„Süße Sucht – du wirst teuer!“

Dorothea Thomas

Dorothea Thomas

Annegret Schnick

Annegret Schnick

Rund 52 Prozent der erwachsenen Bevölkerung sind, berechnet nach dem Body-Maß-Index (=Gewicht/Größe²), in Deutschland übergewichtig. Obwohl diese Bemessungsart nicht optimal ist, hatten die befragten Personen, die sich bei der Mikrozensus-Zusatzbefragung 2013 als gesundheitlich beeinträchtigt einstuften, deutlich häufiger starkes Übergewicht. Die Prävalenz von Adipositas (Fettleibigkeit) hat besonders bei jungen Erwachsenen in Deutschland zugenommen. Im gesamten OECD-Raum sind 17 % der Erwachsenbevölkerung fettleibig.

Bisher gibt es auf Grund der Vielzahl an Einflüssen keinen nachgewiesenen Kausalzusammenhang zwischen der Ernährung und einer Erkrankung, wie bspw. Diabetes mellitus Typ II. In diesem Artikel wird nicht diskutiert, welche Ernährungsweise, bzw. welcher Lebensstil optimal ist, da diese Betrachtung von einer Vielzahl an Einflüssen abhängig ist (Energiezufuhr vs. Betätigung vs. Konsumdosis von Lebensmitteln etc.). Die Autoren beschäftigen sich auf Grund der Zunahme der Prävalenz von Adipositas (Tiefstwert von 4 % in Japan und 30 % in den Vereinigten Staaten) und der Eigeneinschätzung von Betroffenen vielmehr mit der Frage: „Könnte eine Fett- bzw. Zuckersteuer in Deutschland Erkrankungen vermeiden bzw. die gesundheitliche Eigenverantwortung der Bürger erhöhen?“

„Und was soll eine Steuer bezwecken?“

Die Begründung dieser Frage soll beispielhaft anhand des Zusammenhanges zwischen Körpergewicht und Mortalitätsrate bei Diabetikern dargestellt werden: Die Mortalitätsraten von Diabetikern in der American Cancer Association Study [Lew & Garfinkel 1979] waren dramatisch erhöht, wenn der Körpermassen-Index (BMI) über 25 kg/m² lag. Daten der Nurses Health Study weisen auf einen Risikozuwachs hin, wenn der BMI 22 kg/m² übersteigt. Dies gilt in besonderem Maße für Diabetiker.1 So verbessert bspw. eine moderate Gewichtsabnahme von unter 10 % des Körpergewichts die Insulinempfindlichkeit und Glukosetoleranz und senkt u. a. den Blutdruck bei Diabetikern.2 Wie die Gewichtsabnahme herbeigeführt bzw. präventiv vermieden wird, hängt von einer Vielzahl an Verhaltens- sowie Verhältnisparametern ab.
Die Zucker- bzw. Fettsteuer bezweckt bei dieser Betrachtung primär, dass der Bürger eine (finanzielle) Verantwortung für sein eigenes Zucker- bzw. Fettverhalten übernimmt. Vergleichsweise werden dabei die Effekte der Tabaksteuer betrachtet. Wie Daten von HANEWINKEL/ ISENSEE belegen, führte bspw. die Erhöhung des Tabakpreises dazu, dass ein Großteil der Raucher sich mit ihrem Rauchverhalten auseinandersetzen: Vor der Erhöhung der Tabaksteuer gaben 35,1% der Raucher an, bedingt durch die Steuererhöhung über ihr Rauchverhalten nachzudenken, auch nach der Steuererhöhung sind dies noch 24,1%. Nach der Steuererhöhung gaben immerhin 11,5% der Raucher an, ihren Konsum tatsächlich reduziert zu haben.3
Dabei sollen Lebensmittel bzw. Fett/ Zucker, wie der Tabak, nicht direkt verboten werden. Ideal ist es, wenn die Steuer die Verminderung des Konsums von zucker- und fettreichen Lebensmitteln durch einen höheren Preis bewirkt und somit bspw. eine Gewichtsabnahme sowie die Reduzierung von Adipositas- und kardiovaskulären Erkrankungen bei der Bevölkerung erzielt.

