In den Schuhen des Anderen gehen – ein Workshop mit Naomi Feil

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51 Auszubildende der Vitos Schule für Gesundheitsberufe Oberhessen und drei Lehrkräfte hatten nicht nur die einmalige Gelegenheit, das pflegerische Konzept der Validation in einem Workshop näher kennenzulernen. Sie konnten auch dessen „Erfinderin“ Naomi Feil live auf der Bühne erleben und ein Stück „in ihren Schuhen“ mitgehen.

Die 1932 geborene Sozialarbeiterin und Schauspielerin aus Cleveland/Ohio wuchs in einem von ihrem Vater geführten Altersheim auf. Sie analysierte im Rahmen ihrer späteren Tätigkeit als Sozialarbeiterin den Umgang mit und die Reaktionen von alten, kognitiv eingeschränkten Bewohnern im Altersheim. Sie entwickelte bereits in den 60er und 70er Jahren eine Methode, einen besseren Zugang zu verwirrten alten Menschen zu ermögliche: das Konzept der Validation.

Workshop als Teil der Ausbildung

Die Schüler werden während ihrer Ausbildung und gemäß der demografischen Entwicklung sicher auch darüber hinaus, vermehrt mit Patienten konfrontiert, die aufgrund ihres hohen Alters und in Verbindung mit Erkrankungen psychiatrischer Genese, in ihrer Wahrnehmung eingeschränkt sind. Daher erhofften wir uns von dem Workshop Inspiration und Handwerkszeug, um dieser pflegerischen Herausforderung gerüstet zu begegnen. Und Frau Feil lieferte prompt!

Älteren Menschen wieder Wohlfühlen ermöglichen

Mit ihren 83 Jahren mimte Frau Feil in beeindruckender Weise unterschiedlichste Reaktionen und Wesenszüge verwirrter alter Menschen. Dabei wirkten ihre Darstellungen täuschend echt und zogen das Publikum, welches Sie aktiv in die Interaktion einbezog, in ihren Bann. Schnell wurde den Workshopteilnehmern klar, dass es beim Umgang mit kognitiv eingeschränkten Menschen weniger darum geht, diese mit der Realität zu konfrontieren und ihre nicht immer adäquaten Aktionen und Reaktionen zu ordnen oder zu kommentieren. Vielmehr geht es darum, deren Wohlbefinden zu verbessern, alte Konflikte aufzuarbeiten und unter Einbeziehung von Ressourcen dem emotionalen und körperlichen Rückzug aktiv entgegenzutreten. Im Vordergrund steht der wertschätzende Umgang mit desorientierten Menschen, um einen Zugang zu dessen Gefühls- und Lebenswelt zu finden.

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Fotos: Silke Sellmann-Bier, Christine Weiß

Akzeptieren, Annehmen, Mitfühlen und Verstehen

Darüber hinaus versteht sich die Validation auch als Konzept der Unterstützung Pflegender im täglichen Umgang mit verwirrten Patienten, indem Verhaltensunsicherheiten abgebaut und individuelles Arbeiten gefördert wird, um die Arbeitszufriedenheit des Einzelnen zu verbessern und Stress zu reduzieren. Die Techniken des Validierens leiten sich aus den drei Elementen der Grundhaltung ab, welche Pflegende für erfolgreiches Validieren mitbringen müssen: Akzeptanz/wertschätzendes Annehmen, Empathie/einfühlendes Verstehen und Selbstkongruenz/Echtsein in seinen eigenen Gefühlen.

Über die Gefühle kommunizieren

Im Vortrag und insbesondere während der schauspielerisch brillanten Einlagen von Naomi Feil erkannten sich die Workshopteilnehmer das ein ums andere Mal wieder. Sie merkten schnell, dass der Schwerpunkt im Umgang mit desorientierten Menschen darin liegt, ein Gespür für sein Gegenüber zu entwickeln und dessen Gefühlswelt wahrzunehmen, besonders da, wo der sprachliche Austausch nicht mehr möglich ist. Die Beurteilung von Mimik und Gestik, den Anderen ernst nehmen, verstehen und bestätigen, das gezielte Einsetzen von Berührung, sowie die Berücksichtigung der individuellen Biografie erhalten in diesem Zusammenhang eine ganz besondere Relevanz.

