Botox – Migräne und die Pharmawerbung

Oder: “Die schöne Welt der Kopfschmerzen”

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Leiden Sie an Migräne oder anderen Formen von Kopfschmerzen? Bevor Sie jetzt sagen: “Nein.”, passen Sie auf, denn diese Art der “Werbespiele” werden in der Medizin aller Orten gespielt.

Und dieser “Werbeakt” der US-Firma Allergan könnte einem tatsächlich Kopfzerbrechen bescheren. Die Firma Allergan ist bekannt durch Botox. Botox ist quasi ein Sammelbegriff für eine Reihe von verwandten Proteinen, die allesamt neurotoxische (=giftige) Wirkung besitzen. Diese Proteine werden von verschiedenen Stämmen von Clostridien produziert, wie Clostridium botulinum, Clostridium butyricum, Clostridium baratii und Clostridium argentinense. Die toxischen Proteine hemmen die Signalübertragung in den Nervenzellen, was bei ausreichend hoher Dosis bis hin zu einer Atemlähmung und damit verbunden den Tod führen kann. Die toxische Potenz dieser Proteine ist so hoch, dass nur 3 Nanogramm pro Kilogramm inhaliert tödlich sind. Das Clostridium botulinum ist bekannt als ein gefürchteter Verursacher von Lebensmittelvergiftungen (Botulismus).

Diese Substanz, die jährlich in Deutschland rund 40 Menschen vergiftet, wovon 2 Fälle tödlich enden, wird auf Plakaten und im Internet als Lösung aller “Kopfschmerzprobleme” angepriesen. Selbstverständlich wird niemand von Ihnen verlangen, verdorbenes Fleisch zu essen, um an dieses edle Gift zu gelangen. Vielmehr treten die Zauberer im weißen Gewand auf und spritzen eben jenes Gift geschickt in bestimmte Zonen an Kopf und Körper und schwuppdiwupp (du hast es noch nicht bemerkt), sind die Kopfschmerzen weg.

Giftige Botox-Medizin-Märchen

Die Süddeutsche-Zeitung wunderte sich 2014 bereits ebenfalls, warum ein derartiges Gift jetzt die Heilsbotschaft für Migräne Geplagte sein soll? Und sie wunderte sich auch über die Bemühungen der Firma Allergan, dieses Gift großflächig über Deutschland zu verbreiten.

Aber die Studienlage scheint eindeutig zu sein: Wo Botox früher „nur“ gegen häßliche Falten bei Schönheits- und Jugendhaftigkeitsfanatikern eingesetzt wurde, musste wohl eine neue Indikation her. Und da eignet sich die Migräne besonders gut, da es sich hier um eine nicht seltene Plage in deutschen Landen handelt. Dementsprechend günstig sieht die Bestätigung durch einschlägige Studien aus. Eine Arbeit aus dem Jahr 2004 (Botulinum toxin A for chronic daily headache: a randomized, placebo-controlled, parallel design study) konnte mit 60 Patienten eine Verbesserung der Häufigkeit von Migräne beobachten, die aber nicht signifikant im Vergleich zu Plazebo ausfiel. Erst eine Verdoppelung der Injektionen mit Botox brachte die heiß ersehnte Signifikanz. Keine Frage, dass das alles von den „Versuchskaninchen“ bestens ertragen wurde.

Injecting under pressure: the pain of low CSF pressure headache responsive to botulinum toxin injections beweist anhand eines einzigen Patienten, dass Botox eine effektive Behandlungsmethode für Migräne ist.

OnabotulinumtoxinA for treatment of chronic migraine: pooled results from the double-blind, randomized, placebo-controlled phases of the PREEMPT clinical program. Diese Arbeit ist der „heile Gral“ für die Botox-Jünger unter den Migräne-Medizinern. Denn diese Arbeit beweist an 1384 Patienten, dass Botox hilft und gut vertragen wird. Und weil die Arbeit aus dem Jahr 2010 so schöne Ergebnisse abgeliefert hatte, wurde sie ein Jahr später gleich nochmals als „Follow-up“ veröffentlicht: OnabotulinumtoxinA for treatment of chronic migraine: pooled analyses of the 56-week PREEMPT clinical program.

Eine Studie aus dem Jahr 2013 (Botulinum toxin type a therapy in migraine: preclinical and clinical trials.) stellte fest, dass Botox in Akupunkturpunkte appliziert viel bessere Ergebnisse brachte als an den sonst üblichen Applikationspunkten.

Nur eine Arbeit setzt sich mit dem Phänomen auseinander, dass das Gift selbst auch Kopfschmerzen auslösen kann: Can the Immunological Response to Botulinum Toxin Trigger Headaches?