„Die Fett- und Zuckersteuer beeinträchtigt meine freie Entfaltung!“

Diese Aussage ist bezogen auf Art. 2 Abs. 1 GG, welcher besagt, dass jeder Mensch das Recht auf „die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit…“ besitzt, jedoch nur „soweit er… nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung…verstößt“. Hierbei muss hinterfragt werden, inwieweit ein überhöhter Zucker- bzw. Fettkonsum gegen die verfassungsmäßige Ordnung verstoßen könnte. Ein Verstoß könnte insoweit in der Missachtung des § 1 SGB V liegen, der die Versicherten (richtiger Mitglieder) der Gesetzlichen Krankenversicherung für die Erhaltung ihrer Gesundheit mitverantwortlich macht; sie sollen durch eine gesundheitsbewusste Lebensführung… dazu beitragen, den Eintritt von Krankheit … zu vermeiden…“. Dieser Artikel soll daher anregen, inwieweit der Einzelne trotz Art. 2 GG verpflichtet ist, mehr individuelle Verantwortung für seine Gesundheit gegenüber der Solidargemeinschaft zu übernehmen.

„Und wird jetzt alles besteuert?- da sieht ja keiner mehr durch!“

Im internationalen Vergleich bestehen vielzählige Variationen einer umgesetzten Zucker- bzw. Fettsteuer:
Ungarn besetze bspw. übermäßig gesalzene, süße, kohlenhydrat- oder koffeinreiche Fertigprodukte mit einer 50 US-Cent Steuer, Frankreich erhob eine Steuer auf Nahrungsmittel mit Palmöl und Israel eine Steuer auf Junk Food.
Erfahrungen konnten auch in Dänemark mit einer im Oktober 2011 eingeführten Fettsteuer gesammelt werden. Es wurden dabei bspw. pro Kilogramm gesättigte Fettsäuren ca. 2,15 Euro an Fettsteuer, bezogen auf Lebensmittel mit einem Mindestanteil an gesättigten Fettsäuren von 2,3 Prozent erhoben. Einige Rohlebensmittel, wie Vollmilch oder Fisch, waren wiederum von der Steuer befreit. Die Steuer wurde nach einer intensiven öffentlichen Debatte schnell wieder abgeschafft. Gründe dafür waren u. a. eine Erhöhung der Verbraucherpreise, eine Gefährdung von Arbeitsplätzen und zu hohe Verwaltungskosten bei den Produzenten. In einer Verbraucherstudie von Januar 2008 bis Juli 2012 konnte jedoch nachgewiesen werden, dass der Konsum von Butter, Margarine etc. um ca. 10 Prozent gesunken ist.4
Auch die Erfahrungen aus New York City, welche 2009 eine Steuer auf Soda-Drinks einführte, zeigen, dass die Steuer nicht nach Inhaltsvolumen gestaffelt wird oder mit einem gänzlichen Verbot von großen Größen einhergeht, sondern sich nach Höhe des Kaloriengehalts und nach Menge bestimmter Inhaltsstoffen richtet. Nur dann erfolgte eine Umorientierung des Konsumenten auf Getränke mit niedrigerem Kaloriengehalt. Erste Ergebnisse der New Yorker Initiative stellen seit 2006 dar, dass befragte Restaurants prozentual weniger Trans-Fette verwendet haben als zuvor.
Generell ist die Steuer auf eine Anzahl an Lebensmittelinhaltsstoffen (z. B. Salz, Zucker) effektiver als eine Steuer auf einzelne Produkte (z. B. Soda, Chips). Wichtig ist, dass dem Konsument kaum Substitutionsmöglichkeiten zur Verfügung gestellt werden, d. h. dass Produkte mit auferlegter Steuer gegen andere ungesunde Produkte ausgetauscht werden.5

Und die Steuergelder werden dann wieder irgendwo eingesetzt!

