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Tiaprid
Ich habe seit mindestens zwei Jahren den festen Vorsatz, mal einen post über Tiaprid zu schreiben. Es gibt eine weit verbreitete Unsicherheit, was man sich von Tiaprid so erwarten darf. Gerade habe ich eine email von Simone aus der Kinder- und Jugendpsychiatrie erhalten, die schreibt:
Wir verwenden Tiaprid in der KJP bei Ticstörungen, ich bin aber bisher nicht so richtig überzeugt davon. Laut Leitlinie ist es aber Mittel der 1. Wahl.
Ich habe daher mal eine typische Recherche begonnen, und aus der deutschen Wikipedia, der englischen Wikipedia, der Packungsbeilage, der Fachinfo und den Beschreibungen im Buch „Praktische Psychopharmakotherapie“ von Laux meine persönliche Zusammenfassung extrahiert:
Zusammenfassung
Tiaprid ist ein Antihyperkinetikum, das bei Tardiven Dyskinesien, Tics und Überbeweglichkeiten bei Chorea-Huntington eingesetzt wird. Darüber hinaus dämpft es verlässlich die vegetative Entzugssymptomatik im Alkoholentzug. Es gilt als nebenwirkungsarm. Obwohl es chemisch und pharmakologisch zu den typischen Neuroleptika zählt, hat es praktisch keine antipsychotische Wirkung.
Pharmakologie
Tiapridex gehört chemisch zu den Benzamiden wie Sulpirid und Amisulprid. Es blockiert selektiv die Dopamin-D2 und Dopamin D3-Rezeptoren. Es hat keine wesentliche anticholinerge oder antihistaminerge Wirkung, daher sediert es kaum.
In typischen Dosierungen wirkt es vorwiegend im Limbischen Systems und weit weniger im Striatum. Da die typischen EPMS als Folge der Dopaminblockade im Striatum auftreten, hat Tiaprid, das hier wenig aktiv ist, diese Nebenwirkung weit seltener und kann daher auch zur Therapie von Bewegungsstörungen eingesetzt werden.
Seine Plasmahalbwertzeit beträgt 2,9-3,6 Stunden. Es wird nicht über die Leber metabolisiert, so dass es auch bei Patienten mit Leberfunktionsstörungen sicher eingesetzt werden kann.
Klinischer Einsatz
- Tardive Dyskinesien: Hierfür ist Tiaprid offiziell zugelassen. Tardive Dyskinesien vor allem im Mundbereich können sehr hartnäckig sein. Sie können als Folge des längeren Einsatzes typischer Neuroleptika entstehen. Selbst nach vollständigem Absetzen der Neuroleptika können bei manchen Patienten Residuen dieser Dyskinesien verbleiben. Tiaprid kann diese Symptome reduzieren. Die empfohlene Dosis bei Erwachsenen beträgt laut Fachinfo 100-100-100 bis 200-200-200 mg. Eine Wirkung ist etwa nach sechs Wochen zu erwarten.
- Bewegungsstörungen im Rahmen einer Chorea-Huntington: Tiaprid wird hier gegen die wurmartigen Überbewegungen gegeben. In dieser Indikation werden 100-100-100 mg bis zu 200-200-200-200-200 mg empfohlen.
- Im Alkoholentzug: Hierfür gibt es keine offizielle Indikation, aber Tiaprid wird sehr häufig gegen die vegetativen Symptome im Alkoholentzug gegeben. Es hilft beispielsweise gegen die Unruhe, Rastlosigkeit, das Schwitzen und die Tachykardie im Entzug. Typisch ist die Kombination mit Carbamazepin, wie zum Beispiel beim Bernburg-Schema. Tiaprid kann auch intramuskulär oder intravenös verabreicht werden, was zu einer zügigen Linderung vegetativer Entzugsbeschwerden führt.
- Motorische und vokale Tics beim Tourette-Syndrom: In dieser Indikation sei es laut Leitlinie Therapie der ersten Wahl.
- Extrapyramidale Bewegungsstörungen: Da Tiaprid relativ wenig im Striatum bindet, verursacht es selbst kaum EPMS, eignet sich aber zur Therapie mancher Symptome, der Literatur nach durch eine Blockierung übermäßig sensitiver Dopaminrezeptoren.
- Zur Therapie von Agitation und Aggressivität: Hierfür ist es besonders gut geeignet, da es vornehmlich im limbischen System wirkt.
Nebenwirkungen
- Tiaprid kann die QTc-Zeit verlängern. Entsprechende EKG-Kontrollen und Vorsichtsmaßnahmen sind daher erforderlich.
- Wie alle Dopaminantagonisten kann Tiaprid eine Hyperprolaktinämie verursachen, weswegen es von einigen Autoren nicht für die Verwendung bei Kindern und Jugendlichen empfohlen wird.
- Der FDA wurden Fälle von Rhabdomyolyse gemeldet.
Mein persönliches Fazit
In typischen Dosierungen blockiert Tiaprid bevorzugt im limbischen System Dopamin-D2 und Dopamin-D3 Rezeptoren. Das Striatum, das mit Bewegungsstörungen assoziiert ist, lässt es vergleichsweise in Ruhe.
Ich verwende Tiaprid gerne in Kombination mit Carbamazepin im Alkoholentzug. Bei tardiven Dyskinesien, Tics und Überbeweglichkeit bei Chorea-Huntington hat es ebenfalls einen fest etablierten Platz.
Lediglich zur Behandlung von EPMS habe ich selbst keine überzeugenden eigenen Erfahrungen gemacht. Wenn ein Patient unter erheblichen EPMS leidet, sollte man meiner Meinung nach immer einen Weg finden, das verursachende Neuroleptikum in der Dosis zu reduzieren oder umzustellen.
Eure Erfahrungen?
Welche Erfahrungen habt ihr mit Tiaprid gemacht? Wann setzt ihr (Behandler) es ein, wie hat es euch (Behandelten) geholfen? Schreibt eure Beobachtungen in die Kommentare!
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