Fazit der Studienlage ist, dass Botox bekömmlich und sehr wirksam ist – gegen Falten und die damit verbundenen und nicht verbundenen Kopfschmerzen. Mit diesem Arsenal an Argumenten in der Tasche schreit es doch förmlich nach der Notwendigkeit einer Missionierung der deutschen Kopfschmerzlandschaft mit der amerikanischen Erfindung. Und das Resultat dieses Missionierungswillens ist eine eigene Webseite (chronischemigraene.de) und Plakatwerbung im mehr oder weniger großem Stil.

Wenn man bedenkt, dass man mit Gift wie Botox 2 Milliarden Dollar umsetzen kann, so geschehen 2013 durch Allergan, und das alleine nur für beziehungsweise gegen die Falten im Gesicht, dann lässt sich schnell nachvollziehen, dass man das Gift gegen Kopfschmerzen noch gewinnbringender verkaufen kann. Kein Wunder also, wenn hier die Werbetrommel gerührt wird.

Aber – ist medizinische Werbung in Deutschland nicht verboten? Ja, eigentlich schon. Aber auch hier gibt es gegenläufige Tendenzen, die uns in Richtung USA schwemmen. In meinen Beiträgen zum Thema Pharmawerbung wahr gemacht und Pillen fürs Leben? habe ich über diverse Methoden bereits berichtet. Aber noch ist es nicht (ganz) so weit.

Daher ist zum Beispiel die Webseite der Firma Pharm-Allergan GmbH (chronischemigraene.de) besonders geschickt aufgemacht und vermittelt den Eindruck einer Selbsthilfegruppe: “Eine Initiative für Menschen mit Chronischer Migräne”, so heißt es im Logo auf jeder Seite der Internetpräsenz.

Hier wird auch nicht das eigentliche Produkt, Botox, direkt und über den grünen Klee lobend angepriesen. Vielmehr werden eine Reihe von „Therapiemöglichkeiten“ aufgelistet, unter denen natürlich das Gift steckt. Alles in Allem, so die Süddeutsche, ist die „Webseite sehr geschickt aufgemacht, laut Bremer Medizinrechtler Benedikt Buchner. (Und) Die Firma habe alle Graubereiche umschifft, so dass sie juristisch kaum angreifbar sei“.

Immerhin: Ein Blick ins Impressum der Webseite gibt wenigstens den Betreiber korrekt an: Pharm-Allergan GmbH. Ich kann allen Leserinnen und Lesern sowie nur dazu raten, sich immer genau anzusehen, auf welcher Webseite man sich befindet und wer diese betreibt. Viel zu oft verstecken sich auch und gerade hinter Medizin-Webseiten irgendwelche “Marketing-Firmen” deren (direkte) Ziele völlig undurchsichtig sind. Lesen Sie hierzu meinen Beitrag im Yamedo-Forum: “Angeblich neutrale Diät-Tests und Abnehmmittel“. Eines der Hauptprobleme heute: Die Webseiten sind so gut “gemacht”, dass man erst einmal gar nicht merkt, welche Absicht dahinter steckt.

Laut Aussage von Christiane Fischer von der Ärzte-Initiative Mezis (Mein Essen zahl ich selbst – Initiative unbestechlicher Ärztinnen und Ärzte) handelt es sich bei der Aktion rund um die Botox-Migräne-Sache (chronischemigraene.de), um eine gezielte Kampagne, die „ganz klar neue Patienten für dieses Krankheitsbild generieren“ soll. Denn mit dem Lesen der Webseite und Plakate wird der Patient animiert, nach einer Botox-Therapie zu verlangen, auch wenn seine / ihre Kopfschmerzen mit Migräne nichts zu tun haben.

Dieses war der erste Streich, doch der Zweite folgt sogleich…

Ohne Max kein Moritz und umgekehrt. Und ohne die gewogene Ärzteschaft ist die Pharmaindustrie ebenfalls überflüssig. So auch hier. Denn auf der eben erwähnten Migräne-Webseite kann ein Betroffener schnell und unkompliziert nach dem Arzt seiner Wahl und Standort suchen, der sich mit Migräne und Botox auskennt. Eine interaktive Karte mit anklickbaren Punkten, hinter denen sich Botox-Arztpraxen verbergen, macht die Suche zum reinen Kinderspiel (chronischemigraene.de/arztsuche/).

Der oberste Botox-Arzt ist ein gewisser Hartmut Göbel, Chefarzt der Schmerzklinik in Kiel. Die Schmerzklinik Kiel liegt von meiner Praxis aus gesehen quasi um die Ecke. Prof. Dr. Göbel ist mir daher natürlich bekannt. Er ist nicht nur Chefarzt, sondern auch Wissenschaftler, der seine positive Meinung zu Botox im Wissenschaftsgewand vorträgt: Botulinum toxin type A in the prophylactic treatment of chronic migraine. In dieser „wissenschaftlichen“ Abhandlung vergisst er nicht zu erwähnen, dass sein heiß geliebtes Botox mit ®-Zeichen in England schon für die prophylaktische Behandlung von chronischer Migräne zugelassen ist. Und natürlich dass ein Zulassungsverfahren in Deutschland in der Mache ist (Stand 2011 – kurz danach wurde Botox für Erwachsene mit chronischer Migräne zugelassen). Da freute sich aber der Hersteller. Denn solche Hinweise sind elementarer Bestandteil einer wissenschaftlichen Veröffentlichung und gelten in der Schulmedizin als evidenzbasiert. Denn es wird immerhin evidenzbasiert um eine Zulassung gebeten. Das ist doch wirklich TOLL!