Derzeit besteht hinsichtlich der staatlichen Einnahmen- und Ausgabensystematik der Grundsatz des Gesamtdeckungsprinzips. Dies bedeutet, dass eine zweckgerichtete Bindung von Einnahmen an speziell zu leistende Ausgaben nicht gestattet wird. Eine transparente Darstellung Steuerverwendung in das Gesundheitssystem ist auf Grund des Zusammenhangs jedoch geboten. Da sie dem Konsumenten auferlegt wird, soll sie dem Konsumenten auch wieder zufließen. Wichtig dabei ist uns, dass sie wieder quer in die Gesundheitsversorgung fließen und möglichst direkt dem Bürger bzw. Patienten zugutekommen soll, bspw. in evaluierte und effektive Gesundheitsprogramme, Aufklärung und Settings.

Welche Herausforderungen müssen beachtet werden?

Aus unserer Sicht ist die wichtigste Voraussetzung der politische Wille und eine transparente Umsetzung, denn den Effekten höherer Verwaltungskosten und geringerer Margen der Lebensmittelhersteller muss entgegengetreten werden. Dabei soll nicht die freie Entfaltung des Einzelnen vom Staat reguliert, sondern bspw. Gesundheitsprogramme durch die Steuer finanziert werden. Hierbei wird also nicht das Verhalten des Einzelnen, sondern das Verhältnis durch das Kaufumfeld geändert.
Bei der Umsetzung ist zu beachten, dass zu besteuernden Produkte vorab eindeutig definiert werden, wie bspw. Limonaden und Energiegetränke sowie Fastfood. Studien haben bei der Einführung der Steuer weiterhin festgestellt, dass ein grenzüberschreitender Einkauf, bspw. in den Niederlanden und Polen, nicht ausgeschlossen werden kann, da zwischen den Mitgliedsstaaten des Europäischen Wirtschaftsraumes freier Warenverkehr gilt.
Weiterhin müssen weitere Alternativen zur Steuer, wie Subventionen des Ernährungsverhaltens sowie eine Differenzierung des Versicherungsbeitrages nach Verhalten, analysiert und politisch diskutiert werden.

Zusammenfassung

Monetäre Anreizsysteme sind letztendlich sehr effektiv, um Verhaltensänderungen bei jenen Konsumenten zu erzielen, die diese Lebensmittel weiterhin in überdurchschnittlichem Maße zu sich nehmen. Hintergrund ist, dass der Einzelne in dem bestehenden Krankenversicherungssystem nicht für seine Risiken und Verhalten alleine haftet, sondern die Gemeinschaft. Dabei werden hierbei die Produkte nicht abgeschafft, sondern ihr Verbraucherpreis sowie die Eigenverantwortung erhöht. Dies zeigen vergleichbare Beispiele aus der Tabakindustrie oder anderen Branchen. Gut funktioniert dies im Fall von Produkten, die eine relative starre Nachfragefunktion aufweisen, d.h. bereits relativ unentbehrlich geworden sind- wie Zucker und Fett, um gesundheitsfördernde bzw. -aufklärende Programme zu unterstützen. Trotz der bestehenden Herausforderungen der Steuer wurden jedoch die gewünschten Effekte erzielten: die Fettsteuer auf gesättigte Fette in Produkten erhöhte die Verbraucherpreise und reduziert damit den Konsum. Einen einhergehenden Effekt bspw. auf die Prävalenzrate von Adipositas konnte bisher nicht nachgewiesen werden.

1 Vgl. Manson et al. 1991
2 Vgl. Eriksson & Lindgarde 1991/ Goldstein 1992
3 Vgl. Hanewinkel, Isensee (2002, 2003): Größere Effekte bei einkommensschwächeren Personen
4 Vgl. Jensen/ Smed (2015), Food Policy Volume 42, October 2013, Pages 18–31 The Danish tax on saturated fat – Short run effects on consumption, substitution patterns and consumer prices of fats
5 Vgl. http://www.huffingtonpost.com/2014/01/07/tax-sugar-fight-obesity_n_4555135.html