Nicht nur seit dem Volksbeschluss der Schweiz gibt die Überlegung einer Einheits-Krankenversicherung wieder Anlass zur Diskussion in der deutschen Gesundheitspolitik. Die Schweizer Bevölkerung hat sich gegen eine Einheitsversicherung ausgesprochen, in Deutschland geht die Debatte weiter.
Erst im Dezember hat Bundesminister Gröhe betont, zum dualen Modell – also dem Nebeneinander von Gesetzlicher Krankenversicherung (GKV) und Privater Krankenversicherung (PKV) – zu stehen.
Das Young Lions Gesundheitsparlament hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Zukunft der Gesundheitspolitik und -wirtschaft mitzugestalten. Dazu werden in den Ausschüssen Wettbewerb, Demografie, Öffentlichkeit, Organisation und Dringende Probleme die jeweiligen festgelegten Themen diskutiert und ausgearbeitet. Und auch darüber hinaus diskutieren die Parlamentarier über aktuelle Gesundheitsthemen:
Passend zur Diskussion um Einheitsversicherung im Sinne einer Bürgerversicherung oder dualem Modell stellten sich die Parlamentarier daher die Frage: „Abschaffung der PKVen – Einheitsversicherung als Modell der Zukunft?“. Das Ergebnis der Abstimmung war denkbar knapp.
Ausgangsstatement
Bis heute ist das deutsche Gesundheitswesen durch eine klare Linie zwischen der Gesetzlichen Krankenversicherung und Privaten Krankenversicherung gekennzeichnet. Insgesamt versichern rund elf Prozent der Bevölkerung (ca. 9 Mio. Versicherte) ihr individuelles Risiko privat in etwa 42 Versicherungen. Somit weist kein anderes Gesundheitssystem in Europa einen derart großen Sektor für die private Vollversicherung auf. Diese haben dem Solidarprinzip den Rücken zugewandt, obwohl sie über höhere Einkommen als der GKV-Durchschnitt verfügen und im Durchschnitt ein geringeres Risiko aufweisen – aus Perspektive der PKV-Versicherten allerdings durchaus nachvollziehbar.
Gesundheitspolitisch wurde viel über die Konvergenz der beiden Systeme, also auch einer Besonderheit des deutschen Gesundheitssystems diskutiert. Aber hat das in Deutschland einzigartige duale Krankenversicherungssystem eine Chance für die Zukunft? Faktisch hat sich seither außer vielen Reden und Beiträgen in Fachzeitschriften oder beauftragten Gutachten in der Realität nur wenig getan.
Viele Fragen drängen sich bei der theoretischen Überlegung einer Zusammenlegung auf:
Wie sollte die Vermischung des heterogenen Versichertenklientels in der Einheitsversicherung aussehen? Würde es wohlmöglich zu einer Beitragssenkung in der GKV führen? Würden die „alten“ PKV-Versicherten eine vergleichsweise „schlechtere“ Versorgungsqualität erhalten? Wird das bisschen Wettbewerb um Kunden im Versicherungsmarkt, welcher zwischen GKV und PKV vorhanden ist, vollständig verschwinden? Und was geschieht letztlich mit den vielen Mitarbeitern in der PKV? Eine Abschaffung der PKV hätte zur Folge, dass sich die PKV mit einem Bruchteil ihrer Mitarbeiter – wenn überhaupt – noch auf den Markt für Zusatzversicherungen konzentrieren würde.
Never change a running system?
Durch eine Verschmelzung der Systeme muss man sich eines klar machen: Die Marktmacht beider Systeme würde auf den Kopf gestellt. Es ist ein Eingriff, sowohl in die bisherige Solidargemeinschaft, als auch in die Marktwirtschaft. Und: Wie finden das überhaupt die GKV- und PKV-Versicherten?
Zur Debatte steht die Frage: Optimierung der derzeitigen Dualität im Krankenversicherungswesen oder Einführung einer Einheitsversicherung?
Aus 2 mach 1?, fragten daher die Mitglieder des Präsidiums Ansgar, David, Lisa, Clemens, Konrad und Miriam die Parlamentarier. Jonas, Selma, Ute und Jan haben dazu Pro- bzw. Contra-Beiträge verfasst.
Diskussionsverlauf
Jonas: “Die Versicherten sollten selbst entscheiden können. Die Gesundheitspolitik könnte geeignete Schritte unternehmen, um die Versicherten über Dualität vs. einheitlichen Versicherungsmarkt entscheiden zu lassen.