Aber nicht nur die wissenschaftliche Methode kann Dr. Göbel. In der Allergan-Migräne-Hilfe-Webseite (chronischemigraene.de) tritt er auch als „Experte“ auf – ohne finanzielle Zuwendungen seitens der Herstellerfirma, wie Herr Professor beteuert. Laut Bericht der Süddeutsche jedoch, bekommt er für “andersartige Leistungen” Honorare von der Firma. Oder mit anderen Worten: Kein Honorar für die Botox-Werbung, aber ein Honorar für die Werbung für die Botox-Werbung.

Aber warum muss es Werbung geben, wenn Botox wirklich der „Hammer“ wäre. Obwohl viele Studien überzeugende Ergebnisse abgeliefert haben, wird die Wirksamkeit in anderen Kreisen als nicht so heroisch angesehen. Die BfArM hatte die Zulassung kontrovers diskutiert, Stiftung Warentest (Botox: Kaum hilfreich gegen Kopfschmerzen) meint, dass Botox nur ansatzweise hilft und das Arznei-Telegramm findet noch deutlichere Worte. Für den Herausgeber Wolfgang Becker-Brüser ist Botox bei Migräne vollkommen „überflüssig, da es schlecht untersucht ist und zu viele Risiken hat“.

Und bei der ganzen Sache ist der Preis für eine Behandlung mit knapp 800 Euro noch gar nicht zur Sprache gekommen. Kein Wunder also, wenn die Werbetrommel gerührt wird – bei den Preisen…

Allergan und Arzt – dieses war der zweite Streich, doch der Beste folgt sogleich…

Wie Max und Moritz sich die von ihnen „erlegten“ Hühnchen als Belohnung für ihre Schandtaten aus der Pfanne von Witwe Bolte holen, so holen sich die Botox-Ärzte ihre Pfründe aus den Kassen der Witwe Allergan. Und das sind nicht wenige, wenn man der „Kopf-frei-fürs-Leben“ Webseite glauben darf. Rund 200 Ärzte werden hier von der Webseite über die Suchfunktion “beworben”. Aber keiner will von Allergan Vergütungen bekommen haben. Dabei ist alleine die Existenz der weiter oben beschriebenen „Mezis“ der Beweis, wie anfällig die werte Ärzteschaft für die Zuwendungen der Pharmaindustrie ist (Ratiopharm: Verurteilt wegen Bestechlichkeit).

Allergan zahlt in den USA, wo die Zuwendungen veröffentlicht werden müssen, Tausende von Dollars an Ärzte, die auf ihrer Gehaltsliste stehen. Da kommen dann schon mal „Beraterverträge“ zustande, die mit rund 50.000 Dollar vergütet werden. Das ist eine Menge Geld für eine Menge Gift, die der angeheuerte Arzt dafür verspritzen muss. Oder für die Werbung für den Gifteinsatz. Und warum zahlt die Firma mehr oder wenig großzügig ihre Partner an der medizinischen Front? Weil diese am Hungertuch nagen und die Firma Erbarmen zeigt? Oder weil auch das, neben Plakatwerbung, Internetpräsenz und so weiter, Teil des Vorgehens ist, das sich „Market Creation“ zum Ziel gesetzt hat. Diese Erklärung gab der Europachef von Allergan, Paul Navarre, in einem Interview mit der FAZ ab. Neue Märkte für Botox und mehr Umsatz als nur die weiter oben erwähnten lächerlichen 2 Milliarden Dollar gegen die Gesichtsfalten sind das große Ziel. Eine durch die BfArM abgesegnete Indikationserweiterung bildet die Grundlage.

Fazit

Wieder mal etwas Neues, was nichts Neues ist. Alles erfolgt über die bekannten Mechanismen und Vorgehensweisen. Geld und andere Zuwendungen machen Mediziner evidenzbasiert zu willigen Vollstreckungsgehilfen der Pharmaindustrie. Und es ist kein Ende in Sicht. Und wenn ich dann überlege, was man mit 800.-€ in Bezug auf eine naturheilkundliche Therapie machen könnte? Wenn man da keine botoxresistenten Kopfschmerzen bekommt…

Dieser Beitrag Botox – Migräne und die Pharmawerbung wurde erstmalig von Heilpraktiker René Gräber auf NaturHeilt.com Blog veröffentlicht.