieder in Frage, spätestens seit dem Umgang mit der Sängerin Nadja Benaissa. Sie wurde nach einem Konzertauftritt in aller Öffentlichkeit verhaftet und am Ende mit Verweis auf eine HIV-Infektion verurteilt. Dabei waren auch bei dieser HIV-Infektion zwei Personen beteiligt. Die Solidarität mit HIV-Positiven ist weggebrochen. Heute gilt: Der HIV-Negative genießt Sex und Rock’n’Roll, und der HIV-Positive muss die Aufklärung und Prävention leisten. Viele glauben inzwischen, dass HIV allein ein Problem von Drogen-Gebrauchern und Schwulen ist. Alle anderen haben eine freie Spielwiese – sofern kein Fremder in den Garten einbricht. Aber dann wollen sie Polizei und Gesetze auf ihrer Seite haben.
Wo ist der Einsatz von HIV-Tests sinnvoll?
Der HIV-Test ist sinnvoll, um die Situation des getesteten Menschen einzuschätzen. Ist er HIV-positiv, sollte er sich regelmäßig untersuchen und – sobald erforderlich – behandeln lassen. Das ist erst einmal der Sinn des Testes! Dann betrifft die Diagnose natürlich auch den Umgang mit anderen Menschen. Im Krankenhaus oder in der Praxis geht es zum Beispiel um Stichverletzungen. Die werden durch bessere Schutzmaßnahmen immer seltener in Deutschland
Angenommen, es kommt dennoch zu einer Stichverletzung …
…dann will man natürlich wissen: Enthält das Blut übertragbare Viren, zum Beispiel Hepatitis C oder HIV? Bei HIV kann eine Post-Expositions-Prophylaxe, kurz PEP, die Infektionsgefahr deutlich senken. Das Zeitfenster ist sehr eng. Der Arzt muss binnen Stunden entscheiden: Ist eine PEP notwendig oder nicht? Aber in der Regel kennt der Patient ja seinen Sero-Status. Falls nicht, sollte es durchaus möglich sein, von ihm die Einwilligung zu einem HIV-Test zu bekommen. Es handelt sich ja um Personen, die sich dem medizinischen Fachpersonal anvertraut haben. Ich wüsste keinen Fall, wo ein HIV-Test ohne Zustimmung des Patienten notwendig ist. Im begründeten Zweifelsfall tendieren fast alle Behandler eher zu einer prophylaktischen Gabe.
Die Befürworter von Zwangstestungen verweisen oft auf Arbeitsunfälle von Rettungssanitätern, zum Beispiel im Umgang mit Menschen, die intravenös Drogen gebrauchen.
Hier liegt die Entscheidung über eine PEP im Ermessenspielraum des behandelnden Arztes. In der Regel würde ich auf reinen Verdacht hin keine PEP empfehlen. Ist der Betroffene panisch, dann würde ich zur Überbrückung eine PEP verschreiben. Meist lässt sich der Sero-Status nach einigen Tagen klären, dann kann man die PEP wieder absetzen. In jedem Fall sollte Rat eingeholt werden von infektiologisch tätigen Kollegen, die sich mit HIV auskennen.
Gibt es bei Ihnen im Team Vorbehalte im Umgang mit HIV-positiven Kollegen?
Nein, das habe ich hier noch nie erlebt. Das Vivantes August-Viktoria-Klinikum ist aber eine besondere Umgebung: Hier ist HIV völlig normal. Außerhalb ist HIV aber oft noch eine Besonderheit, vor der auch Fachleute Angst haben, weil sie wenig darüber wissen. Es ist oft schwierig, das hohe Fachwissen bei allen Beschäftigten zu garantieren.
Wie kann im Klinikalltag mehr Wissen über HIV geschaffen werden?
Es bedarf regelmäßiger Schulungen. Die finden auch statt, aber das Thema HIV wird da eher schlecht als recht behandelt. Ich kann aus meiner Erfahrung empfehlen: Möglichst wenig Powerpoint, lieber persönlich mit den Menschen sprechen, dann bleibt mehr hängen.
Wie offen sollte ein HIV-positiver Mitarbeiter im Gesundheitsbereich mit seiner Infektion umgehen?
Davon rate ich grundsätzlich ab. Es gibt ja Menschen, die sich entlasten wollen, indem sie möglichst viele in Kenntnis setzen. Das ist gefährlich, denn am Ende ist viel zerschlagen und lässt sich nicht mehr kitten. Man erzählt ja auch nicht jedem, dass man eine Syphilis hat – eine Krankheit mit einem ähnlich hohen Stigma wie HIV. Die Menschen, die es betrifft, sind von ihrer Infektion ja meist nicht mehr in ihrer Arbeit eingeschränkt. Insofern besteht auch kein Erklärungsbedarf. Mein Rat ist klar: Im Arbeitsumfeld sollte das Outing der Diagnose wohlüberlegt sein!
Schadet es dem Image einer Klinik, wenn die Patienten erfahren, dass dort auch Fachkräfte mit HIV arbeiten?
Mir ist kein Fall bekannt. Früher hatten Patienten und Angehörige gelegentlich die Sorge, sie könnten sich auf der gemeinsamen Toilette infizieren und verlangten ein anderes Zimmer. Dann haben wir die Patienten getrennt. Aber diese Beschwerden sind äußerst selten geworden.
Priv.-Doz. Dr. Keikawus Arastéh ist Klinik-Direktor am Vivantes Auguste-Viktoria-Klinikum Berlin und Chefarzt für Innere Medizin, Infektiologie und Gastroenterologie. Arastéh ist ausgewiesener HIV-Spezialist, unter anderem ist er Mitautor der Deutsch-Österreichischen Leitlinien zur antiretroviralen Therapie der HIV-Infektion.