Zu diesen Schritten zählt aus meiner Sicht insbesondere: Die Schaffung einer finanzielle Gleichbehandlung von PKV und GKV für Beamtinnen und Beamten, die Durchsetzung einer vollständigen Portabilität von Altersrückstellungen der PKV-Versicherten, die Abschaffung der Versicherungspflichtgrenze und Eröffnung des Zugangs in die PKV für alle Versicherte (mit Kontrahierungszwang), die Eröffnung einer dauerhaften Rückkehrmöglichkeit von PKV-Versicherten in die GKV um die PKV-Wahl als Einmalentscheidung abzuschaffen, die schrittweise Einbeziehung der PKV in den Morbi-RSA sowie die Beauftragung der Selbstverwaltung mit der Vereinheitlichung des Vergütungssystems im ambulanten Bereich.”
Ute und Jan: “Eine Fokussierung der Gesundheitspolitik auf eine Optimierung der derzeit herrschenden Dualität im deutschen Gesundheitssystem anstelle von Fokussierung hin zur Einheitsversicherung erscheint uns deutlich sinnvoller. Die bisher vorgelegten Vorschläge zu einer Einheitsversicherung sichern die Finanzierung der GKV nicht. Das aktuelle Sachleistungsprinzip in der GKV führt laut der Kassenärztlichen Vereinigung zur „Vollkaskomentalität“ unter den Versicherten. Es besteht kein Anreiz für Versicherte der GKV, sparsam mit den Ressourcen des Gesundheitssystems umzugehen. Mit einer solidarisch finanzierten Einheitsversicherung sind die damit verbundenen Mehrkosten nur mittels zwei Stellschrauben zu bewältigen: mit Beitragserhöhungen und mit Leistungskürzungen.
Ärzte finanzieren sich heute stark über die PKV-Patienten, eine Einheitsversicherung führt ggf. zu Mindereinnahmen, was den Arztberuf noch unattraktiver werden lässt.
Die Annahme, der breit aufgestellte Leistungskatalog in Deutschland könne mit einer Einheitsversicherung aufrechterhalten werden, bzw. ausgeweitet werden, ist aus unserer Sicht nicht richtig, eine Einheitsversicherung führt nicht zu einer Besserstellung der derzeitigen GKV-Versicherten.”
Selma: “Ich halte es für möglich, dass es nur eine gesetzliche Krankenversicherung gibt, ohne dass es den Wettbewerb und die Gesundheitsleistung einschränkt.
Bedingungen:
a. Alle haben gleichermaßen Anspruch auf eine evidenzbasierte Therapie/
Diagnostik und Leistung, die der physischen und psychischen Gesundheit des
Versicherten dienen.
b. Das Vergütungssystem der Ärzte muss gerecht angepasst werden.
c. Auch darf das Vergütungssystem Landärzte nicht benachteiligen.
d. Die Versichertenbeiträge sind gerecht nach Einkommen und nicht nach Alter bemessen. Auch Kinder zahlen Versichertenbeiträge. Eine einheitliche Krankenkasse schließt den Wettbewerb im Gesundheitswesen nicht aus.
Wie die Versicherten eine Einheitsversicherung finden würden, ließe sich einfach durch eine Umfrage klären, wenn vorab die Bedingungen transparent gemacht würden.”
Abstimmungsverfahren: Ja oder nein?
Im Anschluss an die interne Veröffentlichung der Gegendarstellungen wurde eine Abstimmung angestoßen: Dazu konnte für oder gegen die Ausgangsfrage „Ist der Umbruch überhaupt sinnvoll oder sollte sich die Gesundheitspolitik nicht lieber auf eine Optimierung der derzeitigen Dualität fokussieren?“ mit einem direkten „Ja“ oder „Nein“ abgestimmt werden. Das Ergebnis sollte schlussendlich in einer einfachen Mehrheit vorliegen.
Das Ergebnis hätte knapper nicht ausfallen können: 52 % der Parlamentarier stimmten für die Beibehaltung der Dualität, 48 % sehen dagegen bessere Chancen in der Einführung der Einheitsversicherung. Beide Darstellungen konnten sowohl mit den Pro- als auch mit den Contra-Argumenten punkten und das enge Ergebnis spiegelt die derzeitige Diskussion um die Diversität der Versicherungen deutlich wieder.