Validation bringt positive Veränderungen

Gestützt wurde der Vortrag durch einzelne Sequenzen aus dem Lehrfilm von Naomi Feil. Aufnahmen aus den 70er, 80er und 90er Jahren belegten eindrucksvoll, dass sich das Phänomen der Altersdemenz per se über die Jahre nicht verändert hat. Der konsequente Umgang mit desorientierten Menschen im Sinne der Validation hat jedoch positive Veränderungen zum Vorschein gebracht, von denen sowohl die Patienten, als auch die Pflegenden außerordentlich profitieren.

Ein eindrucksvoller Einblick in die Welt desorientierter Menschen

Während der Pausen und im Anschluss an den Workshop hatten die Teilnehmer Gelegenheit, Bücher und DVDs von Naomi Feil zum Thema Validation zu begutachten und natürlich auch zu kaufen. Und wer noch etwas Geduld mitbrachte, konnte sich das frisch erworbene Stück von der Autorin noch persönlich signieren lassen.

Wir danken Naomi Feil für einen eindrucksvollen Einblick in die Welt desorientierter Menschen und die technischen Möglichkeiten, dieser ganz speziellen Patientengruppe wertschätzend zu begegnen. Nun liegt es an uns, dieses Rüstzeug auch anzuwenden.

Es war uns ein Vergnügen, ein Stück „in ihren Schuhen“ mitzugehen!

 

 

 Die vier Phasen der Verwirrtheit nach Naomi Feil

Naomi Feil beschreibt das Erleben und die Fähigkeiten der Betroffenen in vier Phasen der Desorientiertheit, die sich innerhalb eines Tages abwechseln können. Feil geht davon aus, dass jeder alte, verwirrte Mensch diese Phasen durchläuft, wenn er ohne Hilfe bleibt. Die Validationstechnik sieht Feil als Möglichkeit, das Abgleiten zu verhindern oder wenigstens zu verzögern. 

  1. Phase der mangelhaften oder unglücklichen Orientierung

Diese Menschen sind zeitlich und räumlich orientiert. Sie wissen, wer sie sind, erkennen ihre Mitmenschen. Dennoch können sie ihre Situation nicht akzeptieren. Sie sind unglücklich. Sie beklagen sich, klagen an. Sie beschuldigen und verdächtigen ihre Mitmenschen schlechter Dinge. Ein Streit über den Wahrheitsgehalt des Gesagten ist vergeblich.

  1. Phase der räumlichen und zeitlichen Verwirrtheit

«Ich muss zu meiner Tochter, sie ist krank und braucht mich!» Wenn eine 90-jährige demente Frau so etwas sagt, ist sie wahrscheinlich räumlich und zeitlich verwirrt. Sie ist in der Vergangenheit und an einem anderen Ort. Es nützt gar nichts, sie zeitlich und räumlich orientieren zu wollen.

  1. Phase der sich wiederholenden Bewegungen

Schreitet der Abbau der kognitiven Fähigkeiten weiter voran, kommunizieren die Menschen über erlernte Bewegungen aus der Vergangenheit. Das kann das Hammerklopfen eines Handwerkers sein, die Bewegung des Nähens, des Kinderwiegens. Auch in dieser Phase ist Kommunikation möglich, und die Betroffenen können aus ihrer Abwesenheit zurückkehren, an Gruppenaktivitäten teilnehmen und wieder Interesse an ihrer Umwelt zeigen.

  1. Phase des Vegetierens

Auf der letzten Stufe ihrer Erkrankung sind die Dementen völlig teilnahmslos. Sie sitzen apathisch im Stuhl, reagieren nicht auf Ansprache und benehmen sich in Naomi Feils Worten «wie lebendige Tote». In diesen Zustand geraten alte Menschen hauptsächlich dann, wenn die Pflegenden und Angehörigen auf ihre Anfragen nicht passend reagieren, wenn sie ihre Anliegen nicht wahrnehmen und ignorieren. Dann ziehen sich alte Menschen völlig in sich zurück. Diese Stufe gilt es zu vermeiden. Ein guter Weg dazu ist gemäß Feil die Validation.[1]

[1] http://www.curaviva.ch/files/4Y1H29B/Die-Validation-nach-Naomi-Feil-2-2010.pdf